Was der Fall aus Köln zeigt: Ein Fallbeispiel aus dem Jobcenter aus dem Blickwinkel des Rechtsanwalts Norbert May
Eine alleinerziehende Mutter aus Köln erhielt über mehrere Monate keine Bürgergeldleistungen. Grund waren laut Jobcenter „fehlende Mitwirkungshandlungen“. Doch jetzt – nach langem Kampf und anwaltlicher Unterstützung – bekam sie über 10.000 Euro nachgezahlt.
Der Fall zeigt, wie schnell Menschen zwischen Pflichten und Bürokratie zerrieben werden. Und er zeigt auch: Nicht nur Bürger müssen mitwirken – auch das Jobcenter hat klare Pflichten. Mitwirkungspflicht – ja. Aber Überforderung ist kein Versagen.
Inhaltsverzeichnis
Mitwirkungspflicht der Antragstellerin auch bei psychischer Überforderung?
Natürlich müssen Antragsteller alle erforderlichen Angaben machen und Unterlagen beibringen. Das steht in § 60 SGB I. Doch was ist, wenn jemand alleinerziehend ist, psychisch belastet, Kinder versorgen muss – und mit Formularen völlig überfordert ist?
Die Pflicht endet dort, wo eine Person erkennbar überfordert ist oder die Behörde ihrer Beratungs- und Unterstützungspflicht nicht nachkommt. Denn das Gesetz sagt auch klar:
Behörden dürfen Menschen nicht im Regen stehen lassen.
Das Jobcenter hat nicht nur Ansprüche zu prüfen, sondern auch aktiv zu unterstützen. Das heißt:
Nicht nur die alleinerziehende Mutter musste mitwirken – das Jobcenter musste auch helfen. Dafür gibt es klare gesetzliche Grundlagen:
• Aufklären und erklären: verständliche Information über Rechte, Pflichten & notwendige Unterlagen (§ 13 SGB I)
• Persönlich beraten: individuelle Hinweise, wie Ansprüche geltend gemacht oder Unterlagen beschafft werden können (§ 14 SGB I und § 14 SGB II)
• Hilfe anbieten: konkrete Unterstützung, wenn jemand Vorgänge nicht selbst bewältigen kann (§ 17 SGB I)
• Von sich aus ermitteln: Behörde muss selbst ermitteln und darf sich nicht passiv auf fehlende Unterlagen berufen (§ 20 SGB X)
• Leistungen nur in Ausnahmefällen komplett verweigern: Verhältnismäßigkeit bei Leistungsversagung (§ 66 SGB I)
“Gerichte sagen klar: Das Jobcenter muss helfen!”, so Rechtsanwalt Norbert May, an den sich die Dame verzweifelt wandte und der sie gegen das Jobcenter Köln und beim Sozialgericht vertreten hat.
Anmerkungen von RA May:
“Das Jobcenter hat erst jetzt Ende Oktober rückwirkend Leistungen ab Februar freigemacht, verschanzte sich hinter “fehlender Mitwirkung”, forderte teilweise unzulässig doppelt Unterlagen und Nachweise.
Die Mandantin war mit diesen Anforderungen sichtlich überfordert, erst recht als die Kündigung der Wohnung erfolgte, weil sie die Miete nicht zahlen konnte. Dabei ist es dem Jobcenter generell möglich bei unklaren oder noch nicht ganz aufgeklärtem Sachverhalt, unter Beachtung der Verhältnismäßigkeit (§ 66 SGB I) zunächst eine vorläufige Entscheidung gem. § 41a Abs. 1 SGB II zu treffen oder wenigstens ein Darlehen zu bewilligen, anstatt wie hier erfolgte, die Leistungen ganz zu versagen.
Man hätte der Mutter und ihrem Kind also sicher eher helfen können und nicht erst jetzt, nachdem ein Eilantrag vor dem Sozialgericht notwendig wurde.
