Ein Arbeitnehmer vor Gericht mit seinem Anspruch auf eine Erwerbsminderungsrente, und dies trotz zahlreicher Gesundheitsstörungen, körperlicher wie psychischer. Die Richter begründeten die Ablehnung damit, dass die Ursache der vom Betroffenen berichteten Beschwerden nicht entscheidend sei. Kriterium für eine Rente seien vielmehr die Arbeitsstunden, die er täglich mit seinen Beeinträchtigungen leisten könnte. (L 19 R 320/20).
Inhaltsverzeichnis
Klage vor dem Sozialgericht
Der Betroffene beantragte bei der Deutschen Rentenversicherung eine Rente wegen Erwerbsminderung. Er hatte sowohl in seiner Ausbildung als Bäcker wie als Zeitsoldat, später als Schreiner und Elektromotorenbauer in die Rentenkasse eingezahlt.
Die nötige Wartezeit für eine Erwerbsminderungsrente erfüllte er also. Er bezog Krankengeld und danach Arbeitslosengeld. Das zuständige Versorgungsamt hatte ihm einen Grad der Behinderung von 40 anerkannt.
Zahlreiche Erkrankungen und Symptome
Eine Untersuchung auf Initiative der Agentur für Arbeit diagnostizierte psychisch eine schwere depressive Episode und eine Anpassungsstörung mit emotionalen Symptomen. Hinzu kam Vorhofflimmern als Herzbeschwerde, eine Schilddrüsenstörung sowie ein rezidivierendes Halswirbelsäulen-Lendenwirbelsäulen-Syndrom mit Brachialgien und Ischialgien. Hinzu kamen eine Arthrose im großen Zeh, eine Metatarsalgie bei Senk-Spreizfuß, Schwindel und Tinnitus.
Diese Untersuchung kam zu dem Ergebnis, dass er gegenwärtig nicht in eine Arbeit vermittelbar wäre.
Weitere Gutachten
Der Betroffene veranlasste weitere Untersuchungen, zum einen durch einen Psychiater und zum anderen durch einen Internisten. Dabei berichtete er von Panikattacken, Herzrasen und Herzrhtyhmusstörungen. Außerdem reagiere er extrem auf Elektrizität wie Handys, Strommasten, am Herd oder Stromleitungen. Dies zeige sich in starken Kopfschmerzen, Hitzegefühl, Pulsrasen und Gesichtsrötung.
Die beiden Gutachten erkannten eine gemischte Angststörung und Depression, zudem eine Panikstörung, eine arterielle hypertonie sowie rezidivierendes Vorhofflimmern. Hinzu kam ein HWS-Syndrom bei Bandscheibenvorfall, Kopfschmerzen, beidseitiger Tinnitus, Schwindel, Schlafstörung und Übergewicht.
Sechs Stunden Arbeit sind möglich
Die Gutachter sahen qualitative Einschränkungen seiner Leistung, hielten mit dieser Einschränkung aber eine Arbeitszeit von sechs Stunden und mehr pro Tag für möglich.
Er müsste überwiegend im Sitzen arbeiten, ohne die Wirbelsäule zu belasten, ohne sich häufig zu bücken, zu klettern, zu steigen, ohne Lasten über rund 7,5 Kilogramm zu heben oder zu tragen. Er brauche überschaubaren Zeitdruck und psychischen Druck und dürfe keine Nachtschichten ausüben.
Rentenkasse lehnt Antrag ab
Auf Grundlage dieser Gutachten lehnte die Rentenversicherung den Antrag auf Erwerbsminderung ab. Denn er könne unter den Bedingungen des Allgemeinen Arbeitsmarktes mindestes sechs Stunden täglich arbeiten. Damit erfülle er nicht die Kriterien einer Erwerbsminderung.
Widerspruch und Klage
Der Mann legte Widerspruch ein. Er argumentierte, dass die Rentenkasse seine Einschränkungen nicht vollumfänglich berücksichtigt hätte. Zudem verwies er auf einen einen neuen medizinischen Befund.
