Kostensenkungsaufforderung aus dem Jahr 2015 ist veraltet und damit unwirksam
1. Eine Leistungsempfängerin hat mangels veralteter Kostensenkungsaufforderung einen Anspruch auf Berücksichtigung von Kosten in Höhe der aktuellen Werte nach der Wohngeldtabelle zzgl. Sicherheitszuschlag.
2. Spätere Konzepte der Grundsicherungsträger können nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts nicht als nachgeschobene Gründe für vergangene Kostensenkungsverfahren herangezogen werden (BSG vom 30.1.2019 – B 14 AS 11/18 R – ).
3. Eine vorläufige Bewilligung von ALG 2 mit Nennung der maßgeblichen Werte und ein Widerspruchsbescheid mit Darstellung der Kosten ersetzen keine Kostensenkungsaufforderung – beides stellt keine Kostensenkungsaufforderung da ( Leitsatz Sozialrechtsexperte Detlef Brock).
Zitat aus dem Urteil
“Nach § 22 Abs. 1 Satz 1 SGB II werden die tatsächlichen Kosten der Unterkunft als Bedarf berücksichtigt, soweit sie angemessen sind. Nach § 22 Abs. 1 Satz 3 SGB II gilt: Soweit die Aufwendungen für die Unterkunft und Heizung den der Besonderheit des Einzelfalles angemessenen Umfang übersteigen, sind sie als Bedarf so lange anzuerkennen, wie es der oder dem alleinstehenden Leistungsberechtigten oder der Bedarfsgemeinschaft nicht möglich oder nicht zuzumuten ist, durch einen Wohnungswechsel, durch Vermieten oder auf andere Weise die Aufwendungen zu senken, in der Regel jedoch längstens für sechs Monate.”
Kostensenkungsaufforderung ist Voraussetzung für die Absenkung der KdUH
Eine Kostensenkungsaufforderung ist Voraussetzung für einee Absenkung der tatsächlichen Kosten auf das angemessene Maß (Luthe in Hauck/Noftz, SGB II, § 22 Rn. 181; Senger/Piepenstock in jurisPK-SGB II, § 22 Rn. 147 ff.).
Jobcenter muss die angemessenen Kosten nennen und eine Frist bekannt geben für die Senkung der KdUH
Erforderlich ist weiterhin, dass die nach Auffassung des Jobcenters angemessenen Kosten genannt werden und eine Frist für die Senkung der Kosten gesetzt wird (Luthe in Hauck/Noftz, SGB II, § 22 Rn. 181).
Eine fehlende Kostensenkungsaufforderung wird nicht ersetzt durch eine vorläufige Bewilligung von ALG II mit Nennung der maßgeblichen Werte und einen Widerspruchsbescheid mit Darstellung der Kosten – beides stellt KEINE Kostensenkungsaufforderung da
1. Genau daran fehlt es hier aber, weil sich zwar aus der vorläufigen Bewilligung die nach Auffassung des JC maßgeblichen Werte ableiten lassen.
2. Eine Kostensenkungsaufforderung stellt dies jedoch nicht dar. Der Widerspruchsbescheid enthält zwar eine Darstellung der Kosten, nicht jedoch eine Aufforderung unter Fristsetzung die Kosten zu senken.
Das das Jobcenter in der Vergangenheit auf die Senkung der Kosten hingewiesen hat, ist unerheblich.
Denn Voraussetzung für eine wirksame Kostensenkung ist nicht , dass die vom Jobcenter ermittelten und mitgeteilten Werte richtig sind.
Denn die Kostensenkungsaufforderung ist nur ein Angebot an den Leistungsempfänger und ein Einstieg in einen Dialog über die richtige Höhe der Kosten (vgl. BSG vom 30.01.2019 – B 14 AS 11/18 R – ).
Spätere Konzepte können nicht als nachgeschobene Gründe für vergangene Kostensenkungsverfahren herangezogen werden (BSG vom 30.1.2019 – B 14 AS 11/18 R – )
Kostensenkungsaufforderung aus dem Jahr 2015 ist veraltet
Weil das Konzept des Jobcenters durch das HLSG (LSG Hessen) kassiert wurde und danach methodisch offenbar neue bzw. andersartige Konzepte entwickelt wurden und schließlich zur Grundlage der Angemessenheitsbewertung im hier streitigen Fall sein sollten, ist die Kostensenkungsaufforderung aus dem Jahr 2015 veraltet und nicht mehr heranzuziehen.
