Endlich: Jobcenter muss 256 Euro für Reparatur von 2 Brillengläsern zahlen

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Die Kosten für die Reparatur der Brille können vom Jobcenter übernommen werden, auch wenn dem Grunde nach ein vorrangiger Anspruch gegen die Krankenversicherung besteht, dieser jedoch tatsächlich nicht verwirklicht wurde.

Das Jobcenter ist verpflichtet, das medizinische Existenzminimum durch Übernahme der Kosten für die Reparatur der Brille für den Fall sicherzustellen, dass diese tatsächlich nicht von der Krankenversicherung übernommen werden. Der Anspruch ist aber der Höhe nach begrenzt auf das medizinisch Notwendige.

Das gibt aktuell der 12. Senat des Landessozialgerichts Nordrhein – Westfalen mit heutigem Urteil bekannt (AZ: L 12 AS 116/23) – Die Revision zum Bundessozialgericht wurde jedoch zugelassen.

Begründung des Gerichts

Das Jobcenter meint: Die beantragte Sonderleistung sei durch den gewährten Regelbedarf abgedeckt.

Die Bürgergeld-Empfängerin widerspricht: Die Übernahme müsse als Zuschuss erfolgen (unter Verweis auf BSG Urteil vom 18.07.2019 – B 8 SO 13/18 R – ; Urteil vom 25.10.2017 – B 14 AS 4/17 R – )

Sozialgericht Köln lehnt Klage der Bürgergeld-Bezieherin zunächst ab

Denn das Jobcenter sei nicht Ausfallbürge, wenn die Krankenkasse nicht die vollen Kosten übernehme (unter Verweis auf BSG Urteil vom 15.12.2010 – B 14 AS 44/09 R – und 26.05.2011 – B 14 AS 146/10 R – ).

Vorinstanz Sozialgericht Köln meint: Bürgergeld- Empfänger müssen sich zuerst an ihre Krankenkasse wenden

Der Versicherte sei gehalten, sich bei einer unzureichenden Versorgung nach dem Festbetrag an die Krankenkasse zu halten. Sei eine festbetragsübersteigende Versorgung bei dem Versicherten erforderlich, müsse er dies bei der Krankenkasse beantragen und notfalls einklagen.

Eine übersteigende Versorgung könne nicht ersatzweise vom Grundsicherungsträger beansprucht werden, denn dann handele es sich nicht um einen unabweisbaren Bedarf (unter Verweis auf LSG NRW Beschluss vom 22.11.2019 – L 7 AS 1649/19 B – )

Ein Härtefallmehrbedarf sei auch nicht nach § 21 Abs. 6 SGB 2 gegeben

Der Anspruch folge auch nicht aus § 21 Abs. 6 SGB II oder § 16 SGB II, da eine unwirtschaftliche Versorgung oberhalb des Festbetrags nicht erforderlich sei.

Dieser Rechtsauffassung ist aber der 12. Senat des LSG NRW mit Urteil vom 27.11.2024 – L 12 AS 116/23 – nicht gefolgt – Die Revision wurde zugelassen

Eine Bezieherin von Grundsicherungsleistungen nach dem SGB II hat Anspruch auf Übernahme der Kosten für die Reparatur der Brille.

Der Anspruch ist der Höhe nach aber begrenzt auf das medizinisch Notwendige.

Denn das Jobcenter ist verpflichtet, das medizinische Existenzminimum der Klägerin durch Übernahme der Kosten für die Reparatur der Brille für den Fall sicherzustellen, dass diese tatsächlich nicht von der Krankenversicherung übernommen werden.

Der vermeintliche Vorrang der Krankenversicherungsleistungen steht dem – nicht entgegen.

Diesem Anspruch kann lediglich der allgemeine Nachranggrundsatz der Grundsicherungsleistungen entgegenstehen § 5 Abs. 5 SGB II

Der Nachranggrundsatz ist aber – keine isolierte Ausschlussnorm, sondern ein Programmsatz.

Denn es kommt nicht darauf an, ob der Leistungsberechtigte einen durchsetzbaren Anspruch gegen Dritte hat, sondern ob er die Leistung von anderen (tatsächlich) im Sinne bereiter Mittel erhält, also eine unmittelbare (direkte) Möglichkeit besteht, den Bedarf selbst zu decken (vgl. zu § 2 Abs. 1 SGB XII und einem gesetzlichen bestehenden aber nicht realisierten Wohngeldanspruch: BSG Urteil vom 23.03.2021 – B 8 SO 2/20 R –; vgl. zum SGB II: BSG Urteil vom 27.09.2011 – B 4 AS 202/10 R -).

Der Hilfebedürftigkeit steht das Nicht-Vorhandensein von bereiten Mitteln entgegen

Steht einer Hilfesuchenden ein Anspruch gegen einen Dritten zu, wird dieser jedoch – aus welchen Gründen auch immer – nicht realisiert, kann er also zur Deckung des Bedarfs tatsächlich nicht eingesetzt werden, so fehlt es schlicht an – bereiten Mitteln – , die der Hilfebedürftigkeit entgegenstünden.

Auch Verschuldensgesichtspunkte führen nicht zu einem Verlust des Anspruchs, wenn ein aktuell zu deckender Bedarf besteht.

Die Kosten für die Reparatur der Brille sind im Regelbedarf nicht abgedeckt.

Zwar hätte diesbezüglich dem Grunde nach ein vorrangiger Anspruch gegen die Krankenversicherung bestanden. Dieser wurde jedoch tatsächlich nicht verwirklicht, weshalb der Bedarf tatsächlich nicht gedeckt war.

Die Bürgergeld- Empfängerin hat jedoch lediglich Anspruch auf Erstattung der Kosten für die Reparatur der Brille i.H.v. 256 €. Denn der Anspruch ist der Höhe nach begrenzt auf das medizinisch Notwendige.

Fazit

1. Kosten für die Reparatur der Brille können vom Jobcenter zu übernehmen sein, auch wenn dem Grunde nach ein vorrangiger Anspruch gegen die Krankenversicherung besteht, dieser jedoch tatsächlich nicht verwirklicht wurde.

2. Verschuldensgesichtspunkte führen nicht zu einem Verlust des Anspruchs, wenn ein aktuell zu deckender Bedarf besteht.

3. Steht einer Hilfesuchenden ein Anspruch gegen einen Dritten zu, wird dieser jedoch – aus welchen Gründen auch immer – nicht realisiert, kann er also zur Deckung des Bedarfs tatsächlich nicht eingesetzt werden, so fehlt es schlicht an – bereiten Mitteln – , die der Hilfebedürftigkeit entgegenstünden.

4. Das Jobcenter ist verpflichtet, das medizinische Existenzminimum durch Übernahme der Kosten für die Reparatur der Brille für den Fall sicherzustellen, dass diese tatsächlich nicht von der Krankenversicherung übernommen werden.

5. Der Anspruch ist aber der Höhe nach begrenzt auf das medizinisch Notwendige.

Anmerkung Detlef Brock

Eine Hammer Entscheidung des 12. Senats des LSG Nordrhein – Westfalen zum SGB II. Vor allem die Begründung des Gerichts gefällt mir. Wir dürfen gespannt sein, wie hier das Bundessozialgericht urteilen wird.