Schwer psychisch krank und therapieresistent
Das Landessozialgericht schreibt: „Danach sei der Kläger chronifiziert und schwer psychisch, psychosomatisch und somatopsychisch krank, therapeutisch völlig ausgereizt und therapieresistent und es sei ihm dauerhaft und auf absehbare Zeit nicht möglich, irgendwelche Arbeit von wirtschaftlichem Wert auszuführen; es bestehe volle Erwerbsminderung.“
Nicht einmal einfachste Tätigkeiten sind möglich
Laut diesen Befund sei „der Kläger sei dauerhaft nicht einmal in der Lage, auf einfachstem Niveau sein privates Leben zu führen und könne weder das Haus verlassen, noch im Haushalt die einfachsten Tätigkeiten ausführen, noch spazieren gehen, noch mit irgendeinem Menschen kommunizieren, noch Abstand zu seinen starken Beschwerden bekommen, noch sich konzentrieren, Kraft oder Ausdauer aufbringen.
Unerträgliche Qualen
Die Symptome sollten ebenso heftig wie unberechenbar auftreten. Er liege die meiste Zeit unter unerträglichen Qualen und völlig handlungsunfähig. Die zuständige Neurologin hielt eine Behandlung in einer Spezialklinik für notwendig, um seine Depression zu behandeln.
Widerspruch zurückgewiesen
Die Rentenversicherung wies den Widerspruch zurück und erklärte, nach ärztlicher Stellungnahme bleibe es bei der sozialmedizinischen Beurteilung und den vorhandenen Befunden. Demnach liege keine Erwerbsminderung vor. Der Betroffene klagte vor dem Sozialgericht Würzburg.
Kläger verweist auf Bundesagentur für Arbeit
Er verwies auf den frühen Befund bei der Bundesagentur für Arbeit, demzufolge er nur noch unter drei Stunden pro Tag arbeiten könne. Außerdem belegte er einen Bericht über einen „bioenergetischen Zahnstreuherd“ vor (ein esoterisches Konstrukt und keine fachärztliche Untersuchung).
Elektrophobie als zusätzliches Symptom
Das Sozialgericht ließ ein Gutachten durch eine Neurologin, Psychiaterin und Psychotherapeutin erstellen. Dieses enthielt wiederum Angst und Depression als Diagnosen sowie ein spezifische Phobie und auch die zuvor bereits erkannten Herzerkrankungen und der Tinnitus.
Als neues Symptom erkannte die Neurologin eine phobische Störung mit überwertiger Sorge, seine Beschwerden würden durch elektrischen Strom hervorgerufen.
Keine Erwerbsminderung
Die Neurologin hielt mindestens sechs Stunden leichte bis mittelschwere Tätigkeiten für möglich mit den bereits zuvor genannten qualitativen Einschränkungen. Außerdem sollte er keine Arbeiten mit besonderen nervlichen Belastungen durchführen: Akkord, Fließbandarbeit, Wechsel- und Nachtschicht, sowie Arbeit an laufenden Maschinen und Lärm.
Die Therapie seiner Beschwerden sei nicht ausgeschöpft und somit bestehe die Möglichkeit, dass sein Zustand sich verbessere.
Sozialgericht sieht keine Erwerbsminderung
Einen Sachverständigen für Umweltrisiken des Klägers akzeptierte das Gericht nicht, weil nur Ärzte als Sachverständige in Betracht kämen. Einen Arzt als Sachverständigen konnte der Kläger nicht vorweisen, und so wies das Gericht auf Basis der bestehenden Gutachten die Klage ab.
Berufung vor dem Landessozialgericht
Der Mann ging in Berufung vor das Landessozialgericht München. Doch auch hier scheiterte er mit seinem Anliegen.
Die Richter formulierten, dass es nicht um die Ursache ginge: „Zur Feststellung des Leistungsvermögens auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt ist es nämlich unerheblich, ob die berichteten Beschwerden und Gesundheitsstörungen durch die Einwirkung elektromagnetischer Felder aufgrund der vom Kläger angenommenen Elektrosensibilität verursacht werden oder ob sie eine andere Ursache haben. Entscheidend hinsichtlich der Einschätzung des Leistungsvermögens sind vielmehr die sich daraus ergebenden Funktionseinschränkungen und qualitativen und gegebenenfalls quantitativen Leistungseinschränkungen bei Ausübung einer beruflichen Tätigkeit.“
Dabei beriefen sie sich auf ein Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen (L 8 R 350/17)