Rente: Beratungspflicht verletzt – Gericht verordnet Renten-Nachzahlung bis zum Erst­anspruch

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Wenn die Rentenversicherung ihre Informationspflicht verletzt, muss sie eine Rente rückwirkend bewilligen – selbst wenn der Antrag verspätet eingeht. Das stellte das Sozialgericht Ulm mit Urteil vom 12. März 2024 (Az. S 10 R 1445/23) fest.

Versicherten dürfen demnach keine Nachteile entstehen, wenn sie Fristen nur deshalb versäumen, weil ihnen die Rentenversicherung die erforderlichen Hinweise nicht rechtzeitig erteilt hat. Das Urteil ist bis jetzt nicht rechtskräftig; die Deutsche Rentenversicherung (DRV) kann binnen eines Monats Berufung beim Landessozialgericht Baden-Württemberg einlegen.

Kein Hinweis der Rentenversicherung auf möglichen Rentenantritt

Der Kläger stellte seinen Antrag auf Regelaltersrente erst am 22. Dezember 2022, obwohl er bereits zum 1. April 2022 anspruchsberechtigt gewesen wäre. Die DRV gewährte ihm deshalb lediglich eine Rente ab dem 1. Dezember 2022. Gegen diesen begrenzten Bewilligungszeitraum legte der Mann Widerspruch ein und argumentierte, er habe nie eine Information erhalten, dass er schon ab 1. April 2022 in Altersrente gehen könne. Die Rentenversicherung wies den Widerspruch zurück, woraufhin der Versicherte Klage erhob.

Informationspflicht verletzt

Nach Auffassung des Sozialgerichts Ulm traf die DRV eine klare Beratungspflicht:

  • §§ 13–15 SGB I verpflichten Sozialleistungsträger, über Rechte und Pflichten umfassend aufzuklären und rechtzeitig individuell zu beraten
  • § 115 Abs. 6 SGB VI ergänzt dies, indem er eine schriftliche Information kurz vor Erreichen der Regelaltersgrenze vorsieht.

Diese Pflichten habe die DRV verletzt, weil das angebliche Hinweisschreiben den Kläger nicht erreicht habe.

Nachweispflicht liegt bei der Rentenversicherung

Die DRV behauptete, sie habe dem Versicherten am 22. Februar 2022 ein entsprechendes Informationsschreiben zugesandt. Das Gericht sah jedoch keinen Beleg dafür, dass dieses Schreiben dem Kläger tatsächlich zugegangen sei. Ein interner Versandvermerk reiche nicht aus; der Zugang müsse nachweisbar sein (z. B. durch Einschreiben oder dokumentierte persönliche Übergabe).

Der sozialrechtliche Herstellungsanspruch

Wegen dieser Pflichtverletzung erkannte das Gericht einen sozialrechtlichen Herstellungsanspruch nach § 44 SGB X an. Dieser Anspruch sorgt dafür, dass eine versäumte Handlung (hier: der rechtzeitige Rentenantrag) so behandelt wird, als wäre sie ordnungsgemäß erfolgt, wenn der Sozialleistungsträger seine Beratungspflicht verletzt hat. Normalerweise zahlt die DRV Renten nur für die letzten drei Kalendermonate vor Antragstellung rückwirkend (§ 99 Abs. 1 SGB VI). Der Herstellungsanspruch durchbricht diese Drei-Monats-Grenze.

Unterlassene Information führt zu spätem Rentenantrag

Das Gericht war überzeugt, dass der Kläger seinen Rentenantrag fristgerecht gestellt hätte, wenn er die nötige Information rechtzeitig erhalten hätte. Der Nachteil – die verspätete Antragstellung – sei deshalb allein der DRV anzulasten. Folglich muss die Rente rückwirkend ab 1. April 2022 gezahlt werden.

Was bedeutet dieses Urteil für Rentenberechtigte?

Das Urteil stärkt die Rechte von Rentenversicherten:

Verletzen Rentenversicherungsträger ihre gesetzliche Beratungs- und Auskunftspflicht, können Betroffene trotz versäumter Fristen einen rückwirkenden Leistungsanspruch geltend machen.
Den Nachweis des fristgerechten Zugangs eines Beratungsschreibens muss stets der Leistungsträger führen; interne Vermerke reichen hierfür nicht.

Ob das Urteil Bestand hat, entscheidet sich in einer möglichen Berufung vor dem Landessozialgericht. Bis dahin zeigt der Fall jedoch deutlich, dass fehlende oder verspätete Informationen der DRV nicht zulasten der Versicherten gehen dürfen.