Nicht selbstgenutztes Haus dennoch Anspruch auf Bürgergeld

Zu Wohnzwecken für einen Behinderten in der Bedarfsgemeinschaft vor 11 Jahren beschafftes, nicht selbst bewohntes Hausgrundstück kann im Einzelfall geschütztes Vermögen beim Bürgergeld sein.

Vermögensschutz ist im Einzelfall anzuerkennen, wenn die Beschaffung und Erhaltung einer Immobilie für Wohnzwecke behinderter oder pflegebedürftiger Menschen dient.

Die Wohnung muss nicht ausschließlich zu diesem Zweck bestimmt sein, es genügt, dass eine behinderte oder pflegebedürftige Person dort wohnen und betreut werden soll.

Geschütztes Vermögen kann vorliegen, auch wenn trotz Kauf des Hauses vor 11 Jahren das Grundstück von den Klägern immer noch nicht bewohnt wird, aber unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls und einer günstigen Prognose der – baldige Einzug – ( in einem Zeitraum von einem bis anderthalb Jahren ) erfolgt.

Mit einer wegweisenden Entscheidung gibt das Gericht bekannt, dass Anspruch auf Bürgergeld besteht, auch wenn das Haus nicht selbst von den Antragstellern bewohnt werde.

Denn es sei nicht zu berücksichtigendes Vermögen zur “baldigen” Beschaffung oder Erhaltung eines Hausgrundstücks ( § 12 Abs. 1 Nr. 6 SGB 2 ).

Danach gilt:

Beschaffung und Erhaltung einer Immobilie für Wohnzwecke behinderter oder pflegebedürftiger Menschen

Vermögen ist nicht zu berücksichtigen, solange es nachweislich zur baldigen Beschaffung oder Erhaltung eines Hausgrundstücks oder einer Eigentumswohnung von angemessener Größe bestimmt ist, und das Hausgrundstück oder die Eigentumswohnung Menschen mit Behinderungen oder pflegebedürftigen Menschen zu Wohnzwecken dient oder dienen soll und dieser Zweck durch den Einsatz oder die Verwertung des Vermögens gefährdet würde.

Ausnahmsweise wird für die Personengruppe der behinderten und pflegebedürftigen Menschen sowie für sie einsatzpflichtige Personen bereits Vermögen privilegiert, das erst der zukünftigen Befriedigung des Grundbedürfnisses Wohnen dienen soll.

Nach vorherrschender Auffassung aus der Literatur und Rechtsprechung muss der Vermögensinhaber nicht selbst der Behinderte oder Pflegebedürftige sein, da sich dies aus dem Wortlaut nicht zwingend ergibt und auch vom Sinn und Zweck her geboten erscheint. Denn andernfalls könnten Eltern keinen Schutz für Vermögen genießen, was sie für ihr behindertes Kind einsetzen wollen.

Der Kläger war hier Teil der Bedarfsgemeinschaft und durch eine wesentliche Behinderung im Sinne des § 2 SGB IX wesentlich in seiner Fähigkeit eingeschränkt, an der Gesellschaft teilzuhaben.

Er war Bezieher einer Erwerbsminderungsrente und schwerbehindert mit einem Grad der Behinderung von 90, wobei keine Merkzeichen wie G oder aG anerkannt waren.

Die Vorschrift verlangt aber keine besondere Schwere der Behinderung. Nach dem Vortrag der Klägerin des Klägers ist es so, dass die Immobilie gerade auch den Wohnzwecken des behinderten Klägers dienen sollte.

Auch die zeitliche Voraussetzung der Vorschrift – „baldige“ Schaffung oder Erhaltung – war hier erfüllt

Denn eine baldige Beschaffung bedarf einer zielgerichteten und realistischen Planung, bei der zwar eine bestimmte Zeitgrenze nicht gefordert ist, jedoch dennoch ein zügiges Agieren verlangt wird.

Ist Ihr Bürgergeld-Bescheid korrekt?

Lassen Sie Ihren Bescheid kostenlos von Experten prüfen.

Bescheid prüfen

Dazu ausführlich das Gericht

“Ein Jahr gilt als Richtschnur für eine Maßnahme. Nur bei besonderen Umständen wird noch eine Zeitspanne von ein bis anderthalb Jahren als „baldiger“ Erwerb/“baldige“ Instandhaltung angesehen.”

Auch die Bundesagentur geht grundsätzlich davon aus, dass ein Kaufvertrag innerhalb eines Jahres abgeschlossen bzw. eine Erhaltungsmaßnahme innerhalb dieser Zeitspanne begonnen worden sein müsste. Verlängerung komme im Falle zwingender Gründe in Frage (vgl. fachliche Weisung, § 12 SGB II Rn. 12.34).