Ist eine fehlende Kostensenkungsaufforderung dann unschädlich, wenn erst gar keine Umzugsbemühungen gezeigt werden? So die Ansicht des Jobcenters.
Das Gericht sagt NEIN
Denn Das HLSG hat in den vom Jobcenter im Termin zitierten Urteilen lediglich entschieden, dass unrichtige Werte nicht zur gänzlichen Unzumutbarkeit der Kostensenkung führen, wenn erst gar keine Umzugsbemühungen gezeigt werden (HLSG vom 23.2.2024 – L 9 AS 138/19 – und HLSG vom 23.2.2024 – L 9 AS 193/19 – ).
Voraussetzung ist, dass eine den Anforderungen genügende Kostensenkungsaufforderung ausgesprochen wurde
Dies setzt voraus, dass eine an sich den Anforderungen genügende Kostensenkungsaufforderung ausgesprochen wurde und sich lediglich herausstellt, dass die Werte nicht richtig sind.
Hiervon unterschiedet sich der vorliegende Fall, weil es aufgrund der Entscheidung des HLSG zum Konzept schon gar keine valide Grundlage für einen Dialog im Nachgang zum Kostensenkungsverfahren gibt.
Umzugsbemühungen muss ein Betroffener in dieser Situation gar nicht zeigen.
Schlusswort Gericht
Die späteren Konzepte können jedenfalls nicht im Sinne der Rechtsprechung des BSG Grundlage für die Kostensenkung im Jahr 2015 sein und einen sich daran anschließenden „Dialog“ über die richtige Höhe der Unterkunftskosten sein.
Angesichts dessen besteht kein Raum, nur die angemessen Werte zu berücksichtigen und somit war die Entscheidung des Jobcenters rechtswidrig.
Anmerkung vom Sozialrechtsexperten Detlef Brock
Hier hat mal wieder ein Gericht aufgezeigt, dass die Jobcenter sehr schnell die Mietkosten reduzieren, doch dies rechtswidrig war. Veraltete Kostensenkungsaufforderungen (hier aus dem Jahre 2015) sind unwirksam.
Was kann ich Betroffenen raten?
Zunächst sind Leistungsempfänger Laien des Sozialrechts. Aber folgendes könnt ihr tun, überprüft Eure Bescheide, ob diese inhaltlich richtig sind. Denn ich gehe davon aus, dass die Jobcenter in diesem Jahr und noch stärker 2025 massenhaft Kostensenkungsbescheide heraus schicken werden – denn Jobcenter müssen sparen und sollen sparen – So will es unsere Ampelregierung.
ABER nicht mit uns – werden unseren Streit in den Gerichtssälen austragen und um Gerechtigkeit kämpfen!
Beispiel, wann eine neue Kostensenkungsaufforderung des Jobcenters zu ergehen hat und wann nicht
Ausgebliebene Kostensenkungsaufforderung
1. Bei ausgebliebener Kostensenkungsaufforderung für die Heizkosten sind die tatsächlichen Heizkosten zu übernehmen( Rechtsprechung BSG, aktuell SG Hildesheim – Urteil vom 11.04.2024 – S 26 AS 39/23 – .
Bei Beendigung des Untermietverhältnisses keine neue Kostensenkungsaufforderung
2. Mieten Leistungsberechtigte eine von vornherein zu große und zu teure Wohnung an und vermieten sie im Folgenden zur Kostensenkung einen Teil der Wohnung unter, trifft das Jobcenter nach Beendigung des Untermietverhältnisses keine Pflicht, die Leistungsbezieher über die nunmehr als angemessen angesehenen Unterkunftskosten aufzuklären und der Leistungsgewährung für sechs Monate die tatsächlichen Unterkunftskosten zugrunde zu legen ( so zu mindestens LSG BB, Urt. v. 21.09.2023 – L 34 AS 319/19 – ; Anderer Auffassung zum SGB XII. LSG Bayern, Urteil vom 26.04.2023 – L 8 SO 214/22 – Notwendigkeit einer (nochmaligen) Kostensenkungsaufforderung nach einer wesentlichen Änderung der Verhältnisse ( hier: mehrere Jahre),
3. Neue Kostensenkungsaufforderung bei Änderung der Bewohnerzahl der Bedarfsgemeinschaft
Die Regelung des § 22 Abs. 1 Satz 3 SGB II, mit der verhindert werden soll, dass eine leistungsberechtigte Person im Falle des Eintritts von Hilfebedürftigkeit sofort gezwungen ist, ihre bisherige Wohnung aufzugeben (vgl. BSG, Urteil vom 07.11.2006 – B 7b AS 10/06 R – ), findet zwar nicht nur bei erstmaligem Eintritt in den Leistungsbezug Anwendung, sondern nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts auch bei Änderungen in der Bewohnerzahl, wie z.B. beim Auszug eines Mitbewohners (vgl. BSG, Urteil vom 16.04.2013 – B 14 AS 28/12 R -).
