Erwerbsminderungsrente verweigert: LSG hebt Entscheidung wegen Ermittlungsfehlern auf

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Die Klage auf eine Erwerbsminderungsrente wurde laut dem Landessozialgericht (LSG) Baden-Württemberg nicht korrekt bearbeitet. Das LSG entschied, dass das Sozialgericht (SG) Karlsruhe nicht ausreichend zur Aufklärung der Tatsachen beigetragen und dabei die Ermittlungspflicht nicht eingehalten hat. (AZ: L 8 R 1633/22 )

Hintergrund des Falles

Der 1966 geborene Antragsteller, zuletzt als Gipser beschäftigt, erlitt am 8. November 2019 eine schwere ventrikuläre Tachykardie (Herzrasen), die eine Reanimation erforderlich machte. Aufgrund dieser und weiterer gesundheitlicher Einschränkungen beantragte der Betroffene eine Erwerbsminderungsrente.

Er nahm ab Januar 2021 an einer stationären Rehabilitation teil, wobei erhebliche Einschränkungen diagnostiziert wurden, die seine berufliche Leistungsfähigkeit beeinträchtigten.

Das zuständige Landratsamt stellte mit Bescheid vom 15.10.2020 einen Grad der Behinderung von 50 seit dem 09.06.2020 aufgrund der Funktionseinschränkungen des Klägers fest.

Rentenversicherung lehnt Antrag zur Erwerbsminderungsrente ab

Die beklagte Rentenversicherung meinte, dass der Antragsteller noch in der Lage sei, mindestens sechs Stunden täglich leichte Tätigkeiten auszuführen. Der Antrag auf Gewährung einer Erwerbsminderungsrente wurde daher abgelehnt.

Der Antragsteller legte Widerspruch ein und brachte vor, dass seine kognitiven Einschränkungen, Bewegungseinschränkungen sowie die starken Schwindel- und Kopfschmerzen seine Arbeitsfähigkeit stark beeinflussen. Dieser Widerspruch wurde jedoch ebenfalls abgelehnt, woraufhin der Betroffene Klage beim Sozialgericht Karlsruhe einreichte.

Entscheidung des Sozialgerichts Karlsruhe

Das Sozialgericht Karlsruhe entschied im Mai 2022, dass der Antragsteller trotz seiner gesundheitlichen Einschränkungen weiterhin arbeitsfähig sei und lehnte die Klage ab. Es stützte sich dabei auf den Reha-Entlassungsbericht und Befunde des Hausarztes.

Die ärztlichen Unterlagen deuteten auf eine Verbesserung des Gesundheitszustands hin. Zusätzlich wären keine neurologischen Defizite oder andere kognitive Einschränkungen festgestellt worden, welche die Fähigkeit zur Ausübung leichter Arbeiten beeinträchtigen könnten.

Berufung beim Landessozialgericht

Der Antragsteller legte Berufung beim LSG Baden-Württemberg ein. In der Berufungsbegründung verwies er auf unzureichende Ermittlungen seitens des SG. Aus Sicht des Antragstellers fehlten für eine korrekte Bewertung weitere Sachverständigengutachten.

Die Vorinstanz habe die Komplexität des Krankheitsbildes nicht angemessen berücksichtigt und auf eine mündliche Verhandlung verzichtet, wodurch die notwendige umfassende Tatsachenaufklärung nicht möglich gewesen sei.

Bedeutung des Amtsermittlungsgrundsatzes

Das LSG prüfte nun, ob das SG seiner Verpflichtung zur Amtsermittlung ausreichend nachgekommen war. Der Amtsermittlungsgrundsatz ist im Sozialgerichtsgesetz (SGG) festgelegt und besagt, dass das Gericht von sich aus alle relevanten Tatsachen ermitteln muss, die für die Entscheidung des Rechtsstreits notwendig sind.

Im vorliegenden Fall kam das LSG zu dem Schluss, dass das SG Karlsruhe dieser Pflicht nicht genügend nachgekommen war. Die Benennung behandelnder Ärzte zeigte, dass weiterhin behandlungsbedürftige Erkrankungen bestanden, deren Auswirkungen auf die Erwerbsfähigkeit hätten untersucht werden müssen.

Nach Auffassung des LSG hätten diese Angaben ausgereicht, um die Einholung eines neurologischen Sachverständigengutachtens, zu veranlassen. Die vom SG durchgeführten Ermittlungen, die hauptsächlich auf bereits bestehenden Befunden basierten, wurden als unzureichend betrachtet.

Anforderungen an die richterliche Ermittlungspflicht

Das LSG stellte klar, dass das SG verpflichtet gewesen wäre, umfangreichere medizinische Untersuchungen durchzuführen, um eine fundierte Entscheidung zu ermöglichen. Die Wahl der Beweismittel ist eine Frage richterlichen Ermessens, jedoch hat das Gericht dabei immer die Umstände des Einzelfalls zu berücksichtigen.

Das LSG kritisierte, dass das SG weder behandelnde Ärzte als sachverständige Zeugen angehört, noch ein neurologisches Gutachten beauftragt hatte. Diese Ermittlungen seien notwendig gewesen, um die Auswirkungen der gesundheitlichen Probleme auf die Erwerbsfähigkeit des Antragstellers fundiert beurteilen zu können.

Zurückverweisung an das Sozialgericht zur erneuten Verhandlung

Das LSG entschied, den Rechtsstreit zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das SG zurückzuverweisen.

Die Entscheidung berücksichtigte auch den Grundsatz der Prozessökonomie, da das SG in der Lage ist, die erforderlichen Ermittlungen durchzuführen und die Sachverhaltsaufklärung abzuschließen. Das LSG hob hervor, dass die Pflichten des Gerichts im Rahmen der Amtsermittlung nicht von der Zustimmung der Beteiligten abhängig sind.

Auch wenn die Prozessbeteiligten im vorliegenden Fall keine Einwände gegen die Entscheidung durch Gerichtsbescheid erhoben hatten, ändert dies nichts an der Verpflichtung des Gerichts, den Sachverhalt vollständig und korrekt aufzuklären. Ein Verzicht auf notwendige Ermittlungen im Interesse einer Beschleunigung des Verfahrens ist nicht zulässig.

Was bedeutet diese Entscheidung für Betroffene?

Für betroffene Antragsteller bedeutet die Entscheidung, dass sie bei einem Widerspruch in ihrer Argumentation auf mögliche Ermittlungsdefizite hinweisen und bei Bedarf auf die Einholung weiterer Gutachten drängen sollten.

Das Gericht muss alle vorgebrachten Umstände umfassend prüfen und erforderliche Ermittlungen auch dann durchführen, wenn die Prozessbeteiligten keine weiteren Anträge stellen. Die Verantwortung für eine ordnungsgemäße Sachverhaltsaufklärung liegt immer bei der richterlichen Instanz und darf nicht auf die Prozessbeteiligten abgewälzt werden.