Die Erhöhungen der Regelsätze in Sozialhilfe und Bürgergeld haben die Kaufkraftverluste in früheren Jahren nicht ausgeglichen! Ein echter Gerichtshammer
Bürgergeld – Erhöhungen gleichen Kaufkraftverluste in früheren Jahren nicht aus, so zu mindestens Dr. Irene Becker. Dieser Auffassung schließt sich das Sozialgericht Karlsruhe an!
Zur Beweiserhebung beim Bundesministerium für Arbeit und Soziales zur Frage, ob die Regelbedarfsanpassungen und Sonderleistungen die Kaufkraftverluste in 2021 und 2022 kompensierten. Mit bemerkenswertem Beschluss gibt die 12. Kammer des Sozialgerichts Karlsruhe bekannt (SG Karlsruhe, Beschluss vom 12.05.2025 – S 12 AS 2069/22-), dass das Gericht eine Beweisaufnahme durch die Vernehmung des nachfolgenden sachverständigen Zeugen an ordnet:
Leiter des Referats II c 1, c/o Referat für Grundsatzfragen der Grundsicherung für Arbeitsuchende, c/o Bundesministerium für Arbeit und Soziales.
Beweisfragen:
In dem Rechtsstreit ist die Verfassungskonformität der Höhe existenzsichernder Regelbedarfsleistungen im Bezug der Grundsicherungsleistungen nach der Regelbedarfsstufe 1 nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) umstritten.
Das angerufene Sozialgericht muss im Rahmen seiner (Vorlagepflicht nach Art. 100 Abs. 1 des Grundgesetzes sowie seiner) Amtsermittlungspflicht nach § 103 Sozialgerichtsgesetz (SGG) aufklären, ob und gegebenfalls in welcher Höhe ein in den Jahren 2021 bis 2023 erfolgter Kaufkraftverlust durch rechtzeitige Regelbedarfsanpassungen und Sonderleistungen kompensiert worden ist.
Hierzu ist die Vernehmung des Referatsleiters des für Grundsatzfragen der Grundsicherung für Arbeitsuchen zuständigen Referats II c 1 des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales als sachverständiger Zeuge zu den nachfolgenden Beweisfragen erforderlich:
Hinweis
Das Gericht bezieht sich insoweit auf Berechnungen von I. Becker in: Bürgergeld: Erhöhungen gleichen Kaufkraftverluste in früheren Jahren nicht aus. Kurzexpertise im Auftrag des Paritätischen Gesamtverbands, 2024, S. 8 (zitiert nach: A. Lenze, in: Die unendliche Geschichte – Die Anpassung der Regelbedarfe als politisches Aufregerthema, info also 2025, 51, beck-online).
Anmerkung vom Sozialrechtsexperten Detlef Brock
Das BVerfG 1. Senat 2. Kammer, Kammerbeschluss vom 19.Juli 2024 , Az: 1 BvL 2/23 hatte wie folgt entschieden:
Die Richtervorlage zur Verfassungsmäßigkeit der im Mai 2021 und Juli 2022 für Empfänger von Grundsicherungsleistungen nach dem SGB II ausgezahlten Einmalleistungen zum Ausgleich von pandemiebedingten Mehraufwendungen war unzulässig. Somit muss das Sozialgericht Karlsruhe in der Sache neu entscheiden, da das BVerfG bereits entschieden hat!
Ende Juni wird nun das Sozialgericht Karlsruhe erneut entscheiden, ob die Bürgergeld- Erhöhungen die Kaufkraftverluste in früheren Jahren ausgeglichen haben und ob der Regelsatz in 2021/2022 u. 2023 verfassungskonform war.
Die Richter des Sozialgerichts Karlsruhe verneinen das und beziehen sich insoweit auf Berechnungen von I. Becker in: Bürgergeld: Erhöhungen gleichen Kaufkraftverluste in früheren Jahren nicht aus. Kurzexpertise im Auftrag des Paritätischen Gesamtverbands, 2024, S. 8 (zitiert nach: A. Lenze, in: Die unendliche Geschichte – Die Anpassung der Regelbedarfe als politisches Aufregerthema, info also 2025, 51, beck-online).
Wir von gegen-hartz.de schließen uns dieser Meinung an und unterstützen diese Sache!
Wir dürfen gespannt sein, wie nun das Sozialgericht Karlsruhe entscheiden wird und ob die Verfassungsmäßigkeit vom Bundesverfassungsgericht überprüft wird. Wir von gegen-hartz.de drücken allen Betroffenen die Daumen.
Praxistipp
Bürgergeld: Erhöhungen gleichen Kaufkraftverluste in früheren Jahren nicht aus (Kurzexpertise von Dr. Irene Becker)
Zusammenfassung und Einordnung aus Paritätischer Perspektive
Die entscheidenden Aussagen:
1. In den drei Jahren 2021 bis Ende 2023 haben die Leistungsbeziehenden in der Grundsicherung / Bürgergeld massive Kaufkraftverluste erlitten. Besonders gravierend waren die Kaufkraftverluste in den beiden Jahren 2022 und 2023 – auch bei Gegenrechnung der Einmalleistung 2022 (Energiepreispauschale für Erwerbstätige und Rentner/innen).
Trotz der in der Öffentlichkeit gelegentlich als „hoch“ bezeichneten Anpassung mit der Einführung des Bürgergelds um 11,7 Prozent zum 1. Januar 2023 ergibt sich in der Gesamtbetrachtung des Jahres ein massiver Kaufkraftverlust.
Zur Vermeidung eines Kaufkraftverlustes hätte der Regelbedarf für eine alleinstehende Person bereits im Januar 2023 bei 527 Euro statt 503 Euro liegen müssen.