Schließlich ist es nicht Schutzzweck der Norm, Vermögensaufbau zu fördern, sondern Vermögen vorübergehend zu schützen, um die zeitnahe Befriedigung des Wohnbedarfs Behinderter in Eigenregie zu ermöglichen. Die Umstände des Einzelfalles werden bei der Beurteilung zu würdigen sein.”

Trotz Kauf des Grundstückes etwa – 11 Jahre vorher – war das Haus nach wie vor nicht von den Klägern bewohnt.

Aber inzwischen waren erhebliche Sanierungsarbeiten vorgenommen worden, die prognostisch eine baldige Nutzung in einem Zeitraum von einem bis anderthalb Jahren erwarten ließen. Die Kläger hatten in der Vergangenheit nur sehr langsam Fortschritte bei der Sanierung erzielt, da immer nur etwas am Bau gemacht werden konnte, wenn Geld übrig war.

Das Tempo der Sanierung schritt ab 2016 aber deutlich voran. Auch der Kläger erzielte nunmehr Einkünfte aus einem Minijob. Zwar waren noch erhebliche Restarbeiten durchzuführen, gleichwohl ist eine günstige Prognose bei Würdigung aller Umstände des Einzelfalles gerechtfertigt gewesen.

Nach Auffassung des Gerichts war in diesem Einzelfall trotzdem der Vermögensschutz gegeben.

Praxistipp zum SGB XII – § 90 Abs. 2 Nr. 3 SGB XII

Zur Verwertung einer Kapitallebensversicherung für den Kauf einer Immobilie, wenn sie nicht dem Schutzbereich des § 90 Abs. 2 Nr. 3 SGB XII unter fällt aufgrund fehlender Zweckbindung – aktuell LSG NRW Az. L 2 SO 1694/24

“Auch wenn der der Antragsteller in einem an das vorgenannte Versicherungsunternehmen gerichteten und von ihm der Antragsgegnerin vorgelegten Schreiben vom 3. Oktober 2022 mitgeteilt hat, dass dieses Geld in den Kauf einer Immobilie fließen solle, folgt daraus nicht das Entfallen der Verwertungsobliegenheit aus § 90 Abs. 1 SGB XII.

Insbesondere unter fällt es nicht dem Schutzbereich des § 90 Abs. 2 Nr. 3 SGB XII, der ein sonstiges Vermögen von der Verwertung ausnimmt, das nachweislich zur baldigen Beschaffung oder Erhaltung eines Hausgrundstücks im Sinne der Nummer 8 des § 90 Abs. 2 SGB XII bestimmt ist, soweit dieses Wohnzwecken von Menschen mit einer wesentlichen Behinderung oder einer drohenden wesentlichen Behinderung (§ 99 Absatz 1 und 2 des SGB IX]) oder von blinden Menschen (§ 72 XII) oder pflegebedürftigen Menschen (§ 61 SGB XII) dient oder dienen soll und dieser Zweck durch den Einsatz oder die Verwertung des Vermögens gefährdet würde.

Denn es liegen keine Anhaltspunkte für eine derartige Zweckbindung der Versicherungsleistung vor.”

Anmerkung vom Sozialrechtsexperten von Tacheles e. V.

1. Dazu gibt es leider nur sehr wenige Entscheidungen im Sozialrecht, diese Einzelfallentscheidung ist aber schon bemerkenswert, denn trotz Kauf des Grundstückes etwa – 11 Jahre vorher – war das Haus nach wie vor nicht von den Klägern bewohnt, gleichwohl war eine günstige Prognose bei Würdigung aller Umstände des Einzelfalles für das Gericht gerechtfertigt gewesen.

2. Die Beschaffung eines Hausgrundstückes oder einer Eigentumswohnung behinderter und pflegebedürftiger Menschen schließt nicht nur den Erwerb oder den Neubau ein, sondern auch den Aus- oder Anbau, den Abschluss eines Erbbauvertrages oder den Erwerb eines Dauerwohnrechts sowie auch die zweckentsprechende Ausstattung.

Die Erhaltung umfasst das Instandsetzen und Instandhalten, worunter auch zweckdienliche Verbesserungen (z. B. umweltgerechte Heizungsanlage, Wärmeisolierung) fallen, nicht aber reine Verschönerungsmaßnahmen.

3. Der Schutz des Vermögens setzt voraus, dass durch den Einsatz oder die Verwertung des Vermögens, der Wohnzweck zugunsten des behinderten oder pflegebedürftigen Menschen gefährdet würde. Dies wäre zum Beispiel der Fall, wenn durch die Verwertung des Vermögens, die erforderlichen Pflege- bzw. Heilmaßnahmen nicht oder nicht in erforderlichem Umfang durchgeführt werden könnten.