Liebe siegte – Auch bei nur kurzer Ehe Anspruch auf kleine Witwenrente- Gerichtshammer
Ein Witwer musste dem Gericht beweisen, dass er nur aus Liebe zu seinem Ehegatten geheiratet hat – Beweis schwierig – aber nicht unmรถglich!
Denn auch bei einer im Zeitpunkt der Heirat vorliegenden schweren Erkrankung mit ungรผnstiger Verlaufsprognose und Kenntnis beider Ehegatten davon ist der Nachweis nicht ausgeschlossen, dass aus anderen als aus Versorgungsgrรผnden geheiratet wurde (SG Stuttgart, Gerichtsbescheid vom 29.11.2024- S 24 R 4315/21- n. v. ).
Mit dem Tod seines schwer erkrankten Lebensgefรคhrten begann fรผr den Witwer nun der Kampf mit der Rentenversicherung, welchen der Mann aber schlieรlich gewann.
Dem Gericht musste er beweisen, dass diese Ehe trotz der schweren Erkrankung seines Lebensgefรคhrten – gerade nicht nur aus Rentengrรผnden geschlossen worden war.
Das SG Stuttgart urteilte zu Gunsten des Ehemannes
Verstirbt eine Ehegattin oder ein Ehegatte innerhalb eines Jahres nach der Eheschlieรung, vermutet das Gesetz eine Versorgungsehe, die den Anspruch auf eine Witwen- bzw. Witwerrente ausschlieรt.
Dem Hinterbliebenen obliegt es jetzt den Beweis vor Gericht an zufรผhren, dass trotz der schweren Krankheit der Rentenanspruch nicht der Grund fรผr die Ehe war.
Denn auch bei einer im Zeitpunkt der Heirat vorliegenden schweren Erkrankung mit ungรผnstiger Verlaufsprognose und Kenntnis beider Ehegatten davon ist der Nachweis nicht ausgeschlossen, dass aus anderen als aus Versorgungsgrรผnden geheiratet wurde ( SG Stuttgart, Gerichtsbescheid vom 29.11.2024- S 24 R 4315/21- ).
Begrรผndung
Die Ehe zwischen dem Klรคger und dem Versicherten hat vom 27.03.2020 bis zum 06.06.2020 und damit weniger als ein Jahr gedauert.
Die Annahme des anspruchsausschlieรenden Vorliegens einer Versorgungsehe bei einer Ehedauer von nicht mindestens einem Jahr ist nach dem Ausnahmetatbestand des ยง 46 Abs. 2a Halbsatz 2 SGB VI nur dann nicht gerechtfertigt, wenn die Gesamtbetrachtung und Abwรคgung der Beweggrรผnde beider Ehegatten fรผr die Heirat ergibt, dass die von der Versorgungsabsicht verschiedenen Beweggrรผnde insgesamt gesehen den Versorgungszweck รผberwiegen oder – da der Wortlaut auf den – alleinigen oder รผberwiegenden Zweck der Heirat – abhebt – zumindest gleichwertig sind.
Es ist darum auch nicht zwingend, dass bei beiden Ehegatten andere Beweggrรผnde als Versorgungsgesichtspunkte fรผr die Eheschlieรung ausschlaggebend waren.
Vielmehr sind die von der Versorgungsabsicht verschiedenen Beweggrรผnde in ihrer Gesamtbetrachtung auch dann noch als zumindest gleichwertig anzusehen, wenn nachweislich fรผr einen der Ehegatten der Versorgungsgedanke bei der Eheschlieรung keine Rolle gespielt hat (BSG, Urteil vom 05.05.2009, Az. B 13 R 55/08 R – ).
Eine gewichtige Bedeutung kommt hierbei stets dem Gesundheits- bzw. Krankheitszustand des Versicherten zum Zeitpunkt der Eheschlieรung zu
Denn litt der Versicherte zum Zeitpunkt der Eheschlieรung offenkundig bereits an einer lebensbedrohlichen Krankheit, ist in der Regel der Ausnahmetatbestand des ยง 46 Abs. 2a Halbsatz 2 SGB VI nicht erfรผllt (BSG, Urteil vom 05.05.2009, Az. B 13 R 55/08 R; Landessozialgericht Baden-Wรผrttemberg, Urteil vom 16.10.2012, Az. L 11 R 392/11 -).
Die Widerlegung der gesetzlichen Vermutung fordert nach ยง 202 SGG i.V.m. ยง 292 Zivilprozessordnung (ZPO) den vollen Beweis des Gegenteils und damit einen der Gewissheit nahekommenden Grad der Wahrscheinlichkeit
Vorliegend litt der Versicherte zum Zeitpunkt der Heirat offenkundig an einer weit fortgeschrittenen lebensbedrohlichen Erkrankung. Es mรผssen besonders gewichtige innere und รคuรere Umstรคnde vorliegen, die im Rahmen der Gesamtabwรคgung gegen eine Versorgungsehe sprechen. Derartige, hinreichend gewichtige gegen eine Versorgungsehe sprechende Umstรคnde sind hier zur รberzeugung der Kammer nachgewiesen.
