Bürgergeld und Sozialhilfe doppelt beantragen – sonst gibt es Überraschungen

Lesedauer 2 Minuten

Wenn unklar ist, ob ein Anspruch auf eine bestimmte Sozialleistung besteht, oder auf eine andere, dann beantragen Sie vorsorglich beide. Sonst sitzen Sie am Ende auf einem Berg Schulden sitzen. Das folgt aus einem Urteil des Bundessozialgerichts. (B 4 AS 6/23 R)

Spanier suchen Arbeit in Deutschland

Ein Ehemann und eine Ehefrau kamen aus Spanien nach Deutschland, um Arbeit zu finden. Sie waren auf Arbeitssuche, beantragten und bekamen von März bis September 2015 vorläufig Leistungen vom Jobcenter, also das heutige Bürgergeld.

Das Jobcenter zahlte die Mittel nur vorläufig, denn damals wusste niemand so genau, ob für ausländische Bürger der Europäischen Union, die nur zur Arbeitssuche in Deutschland sind. ein Anspruch auf das damalige ALG II bestand.

Der Europäische Gerichtshof klärte dann, dass die Arbeitssuche allein nicht zu ALG II (heute Bürgergeld) berechtigt. Deshalb setzte das Jobcenter den Leistungsanspruch rückwirkend auf Null und forderte von dem spanischen Paar 8.735,87 Euro zurück.

Das Sozialamt war zuständig

Der Spanier und die Spanierin hatten also keinen Anspruch auf Leistungen des ALG II. Sie hätten hingegen Anspruch auf Sozialhilfe gehabt. Sie stellten aber keinen Antrag beim zuständigen Sozialamt.

Landessozialgericht gegen Jobcenter

Die Geschichte ging vor Gericht, denn das Ehepaar weigerte sich, dem Jobcenter die Erstattung zu leisten. Das Landessozialgericht lehnte den Anspruch des Jobcenters auf Erstattung ab.

Die Begründung lautete: Das spanische Ehepaar hätte bei der für Sozialhilfe zuständigen Behörde den Anspruch auf Leistungen in gleicher Höhe wie beim Jobcenter gehabt. Deshalb müsste das Sozialamt dem Jobcenter die Zahlungen erstatten, und nicht der Spanier und die Spanierin.

Bundessozialgericht sieht keine Verantwortung des Sozialamts

Doch das Bundessozialgericht entschied für das Sozialamt. Das Jobcenter hätte keinen Anspruch gegenüber dem Sozialhilfeträger, denn dieser hätte von möglichen Verpflichtungen nichts gewusst.

Ohne Antrag und ohne Kenntnis gibt es auch keine Pflicht zur Leistung der Behörde. (BSG, Urteil vom 11.09.2024, B 4 AS 6/23 R)

Lesen Sie auch:
Arbeitslose sollen Abnehmspritze bekommen

Verlorene Lebenszeit durch Behördenmarathon

Das spanische Ehepaar geriet in die Labyrinthe der deutschen Behördenbürokratie. Selbst Fachleute wissen häufig kaum, welches Amt für welche Situation der Ansprechpartner ist.

Der Wirrwarr an Zuständigekeiten zwingt Menschen, die Sozialleistungen beziehen, einen Großteil ihrer Zeit damit zu vergeuden, von einer Behörde zur nächsten zu laufen.

Wenn Sie endlich einen Termin bekommen, dann schiebt sie der Mitarbeiter am Ort zum nächsten Amt, und der dortige Sachbearbeiter weiß auch nicht, was Sache ist.

Von der Ausländerbehörde zum Jobcenter, von der Familien- zur Wohngeldstelle und zurück. Vorsprachen sind nur nach Terminabsprache möglich, und beim Termin kommt dann heraus: “Zuständig sind die anderen”. “Die Anderen” behaupten das allerdings ebenfalls im Kuddelmuddel zwischen SGB XII, Sozialhilfe, Mietzuschuss, Kindergeld oder BAföG.

Alles richtig gemacht, und dann kommt die Keule

Dabei hatte das spanische Ehepaar alles richtig gemacht. Da sie in Spanien keine ausreichende Erwerbsarbeit fanden, suchten sie in Deutschland. Das ist die Freizügigkeit, die sie als EU-Bürger nutzten.

Das ALG II (heute Bürgergeld) war ausdrücklich für Arbeitssuchende eingeführt. Mehr noch: Erwerbsfähige verpflichten sich, alles zu tun, um in Arbeit zu kommen, und wer dies nicht tut, wird bestraft.

Die beiden EU-Bürger entsprachen also ideal den Anforderungen des damaligen ALG II, denn sie suchten sogar ausschließlich nach Arbeit. Sie beantragten also aus ihren Augen die für sie richtige Sozialleistung.

Wie sollen Leistungsberechtigte ahnen, was der Europäische Gerichtshof entscheidet? Das ist unmöglich, und auch das Jobcenter hatte davon auch keinen Schimmer.

Dass die Beiden (vorsorglich) Sozailhilfe beantragten, lag außerhalb ihres Horizonts – verständlicherweise. Sozialhilfe ist nämlich die Soziallleistung, die gilt, wenn alle anderen Möglichkeiten ausgeschöpft sind, sie springt vor allem dann ein, wenn Menschen nicht arbeiten können.