4. Umgangsrecht mit dem Kind kann bei Wegfall der Voraussetzungen zu einer neuen Aufforderung zur Kostensenkung führen
In Anlehnung hieran hat das LSG BB sie auch als einschlägig und damit ein Kostensenkungsverfahren für nötig erachtet, wenn ein zunächst bestehender erhöhter Wohnraumbedarf wegen Ausübung des Umgangsrechts mit dem Kind später aufgrund dessen Beendigung weggefallen ist (vgl. LSG BB, Urt. vom 24.11.2022 – L 34 AS 2245/18 – ).
5. Notwendigkeit der erneuten Kostensenkungsaufforderung nach Unterbrechung des Leistungsbezugs für 6 Monate
Das LSG Berlin-Brandenburg ist in einem weiteren Fall davon ausgegangen, in dem ein Rechtsanwalt, bei dem die Privat- und Kanzleianschrift identisch waren und dessen Unterkunftskosten nur ganz knapp oberhalb der Angemessenheitsgrenze lagen, nach vorübergehendem ergänzendem Leistungsbezug seinen Bedarf für sechs Monate wieder aus eigenen Einnahmen hatte decken können, bevor er erneut einen Antrag auf (ergänzende) Leistungen stellte (vgl. LSG BB, Urt. vom 04.09.2014 – L 34 AS 224/14 – ).
6. Zum SGB 12: Eine Kostensenkungsaufforderung muss auch für den nichtleistungsberechtigten Ehegatten (§ 35 Abs 2 Satz 1 SGB XII) ergehen
Die Frau bezog eine Erwerbsminderungsrente sowie Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung. Ihr unter Betreuung stehender Ehemann ist geistig behindert, bezieht ebenfalls eine Rente und ist in einer Werkstatt für behinderte Menschen tätig. Grundsicherungsleistungen bezieht er nicht ( BSG, Urt. v. 06.10.2022 – B 8 SO 7/21 R – ).
7. Veraltete Kostensenkungsaufforderungen sind unwirksam, wenn das Jobcenter zu einem späteren Zeitpunkt ein neues Konzept hinsichtlich der KdUH erstellt und das neue Konzept bei der alten Kostensenkungsaufforderung anwenden will.
Ein erst im Jahr 2011 entwickeltes Konzept kann keine Grundlage für einen im Jahr 2005 begonnenen Dialog ( Kostensenkungsaufforderung) über die angemessenen Aufwendungen bilden.
So zum Beispiel: Schleswig-Holsteinisches Landessozialgericht, Urt. v. 23.10.2020 – L 3 AS 116/17 –
Kein Beginn der sechsmonatigen Übergangsfrist wegen Unwirksamkeit der Kostensenkungsaufforderung
Eine Kostensenkungsaufforderung, die Jahre vor Erarbeitung eines Unterkunftskostenkonzepts an einen Hilfeempfänger gerichtet wird, ist nicht geeignet, in Hinblick auf dieses Konzept eine 6-monatige Regelhöchstfrist in Gang zu setzen (Anschluss an BSG vom 30.1.2019 – B 14 AS 11/18 R – Rz. 37).
8. Eine Kostensenkungsaufforderung kann nicht rückwirkend erfolgen.
Beispiel: Eine Kostensenkungsaufforderung hat der Beklagte am 24.02.2011 verschickt. Sie kann für die zum 01.02.2011 zu zahlenden Kosten der Unterkunft für den Monat Februar 2011 keine Wirkung mehr entfalten ( SG Itzehoe, Urt. v. 12.02.2015 – S 29 AS 968/11 – ).
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Detlef Brock ist Redakteur bei Gegen-Hartz.de und beim Sozialverein Tacheles e.V. Bekannt ist er aus dem Sozialticker und später aus dem Forum von Tacheles unter dem Namen “Willi2”. Er erstellt einmal wöchentlich den Rechtsticker bei Tacheles. Sein Wissen zum Sozialrecht hat er sich autodidaktisch seit nunmehr 17 Jahren angeeignet.