Bei der Versagung von Bürgergeld muss das Jobcenter Ermessen ausüben
Die Versagung von Leistungen wegen fehlender Mitwirkung steht nämlich im Ermessen der Behörde. So ist beispielhaft auf die Ausführungen des SG Augsburg im Urteil v. 08.11.2023 – S 3 AS 308/23 hinzuweisen:
“Sowohl bei der Entziehung als auch bei der Versagung der Leistung handelt es sich (… kann …) um Ermessenentscheidungen und zwar sowohl hinsichtlich des „Ob“ als auch des Umfanges der Versagung oder Entziehung (Voelzke in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB I, 3. Aufl., § 66 SGB I (Stand: 02.12.2022), Rn. 66).“
Lassen Sie Ihren Bescheid kostenlos von Experten prüfen.
Bescheid prüfenZumutbarkeit der Mitwirkung
Mit § 65 Abs. 1 Nr. 2 SGB I wird bei der Mitwirkung dahingehend eine Grenze gesetzt, dass die Zumutbarkeit beachtet werden muss. Kann ein Betroffener aus einem wichtigen Grund die Mitwirkungspflicht nicht erfüllen, besteht hierzu auch keine Pflicht.
So auch zu lesen in den Fachlichen Weisungen zu den §§ 60 – 67 SGB I der Bundesagentur für Arbeit in Rn 60.29 ff.
Die wichtigen Gründe im Sinne des § 65 Abs. 1 Nr. 2 SGB I können beim Betroffenen beispielsweise dann vorliegen, wenn eine Krankheit des Leistungsberechtigten ihn zur Mitwirkung hindert, wenn eine Unabkömmlichkeit im Beruf besteht oder wenn schwierige familiäre und häusliche Verhältnisse vorliegen.”
Vermieterin zeigte großes Herz und nahm Kündigung zurück
RA May weiter: “Der Fall zeigt die Grenzen der Mitwirkungspflicht und betont auch die Pflicht des Jobcenters zur Unterstützung. Nachdem dieses endlich nach Monaten des Wartens die Leistungen rückwirkend für die Mandantin und ihr Kind bewilligt hatte, konnte das Eilverfahren beim Sozialgericht erledigt und die Wohnung gerettet werden, die Vermieter zeigten Herz und haben die Kündigung zurückgenommen, nachdem die Mandantin die Miete nun endlich nachzahlen konnte.”
Was kann man daraus lernen?
• Bürger haben Rechte, nicht nur Pflichten.
• Wenn man allein überfordert ist, kann Hilfe lohnen.
• Nachzahlungen und ggf. Zinsen sind möglich (§ 44 SGB I).
Fazit: Sozialstaat bedeutet Unterstützung – nicht Bestrafung von Überforderung.
Anmerkung vom Bürgergeld Experten Detlef Brock
Dieses aktuelle Fallbeispiel aus dem Jobcenter Köln zeigt sehr schön, wie man Antragsteller im Rahmen ihrer Mitwirkungspflicht völlig überfordert und das Jobcenter keine Unterstützung beziehungsweise Beratung gewährt.
Das ist aber rechtswidrig und führt in vielen Fällen dazu, dass die Betroffenen ihre Wohnung verlieren, in noch mehr Armut getrieben werden und was das mit den betroffenen Kindern macht, will man hier gar nicht schildern. In diesem Einzelfall hatte die Alleinerziehende eine Vermieterin mit Herz, denn sie nahm die Kündigung zurück.
Nach der Rechtsprechung gilt:
Jedem steuerfinanzierten „Kundenberater“ jedes steuerfinanzierten „Jobcenters“ ist es zuzumuten, seinen königlichen „Kunden“ bei Bedarf „Kundengespräche“ in wertschätzendem Ton anzubieten und wohlwollend um ihre Mitwirkung zu werben.
Jobcenter dürfen von Leistungsbeziehern nichts Unmögliches verlangen
Wenn von einer Bürgergeld-Leistungsempfängerin vom Jobcenter etwas subjektiv Unmögliches verlangt wird, so ist eine Mitwirkungsobliegenheit zu verneinen ( LSG BB Az. L 29 AS 520/22 B ER und LSG NSB Az. L 7 AS 772/07 ER ).
Bei der Versagung von Bürgergeld muss das Jobcenter „ Ermessen „ ausüben ( LSG NSB, Urteil vom 08.10.2025 – L 13 AS 241/23 – ).
Eine Versagung/Entziehung von Bürgergeld/ Grundsicherung ist immer rechtswidrig bei Überschreitung der Mitwirkung des Leistungsempfängers.



