Auf den ersten Blick wirkt es wie ein Widerspruch: Wer wenig heizt, wenig Strom verbraucht und beim Trinkwasser sparsam ist, schont nicht nur das eigene Budget, sondern auch die öffentlichen Kassen. Genau diese Zurückhaltung hat in einem Fall aus Brandenburg jedoch das Gegenteil bewirkt.
Ein Jobcenter verweigerte einer Bürgergeld-Empfängerin die Übernahme der Kosten der Unterkunft und Heizung, weil die gemessenen Verbrauchswerte nach Auffassung der Behörde „außerordentlich gering“ gewesen seien. Der Verdacht dahinter war schwerwiegend: Die Frau lebe gar nicht in der Wohnung, für die sie Miete geltend machte.
Das Sozialgericht Frankfurt (Oder) hat diese Argumentation im Eilverfahren nicht mitgetragen. Es verpflichtete das Jobcenter per einstweiliger Anordnung, die Unterkunfts- und Heizkosten vorläufig zu übernehmen. Später hat das Landessozialgericht Berlin-Brandenburg die Beschwerde des Jobcenters zurückgewiesen und die Linie des Sozialgerichts bestätigt. Damit steht die Aussage der Gerichte im Raum, dass Behörden bei der existenziell bedeutsamen Wohnkostenfrage mehr brauchen als ein Gefühl, das sich aus Messwerten speist.
Der Streit um die Miete: Was passiert ist
Im Mittelpunkt steht eine Frau, die laufend Leistungen nach dem SGB II bezieht und eine Wohnung in Eisenhüttenstadt gemietet hat. Die monatliche Gesamtmiete beträgt 397,30 Euro. Das Jobcenter bewilligte Bürgergeld allerdings nur vorläufig und ließ die Bedarfe für Unterkunft und Heizung bei der Berechnung außen vor.
So entstand eine Deckungslücke, die bei Menschen im Leistungsbezug besonders schnell zur Belastungsprobe wird: Miete ist eine feste, regelmäßig fällige Zahlungsverpflichtung, die sich nicht „strecken“ lässt, ohne dass Mietrückstände drohen.
Die Betroffene zog vor Gericht und beantragte einstweiligen Rechtsschutz. Sie wollte erreichen, dass das Jobcenter die Kosten der Unterkunft und Heizung zumindest vorläufig übernimmt, bis im Hauptsacheverfahren geklärt ist, ob ihr der Anspruch zusteht.
Die ungewöhnliche Begründung des Jobcenters
Die Behörde stützte ihre Entscheidung auf ein Indiz, das in dieser Härte selten zum alleinigen Dreh- und Angelpunkt gemacht wird: auf niedrige Verbrauchswerte bei Trinkwasser, Strom und Heizung. Daraus leitete das Jobcenter ab, die Frau nutze die Wohnung nicht „tatsächlich“ zu Wohnzwecken, jedenfalls nicht in einem Umfang, der eine Leistungsübernahme rechtfertige. Der Anspruch sei nicht glaubhaft gemacht.
Dass Jobcenter bei Zweifeln an der Anspruchsberechtigung genauer hinschauen, ist grundsätzlich nicht überraschend. Das SGB II knüpft an tatsächliche Lebensverhältnisse an, und Missbrauch soll verhindert werden.
Doch gerade beim Wohnen gilt: Zwischen der Prüfung berechtigter Zweifel und dem Entzug existenzieller Leistungen verläuft eine juristisch eng gezogene Linie. Wer Miete schuldet, gerät bei ausbleibender Kostenübernahme rasch in eine Lage, die nicht nur unangenehm, sondern existenzgefährdend sein kann.
Was das Sozialgericht Frankfurt (Oder) entschieden hat
Das Sozialgericht stellte im Eilverfahren auf einen einfachen Ausgangspunkt ab: Bedarfe für Unterkunft und Heizung werden in tatsächlicher Höhe anerkannt, soweit sie angemessen sind.
Entscheidend ist zunächst, ob Kosten tatsächlich entstehen und ob sie im rechtlichen Sinn berücksichtigungsfähig sind. Dass die Antragstellerin die Miete von 397,30 Euro monatlich an den Vermieter zahlt, war nach den Ermittlungen des Jobcenters nicht streitig. Damit stand fest, dass reale Aufwendungen vorliegen.
Für die Annahme, die Wohnung werde nicht genutzt, sah das Gericht hingegen keine hinreichenden Anhaltspunkte. Auch der Umstand, dass der Bedarfsfeststellungsdienst bei einem Hausbesuch keine „mustergültige“ Wohnung vorgefunden habe, genügte nicht.
