Ein 47-jรคhriger Kfz-Mechaniker aus Baden-Wรผrttemberg hat auch in zweiter Instanz keinen Anspruch auf die Weitergewรคhrung seiner Erwerbsminderungsrente. Das Landessozialgericht (LSG) in Stuttgart bestรคtigte in seinem Urteil vom 17. Dezember 2024 die Entscheidung des Sozialgerichts Mannheim, das die Klage bereits im Januar 2023 abgewiesen hatte.
Hauptgrund: Der Klรคger sei trotz gesundheitlicher Einschrรคnkungen in der Lage, tรคglich mindestens sechs Stunden zu arbeiten โ das gesetzliche Minimum fรผr den Ausschluss einer Erwerbsminderung.
Inhaltsverzeichnis
Ausgangslage: Vom Rentenbezieher zum Antragsteller
Der Klรคger, Jahrgang 1976 und gelernter Kfz-Mechaniker, war bis 2014 berufstรคtig, bis ihn eine Erkrankung an den Handgelenken arbeitsunfรคhig machte. Seit Juli 2017 bezog er eine befristete Rente wegen voller Erwerbsminderung. Diese lief am 31. Mรคrz 2021 aus.
Die Rentenversicherung hatte seinen Antrag auf Weitergewรคhrung abgelehnt. Begrรผndung: Ein neues medizinisches Gutachten vom Februar 2021 attestierte ihm ein Restleistungsvermรถgen von รผber sechs Stunden tรคglich โ trotz anhaltender Beschwerden. Ein Widerspruch blieb erfolglos.
Medizinische Diagnosen: Widersprรผchlich, aber nicht รผberzeugend
In der Folge reichte der Klรคger Klage beim Sozialgericht Mannheim ein und argumentierte, sein Gesundheitszustand habe sich nicht verbessert โ im Gegenteil, die psychische Belastung durch das Verfahren habe ihn zusรคtzlich geschwรคcht.
Zahlreiche รคrztliche Stellungnahmen folgten. Wรคhrend einige รrzte lediglich qualitative Einschrรคnkungen feststellten, sprach ein spรคteres Gutachten von einer mittelschweren Depression und einer somatoformen Schmerzstรถrung, die das Leistungsvermรถgen des Klรคgers auf unter sechs Stunden reduzieren kรถnnte. Entscheidend sei jedoch, so das Gericht, wann diese Einschrรคnkungen auftraten.
Das Problem: Fรผr den Bezug einer Erwerbsminderungsrente mรผssen neben der medizinischen Voraussetzung auch bestimmte versicherungsrechtliche Bedingungen erfรผllt sein โ darunter die sogenannte 3/5-Regel.
Die 3/5-Regel: Versicherungsverlauf als Stolperstein
Nach dem Sozialgesetzbuch (ยง 43 Abs. 1 und 2 SGB VI) muss ein Versicherter in den letzten fรผnf Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung mindestens 36 Monate lang Pflichtbeitrรคge gezahlt haben. Dieser Zeitraum verlรคngert sich bei vorherigem Rentenbezug entsprechend.
Im Fall des Klรคgers klaffte jedoch eine Beitragslรผcke von exakt 25 Monaten โ zwischen April 2021 (Ende der Rentenzahlung) und Mai 2023 (Beginn von Bรผrgergeldbezug). Da in dieser Zeit keine versicherungspflichtigen Tรคtigkeiten oder gleichgestellte Leistungen wie Krankengeld oder Pflegezeit vorlagen, reichte der Nachweis nicht aus.
Konsequenz: Selbst wenn die gesundheitlichen Voraussetzungen ab Mai 2023 gegeben wรคren โ der Anspruch auf Erwerbsminderungsrente wรคre damit ausgeschlossen.
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Gerichtliche Bewertung: Gutachten รผberwiegen Atteste
Ausschlaggebend fรผr das Urteil war die Einschรคtzung von vier medizinischen Sachverstรคndigen. Alle kamen รผbereinstimmend zu dem Schluss, dass der Klรคger in der Lage sei, einfache kรถrperliche Tรคtigkeiten in wechselnder Kรถrperhaltung mindestens sechs Stunden tรคglich auszuรผben โ unter bestimmten Bedingungen:
- keine Arbeiten auf Leitern oder Gerรผsten
- kein Heben schwerer Lasten
- keine Fingerfeinmotorik
- keine Arbeiten in Kรคlte oder Nรคsse
Psychische Einschrรคnkungen wie Depression oder Migrรคne wurden berรผcksichtigt. Diese fรผhrten jedoch โ so das Gericht โ nicht zu einer quantitativen Leistungsminderung im maรgeblichen Zeitraum bis April 2023.
Ein Gutachten aus dem Oktober 2023 sah eine solche Minderung zwar als gegeben an, konnte den genauen Eintrittszeitpunkt der Verschlechterung aber nicht zweifelsfrei belegen. Damit scheiterte der Klรคger auch in diesem Punkt an der Beweislast.
Warum behandelnde รrzte nicht ausschlaggebend waren
Mehrere Atteste behandelnder รrzte stรผtzten die Position des Klรคgers. Doch das Gericht misst solchen Stellungnahmen regelmรครig einen geringeren Beweiswert als unabhรคngigen Gutachten zu. Begrรผndung: Behandelnde รrzte konzentrieren sich auf die Therapie, nicht auf die arbeitsmedizinische Beurteilung.
Zudem konnten die Atteste keine objektivierbaren Befunde liefern, die die behauptete Erwerbsunfรคhigkeit medizinisch nachvollziehbar belegen wรผrden.
Kein Sonderfall: Summierung von Leiden nicht ausreichend
Auch das Argument, die Vielzahl der gesundheitlichen Einschrรคnkungen wirke sich in der Summe stรคrker aus als jede einzelne, รผberzeugte das Gericht nicht. Solche โAdditionswirkungenโ mรผssen nach stรคndiger Rechtsprechung durch medizinische Fachgutachten konkret belegt sein โ was hier nicht gelang.
Ebenfalls unbeachtlich blieb der Hinweis des Klรคgers, dass er bereits รผber mehrere Jahre eine Erwerbsminderungsrente bezogen habe. Denn die ursprรผngliche Rente war nur befristet bewilligt worden. Eine Neubewertung der Lage zum Zeitpunkt der Weiterbewilligung ist daher rechtlich vorgeschrieben.
Soziale Hรคrte, juristische Logik
Der Fall zeigt die Kluft zwischen juristischer Argumentation und sozialer Realitรคt. Ein Mann, der nachweislich gesundheitlich eingeschrรคnkt ist und jahrelang auf Sozialleistungen angewiesen war, erfรผllt formal die Bedingungen fรผr eine Rente nicht mehr. Eine faktische Entwertung seines Versicherungsverlaufs durch eine Lรผcke von nur einem Monat mag hart erscheinen โ ist aber leider rechtskonform.
Auch medizinisch lรคsst sich ein Restleistungsvermรถgen nicht pauschal mit โkrankโ oder โarbeitsfรคhigโ gleichsetzen. Solange jemand unter vereinfachten Bedingungen theoretisch arbeiten kann, scheidet ein Rentenanspruch aus.