Das Gericht fรผhrt dazu aus
” So stand zumindest bei dem Klรคger zur รberzeugung der Kammer im Vordergrund, die Liebesbeziehung zu dem Versicherten zu besiegeln und ihre Zusammengehรถrigkeit durch Heirat nach auรen zu zeigen. Er hat insofern vor der Kammer glaubhaft dargelegt, es sei ihm darauf angekommen, die von ihm als auรerordentlich glรผcklich empfundene Liebesbeziehung zu besiegeln und deutlich sichtbar zu bestรคtigen. Nach seiner Angabe sei das auch bei dem verstorbenen Versicherten der Fall gewesen, der bereits seit Jahren eine Heirat vorgeschlagen habe.
Der Wunsch, die beiderseitigen Liebesbeziehung nach einigen Jahren des eheรคhnlichen Zusammenlebens durch eine Heirat zu bestรคtigen und sie damit auch formal und rechtlich zu manifestieren, ist grundsรคtzlich geeignet, einen besonderen Umstand anzunehmen (BSG, Urteil vom 06.05.2010, B 13 R 134/08 R, juris). Insofern stellt sich die Heirat hier als konsequente Verwirklichung eines bereits vor Erlangung der Kenntnis von der lebensbedrohlichen Krankheit bestehenden Entschlusses dar.
Der Klรคger und der Versicherte hatten konkrete Plรคne zur Heirat und unternahmen entsprechende Vorbereitungen dafรผr, bevor sie von der lebensbedrohlichen Erkrankung des Versicherten erfuhren.”
Besonderheit des Falls war
Das dabei zu berรผcksichtigen war, dass es sich nicht um eine (den Beteiligten bekannte) jahrelange Tumorerkrankung handelte, in deren Verlauf der Heiratsentschluss gefasst wurde, sondern dass es sich bei der Entdeckung des nicht kurativ behandelbaren Hirntumors des Versicherten um einen Zufallsfund nach einem Verkehrsunfall handelte.
Heiratsplรคne begannen – nachweislich – noch vor der Erkrankung – Gegenbeweis war schwer fรผr den Witwer – aber nicht unmรถglich
Den Heiratsentschluss aus der Vorweihnachtszeit begannen der Klรคger und der Versicherte dann auch in die Tat umzusetzen, und zwar ebenfalls bevor sie von der Erkrankung des Versicherten erfuhren. Die konkrete Heiratsplanung und -vorbereitung stand insofern ebenfalls nicht unter dem Eindruck, die Heirat noch vor dem Tod des Versicherten durchfรผhren zu kรถnnen.
So hat der Klรคger nachgewiesen, dass er die Beschaffung der notwendigen Urkunden fรผr die Heirat, nรคmlich die Anforderung seiner Geburtsurkunde und einer beglaubigten รbersetzung fรผr diese, bereits im Juni 2019 und damit ebenfalls vor Diagnosestellung Ende Juli 2019 beauftragte.
Die beglaubigte รbersetzung der Geburtsurkunde im Juni 2019 wurde nur bei der Eheschlieรung verwendet; die Beschaffung lรคsst keinen anderen Sinn zu und ist insofern geeignet, einen konkreten Heiratsentschluss bereits vor Diagnosestellung im Juli 2019 nachzuweisen (vgl. zu einem vergleichbaren Sachverhalt LSG Baden-Wรผrttemberg, Urteil vom 09.10.2019, Az. L 2 R 3931/18 – ).
Die Heiratsplรคne wurden auch Freunden und Bekannten mitgeteilt, wie die Zeugin bestรคtigte, der der Versicherte in einem Telefonat im Mรคrz 2019 von den Heiratsplรคnen berichtete.
Fazit
In der Gesamtschau ergeben die inneren Motive bei der vorliegenden objektiven Konstellation zur รberzeugung der Kammer nachvollziehbar und glaubhaft das Bild, dass nicht der Versorgungswunsch, sondern die Verwirklichung des langgehegten Heiratswunsches das zumindest gleichwertig leitende Motiv fรผr die Eheschlieรung war. In der Gesamtbetrachtung sieht die Kammer die dargelegten anderen Motive daher als zumindest gleichwertig zur unterstellten Versorgungsabsicht an.
Dem Witwer sprach man nun die kleine Rente zu.
Nichts ist unmรถglich, wenn man die richtigen Beweise anfรผhren kann, in diesem Fall siegte die Liebe!