Das Gericht entnahm den vorliegenden Feststellungen vielmehr, dass die Wohnung jedenfalls bewohnbar ist. Aus niedrigen Verbräuchen allein lasse sich nicht zwingend auf eine Nichtnutzung schließen.
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Bescheid prüfenDas Gericht machte zudem deutlich, dass es im Eilverfahren nicht darauf ankommt, wie häufig jemand eine Wohnung nutzt oder welche Bewertung die Behörde der Wohnsituation gibt, solange die rechtlich maßgeblichen Voraussetzungen erfüllt sind.
Am Ende steht eine klare Aussage: Eine tragfähige Rechtsgrundlage dafür, die nachgewiesenen Unterkunfts- und Heizkosten nicht zu berücksichtigen, war nicht erkennbar. Weil der Leistungsberechtigten das Abwarten des Hauptsacheverfahrens angesichts der Deckungslücke nicht zugemutet werden könne, ordnete das Gericht die vorläufige Übernahme der Kosten bis zum 30. April 2024 an. Der Beschluss bezieht sich dabei auf den Zeitraum ab Antragstellung im Eilverfahren.
Nutzungsverhalten ist kein Prüfmaßstab
Der Fall berührt einen sensiblen Punkt im Leistungsrecht: Wie weit darf der Staat in den privaten Lebensbereich hinein bewerten, was „richtiges“ Wohnen ist? Niedrige Verbrauchswerte können vieles bedeuten.
Menschen heizen unterschiedlich, verbringen unterschiedlich viel Zeit zu Hause, haben verschiedene Tagesrhythmen, nutzen sparsame Geräte oder verzichten bewusst auf Komfort.
Mancher hält sich häufig bei Angehörigen auf, pflegt jemanden oder pendelt zwischen Orten. All das kann in Messdaten sichtbar werden, ohne dass daraus zwingend folgt, dass eine Wohnung nur auf dem Papier existiert.
Genau hier setzen die Gerichte an: Wenn eine Behörde aus Verbrauchsdaten eine Nichtnutzung ableiten will, muss sie mehr liefern als eine Plausibilitätsannahme. Denn die Konsequenz ist gravierend. Es geht nicht um eine Korrektur im Centbereich, sondern um die vollständige Nichtberücksichtigung der Miete, also um die faktische Verlagerung eines Grundrisikos des Lebens auf eine Person, die dieses Risiko gerade nicht tragen kann.
Landessozialgericht: Nicht ständig zu Hause sein zu müssen, ist kein Verstoß
Besonders aufschlussreich ist, dass das Jobcenter gegen den Beschluss des Sozialgerichts vorgegangen ist und vor dem Landessozialgericht Berlin-Brandenburg scheiterte.
Das Landessozialgericht bestätigte die vorläufige Verpflichtung zur Kostenübernahme und hielt fest, dass Zweifel am Aufenthalt in der Wohnung nicht automatisch bedeuten, die Wohnung werde nicht genutzt. Es stellte zudem heraus, dass Bürgergeld-Beziehende nicht verpflichtet sind, sich dauerhaft in der Wohnung aufzuhalten oder fortwährend dort zu übernachten. Selbst ein häufiges Aufhalten an anderen Orten belegt noch nicht, dass die Wohnung nicht als Unterkunft genutzt wird.
Damit schärft das Landessozialgericht die Abgrenzung: Die Behörde mag prüfen, wo jemand seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat und ob Zuständigkeiten berührt sind. Doch die Schwelle, um die Mietübernahme zu verweigern, wird dadurch nicht abgesenkt. Wer behauptet, eine Wohnung werde tatsächlich nicht genutzt, muss das in einem belastbaren Umfang untermauern.
Was der Beschluss für Betroffene und Behörden bedeutet
Für Leistungsberechtigte ist der Fall ein Signal, dass es sich lohnen kann, gegen eine pauschale Nichtübernahme der Wohnkosten vorzugehen, wenn Miete nachweislich gezahlt wird und keine konkreten Belege für eine Nichtnutzung vorliegen.
Für die Jobcenter ist es ein Hinweis, dass eine strikte Linie nach dem Motto „zu wenig Verbrauch, also kein Wohnen“ rechtlich riskant ist, weil sie die Komplexität realer Lebensweisen unterschätzt und die Schwelle für existenzielle Eingriffe zu niedrig ansetzt.
Quellen
Sozialgericht Frankfurt (Oder), Beschluss vom 25.03.2024, Az. S 14 AS 82/24 ER (PDF), Landessozialgericht Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 17.06.2024, Az. L 20 AS 364/24 B ER (PDF).




