GEZ Klage erringt Etappensieg: Was das Urteil für Rundfunkbeitrag-Zahler künftig bedeutet

Das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig hat eine Entscheidung getroffen, die den rechtlichen Rahmen rund um den öffentlich-rechtlichen Rundfunk (ÖRR) spürbar verschiebt. Wer ARD und ZDF mit nachvollziehbaren Gründen für einseitig hält, kann künftig nicht nur Programmbeschwerden einreichen, sondern den Klageweg zu den Verwaltungsgerichten beschreiten.

Verfassungswidrig wird der Rundfunkbeitrag danach, wenn das Gesamtangebot des ÖRR über einen längeren Zeitraum „gröblich“ das verfassungsrechtliche Ziel von Vielfalt und Ausgewogenheit verletzt. Die Hürde ist hoch, der Weg aber grundsätzlich geöffnet – mit möglichen Folgen weit über den Einzelfall hinaus.

Was das Urteil konkret bedeutet

Bislang galt: Bürgerinnen und Bürger zahlen den Rundfunkbeitrag für die Möglichkeit, die Angebote des ÖRR zu empfangen. Wer Defizite bei Ausgewogenheit oder Vielfalt sah, sollte sich an die Rundfunkräte wenden und dort Programmbeschwerden einlegen. Verwaltungsgerichte erklärten wiederholt, eine weitergehende Klage sei unzulässig.

Daran rüttelt der Leipziger Richterspruch nun. Die Verwaltungsgerichte dürfen den Rundfunkbeitrag zwar nicht selbst kippen. Sie können jedoch – sofern sie von einer groben und anhaltenden Verletzung des Funktionsauftrags überzeugt sind – das Bundesverfassungsgericht anrufen. Nur dort kann festgestellt werden, dass die verfassungsrechtliche Rechtfertigung für die Beitragspflicht entfallen ist.

Der neue Klageweg und seine Schwelle

Der Weg durch die Verwaltungsgerichtsbarkeit wird nicht zum Schnellverfahren gegen missliebige Sendungen. Klägerinnen und Kläger müssen substantiiert darlegen, dass der ÖRR seine Pflicht zu Vielfalt und Ausgewogenheit über einen längeren Zeitraum evident und regelmäßig verfehlt hat. Das Gericht betont, dass hierfür in der Regel ein wissenschaftliches Gutachten nötig ist.

Außerdem geht es nicht um einzelne Formate, sondern um das „Gesamtprogrammangebot“ – also Fernsehen, Hörfunk und Online-Angebote in ihrer Gesamtschau. Erst wenn ein Gericht überzeugt ist, dass diese Anforderungen mindestens zwei Jahre lang „gröblich“ verletzt wurden, kommt eine Vorlage an das Bundesverfassungsgericht in Betracht.

Die Richterinnen und Richter in Leipzig verweisen ausdrücklich auf die Leitplanken aus Karlsruhe. Das Bundesverfassungsgericht hat den Rundfunkbeitrag 2018 grundsätzlich gebilligt und damit zugleich das damalige Programmangebot nicht in Frage gestellt.

Vor diesem Hintergrund sprach der Vorsitzende Richter Ingo Kraft nun von einer hohen Hürde und äußerte Zweifel, ob die aktuelle Klägerin mit ihrer Argumentation eine Vorlage nach Karlsruhe erreichen kann. Die Botschaft ist doppelt: Der Weg ist offen, aber er führt nur über einen eng definierten Grat.

Der Fall aus Bayern als Ausgangspunkt

Ausgelöst wurde das Verfahren durch die Klage einer bayerischen Antragstellerin, die anonym bleiben möchte. Sie engagiert sich in der Initiative „Leuchtturm ARD“ und kritisierte die Berichterstattung des ÖRR unter anderem zu den Corona-Maßnahmen sowie zum russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine.

Die Initiative verweist darauf, den ÖRR und den Beitrag nicht grundsätzlich abzulehnen, sondern auf Ausgewogenheit zu dringen. In Bayern war die Klägerin mit ihrem Anliegen zunächst gescheitert; auch Gerichte anderer Länder verwiesen bislang auf den inneren Kontrollweg über die Rundfunkräte. Diese Linie trägt nach der Leipziger Entscheidung so nicht mehr.

