Viele Privatversicherte mit Rente suchen wegen steigender Prämien den Weg zurück in die gesetzliche Krankenversicherung (GKV). Ein Urteil des Landessozialgerichts (LSG) Baden-Württemberg zeigt, dass der Rückweg über eine befristete Teilrente funktionieren kann.
Der Fall ist inzwischen beim Bundessozialgericht (BSG) anhängig; dort wird ein Grundsatzurteil erwartet, das die bislang uneinheitliche Rechtsprechung ordnen könnte.
Inhaltsverzeichnis
Der entschiedene Fall im Überblick
Der Kläger, Jahrgang 1945 und privat krankenversichert, wandelte seine volle Altersrente zum 1. Februar 2022 in eine Teilrente nach § 42 SGB VI um. Durch die Reduzierung auf 458,16 Euro monatlich beantragte er die beitragsfreie Familienversicherung über seine gesetzlich versicherte Ehefrau – die Kasse ließ dies zunächst zu.
Als der Rentner zum 1. Mai 2022 zur Vollrente zurückkehrte, hob die Krankenkasse die Familienversicherung rückwirkend auf und begründete dies mit einer vorausschauenden Überschreitung der maßgeblichen Einkommensgrenze. Das LSG Baden-Württemberg entschied dagegen zugunsten des Rentners.
Die Begründung des LSG Baden-Württemberg
Das Gericht stellte klar: Während des Bezugs der Teilrente lag das regelmäßige Gesamteinkommen unterhalb der zulässigen Grenze; der Wechsel in die Teilrente ist ein gesetzlich vorgesehenes Gestaltungsrecht (§ 42 SGB VI) und deshalb grundsätzlich zulässig. Der spätere Rückwechsel in die Vollrente nimmt den zuvor entstandenen Anspruch auf Familienversicherung nicht rückwirkend weg.
Mit dem Ende der Familienversicherung setzt sich die Mitgliedschaft in der GKV kraft Gesetzes als freiwillige Mitgliedschaft fort – es greift die obligatorische Anschlussversicherung nach § 188 Abs. 4 SGB V, sofern kein fristgerechter Austritt erklärt wird. Damit bestätigte das LSG de facto den Weg aus der PKV über eine befristete Teilrente in die GKV.
Teilrente, Einkommensgrenzen und Anschlussversicherung
Die Teilrente ist in § 42 SGB VI ausdrücklich vorgesehen und erlaubt es, den Rentenbezug befristet zu senken. Für die Familienversicherung nach § 10 SGB V gilt eine Einkommensgrenze in Höhe von einem Siebtel der monatlichen Bezugsgröße; maßgeblich ist das regelmäßige Gesamteinkommen.
Diese Grenze lag 2022 bei 470 Euro, stieg 2023 auf 485 Euro, zum 1. Januar 2024 auf 505 Euro und beträgt im Jahr 2025 – je nach Konstellation – aktuell 535 Euro monatlich. Für Minijobs ist zusätzlich die 520-Euro-Grenze zu beachten.
Nach Ende der Familienversicherung greift, wenn kein Austritt erklärt wird, die obligatorische Anschlussversicherung; die freiwillige Mitgliedschaft beginnt kraft Gesetzes am Folgetag.
Uneinheitliche Rechtsprechung der Instanzgerichte
Nicht alle Gerichte folgen dem Stuttgarter Ansatz. Das Sozialgericht (SG) Mainz verneinte im Februar 2024 die Familienversicherung bei einer viermonatigen Teilrente mit der Begründung, die Einkommensminderung sei nicht dauerhaft genug.
Ähnlich lehnte das SG München im Juli 2023 ab. Eine andere Kammer desselben Gerichts hatte im Januar 2023 die Rückkehr in die GKV dagegen bejaht.
Hinzu kommt ein Urteil des LSG Berlin-Brandenburg vom Juli 2024, das den Weg über eine kurzzeitige Teilrente als „Flucht“ aus der PKV bewertete und ablehnte; die Revision wurde dort jedoch zugelassen. Das Bild ist damit gemischt – ein Grund mehr für eine höchstrichterliche Klärung.
Bundessozialgericht muss entscheiden
Die Frage liegt dem BSG zur Entscheidung vor. In den Verfahrensübersichten wird das anhängige Verfahren zum Teil mit der Bezeichnung B 12 KR 3/24 R, teils – im Zuge einer Umorganisation der Senate – als B 6a/12 KR 3/24 R geführt.
Inhaltlich geht es um die Kernfrage, ob der zeitweilige Wechsel in eine Teilrente mit anschließender Familien- und daran anknüpfender freiwilliger Mitgliedschaft eine zulässige Rückkehrspur aus der PKV in die GKV darstellt. Ein Urteil hätte erhebliche Tragweite für Betroffene und Krankenkassen.
Was das Urteil praktisch bedeutet – und wo die Grenzen liegen
Für privatversicherte Rentner eröffnet die Entscheidung aus Baden-Württemberg grundsätzlich die Möglichkeit, die GKV über den Zwischenschritt der Familienversicherung zu erreichen.
Entscheidend ist, dass das regelmäßige Gesamteinkommen während der Teilrentenphase die maßgebliche Grenze nicht überschreitet und die formalen Voraussetzungen der Familienversicherung erfüllt sind.
Die spätere Rückkehr zur Vollrente beendet zwar die Familienversicherung, führt aber – wenn kein Austritt erklärt wird – automatisch in die freiwillige Mitgliedschaft der GKV. Zugleich zeigt der Blick auf die übrige Rechtsprechung, dass Gerichte die erforderliche Dauer und Prognose der Einkommensminderung unterschiedlich beurteilen; pauschale Erfolgsaussagen verbieten sich deshalb.
Hinweise für Betroffene
“Wer über diesen Weg nachdenkt, sollte die Einkommensgrenzen und deren jährliche Anpassungen genau prüfen, die Prognose des regelmäßigen Gesamteinkommens belastbar dokumentieren und die Fristen rund um die Anschlussversicherung kennen”, rät der Sozialrechtsexperte Dr. Utz Anhalt.
Sinnvoll sei, “den Zeitpunkt und die Dauer einer Teilrente so zu planen, dass sie den Anforderungen der jeweiligen Kasse und der aktuell maßgeblichen Rechtsprechung standhalten”, so Anhalt. Da Einzelfallumstände – etwa sonstige Einkünfte, Zuverdienst oder Zuschüsse – den Ausschlag geben können, “ist eine individuelle sozial- und krankenversicherungsrechtliche Beratung empfehlenswert”.
Mit der anstehenden Entscheidung des BSG dürfte sich klären, ob der temporäre Wechsel von der Vollrente in eine Teilrente ein bundesweit tragfähiger Rückweg in die GKV sein kann oder gesetzgeberischer Nachsteuerungsbedarf gesehen wird. Bis zur höchstrichterlichen Klärung bleibt die Rechtslage fragmentiert – Betroffene sollten Schritte sorgfältig vorbereiten und die Entwicklung eng verfolgen.
Quellen: LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 24.01.2024 – L 5 KR 1336/23; SG Mainz, Urteil vom 07.02.2024 – S 7 KR 41/22; SG München, Urteile vom 06.07.2023 – S 15 KR 923/22 und vom 19.01.2023 – S 59 KR 649/22; LSG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 23.07.2024 – L 14 KR 129/24; § 42 SGB VI; § 10, § 188 SGB V.