Programmbeschwerde bleibt – aber nicht mehr exklusiv

Die Möglichkeit der Programmbeschwerde bleibt zentraler Bestandteil der publizistischen Selbstkontrolle. Tatsächlich hat die Zahl solcher Eingaben zuletzt deutlich zugenommen, auch befördert durch systemkritische zivilgesellschaftliche Gruppen.

Beim ZDF gingen 2024 rund 2.000 individuelle Programmbeschwerden ein; etwa hundert davon wurden als substanziell eingestuft. In rund zehn Fällen räumte Intendant Norbert Himmler Fehler ein und kündigte Korrekturen an. Diese Zahlen zeigen, dass interne Korrekturmechanismen greifen können. Neu ist, dass sie nicht länger als alleiniger Rechtsweg gelten, wenn gewichtige, gutachterlich unterfütterte Vorwürfe zur Gesamtausrichtung im Raum stehen.

Reaktionen der Beteiligten

Die juristische Einschätzung fällt unterschiedlich aus. Der Anwalt der Klägerin, Harald von Herget, wertete den Richterspruch als Erfolg und kündigte weitere Schritte an. Er regte an, der Bayerische Verwaltungsgerichtshof könne selbst ein Gutachten zur Ausgewogenheit des ÖRR in Auftrag geben.

Auf Seiten der Anstalten betonte Sabine Mader, Leiterin der Rechtsabteilung des Bayerischen Rundfunks, das Gericht habe klargestellt, dass der Rundfunkbeitrag nicht verweigert werden könne, nur weil einzelne Sendungen nicht gefallen.

Kommt es jetzt zur einer GEZ-Klagewelle?

Die Entscheidung dürfte über die juristische Fachwelt hinaus Resonanz erzeugen. Beobachter rechnen damit, dass insbesondere AfD- und BSW-nahe Kreise den neuen Pfad prüfen und nutzen werden.

Ob daraus eine tatsächliche Klagewelle entsteht, hängt maßgeblich davon ab, ob die nötigen wissenschaftlichen Nachweise vorgelegt werden können, die die strengen Kriterien des Gerichts erfüllen. Die Öffnung des Rechtswegs bedeutet nicht, dass sich politische Kampagnen vor Gericht automatisch in Erfolg übersetzen lassen. Sie verlangt Belege, Methodik und eine Gesamtschau über mindestens zwei Jahre.

Welche Belege künftig zählen dürften

Im Hinblick auf kommende Verfahren wird die Qualität der vorgelegten Gutachten im Fokus stehen. Erforderlich ist eine systematische, methodisch transparente Inhaltsanalyse, die den publizistischen Gesamtauftrag des ÖRR abbildet: Bandbreite der Themen, Pluralität der Perspektiven, Repräsentation gesellschaftlicher Gruppen, Distanz zu Akteuren aus Politik und Wirtschaft sowie Korrektur- und Transparenzstandards.

Studien, die nur einzelne Beiträge herausgreifen oder auf Online-Quellen basieren, werden die gerichtliche Schwelle kaum nehmen. Gefragt ist vielmehr eine empirisch belastbare, intersubjektiv nachvollziehbare Bewertung der Programmrealität über alle Verbreitungswege.

Der sechste Senat im Blick der Öffentlichkeit

Dass ausgerechnet der sechste Senat entschied, verleiht dem Fall zusätzliche Aufmerksamkeit. In jüngerer Zeit sorgte er mit unterschiedlichen Entscheidungen für Schlagzeilen: Im Juni erklärte er das Verbot der rechtsextremen Zeitschrift „Compact“ für rechtswidrig, im Juli wies er die Beschwerde der AfD gegen ihre Einstufung als rechtsextremistischer Verdachtsfall zurück.

Streit um Standards statt um Geschmack

Die Leipziger Entscheidung verlagert den Streit weg von Geschmacksfragen und hin zu Standards, Messbarkeit und Dauer. Wer die Ausgewogenheit des ÖRR anzweifelt, muss dafür künftig nicht nur lautstark, sondern vor allem methodisch sauber argumentieren. Wer den Beitrag verteidigt, wird umso stärker darlegen, wie der Auftrag der Vielfalt im Alltag, in Redaktionen und Programmen konkret eingelöst wird.

Damit setzt das Bundesverwaltungsgericht ein Signal: Nicht einzelne kontroverse Beiträge sind der Maßstab, sondern die nachprüfbare Gesamtleistung eines Systems, das sich seiner öffentlichen Finanzierung und Verantwortung bewusst sein muss. (BVerwG 6 C 5.24 (Urteil vom 15.10.2025)