Bürgergeld: Umzug ist immer erforderlich wenn es um Menschenwürde geht

Erforderlich ist ein Umzug für Bezieher von Bürgergeld immer dann, wenn es um die Herstellung von menschenwürdigen Wohnverhältnissen geht, die eine Ausübung des Grundrechts aus Art. 1 Abs. 1 i. V. m. Art. 20 Abs. 1 GG überhaupt erst ermöglichen, also zur Beseitigung unzumutbarer Wohnverhältnisse.

Aber allein der Umstand, dass die bisher bewohnte Wohnung Anlass zu einem Auszug gibt, genügt nicht, um die Erforderlichkeit eines Umzuges zu bejahen.

Denn die Verpflichtung des Jobcenters zur Übernahme von Mehrkosten setzt voraus, dass sich der Einzug gerade in die von den Hilfebedürftigen gewählte neue Wohnung als erforderlich und geeignet zur Abwendung von nicht mehr weiter hinzunehmenden Nachteilen der bisherigen Wohnung erweist und die Kosten der neuen Wohnung auch unter Ansehung eines nachvollziehbaren und plausiblen Veränderungswunsches als angemessen anzusehen sind (Sächsisches LSG, Beschluss vom 15. Dezember 2020 – L 7 AS 245/20 B ER –).

Eine Kostensteigerung um fast das Doppelte oder 1000, 00 Euro monatlich bzw. eine Bruttokaltmiete von mehr als 2.000 Euro ist nicht mehr angemessen im Sinne des § 22 Abs. 1 SGB 2.

Nach aktueller Auffassung des Landessozialgerichts Berlin – Brandenburg sind bei einem Umzug des Grundsicherungsberechtigten in die neue Wohnung die Jobcenter zur Zusicherung der Aufwendungen für die neue Unterkunft nach § 22 Abs. 4 SGB 2 nur verpflichtet, wenn die Aufwendungen für die neue Unterkunft angemessen sind.

Dabei muss die Überschreitung der Höhe der bisherigen Kosten der Unterkunft in einem angemessenen Verhältnis zur Ursache des Umzugs in die neue Wohnung stehen ( vgl. BSG, B 14 AS 107/10 R ).

Die Übernahme von Mehrkosten durch das Jobcenter setzt voraus, dass sich der Einzug in die neue Wohnung als erforderlich und geeignet zur Abwendung von nicht mehr weiter hinzunehmenden Nachteilen der bisherigen Wohnung erweist und sich die Kosten der neuen Wohnung als angemessen darstellen.

Diese Voraussetzungen waren hier mit der neuen Wohnung aber nicht mit der erforderlichen Sicherheit für die Vorwegnahme der Hauptsache gegeben.

Eine 6- köpfige Bürgergeld Familie möchte ein neues Haus beziehen,weil ein sogenannter Härtefall vorliege. Ein Kind der Bedarfsgemeinschaft leidet unter einer spastischen rechts betonten Tetraparese, Harninkontinenz, Einschlafstörungen und Minderwuchs. Ihr sind ein GdB von 100, die Merkzeichen aG, B und H sowie der Pflegegrad 3 zuerkannt. Sie ist unter anderem mit einem Rollstuhl mit E-fix-Nachrüstung, einem Gehtrainer, einem Stehständer, einem Therapiestuhl, Nachtlagerungsschienen und orthopädischen Schuhen versorgt. Zudem ist ein Pflegebett ärztlich verordnet worden.

Die in Aussicht genommene neue Unterkunft war zwar geeignet, erhebliche Nachteile der derzeit bewohnten Wohnung abzustellen. In Anbetracht der verbleibenden Einschränkungen erweisen sich die zukünftigen KdUH aber nicht als angemessen. Für das Haus ist eine Nettokaltmiete in Höhe von 1.900 Euro zzgl. einer Vorauszahlung in Höhe von 100 Euro auf sonstige Nebenkosten zu entrichten.

Der nach § 12 Abs. 1 WoGG für einen 6-Personenhaushalt in der für Berlin maßgebenden Mietstufe 4 (vgl. Anlage zu § 1 Abs. 3 Wohngeldverordnung) zu berücksichtigende Wert liegt bei 1.029 Euro und mit einem Sicherheitszuschlag von 10% bei 1.131,90 Euro. Auch dieser Wert stellt zwar nach Auffassung des Senats im Rahmen der Ermittlung der konkreten Angemessenheit der KdUH für eine den Bedürfnissen aller Antragsteller entsprechenden Wohnraums keine Grenze dar.

Kostensteigerung der Mietkosten um 100% ist nicht mehr angemessen im Sinne der Rechtsprechung des BSG

Die Überschreitung dieses Wertes um etwa das Doppelte bzw. ca. 1.000 Euro monatlich ist aber in Anbetracht der Tatsache, dass auch dieser Wohnraum nicht in jeder Hinsicht geeignet für die Antragsteller ist, nicht gerechtfertigt.

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Gegen die Angemessenheit spricht auch, dass es sich um ein Einfamilienhaus mit einem Grundstück handelt. Üblicherweise sind Wohnungen in vergleichbarer Wohnlage günstiger zu mieten als freistehende Häuser. Darüber hinaus ist nicht ersichtlich, weshalb die Antragsteller das Haus (über Küche und Bad hinaus) möbliert mieten. Da das Anmieten von Möbeln nicht den Bedarf der Unterkunft deckt, ist die Miete hierfür nicht erforderlich und damit nicht angemessen.

Es ist auch nicht glaubhaft gemacht, dass kein anderer Wohnraum in der von den Antragstellern benötigten Größe oder Ausstattung – etwa in Form einer Wohnung und unmöbliert – zu günstigeren Preisen als einer Bruttokaltmiete von mehr als 2.000 Euro konkret verfügbar wäre.

Die hierzu auf Anfrage des Gerichts von den Antragstellern übermittelten Ausdrucke aus dem Chatverlauf bei dem Anbieter Immoscout lassen weder konkrete Mietangebote, noch die Gründe, aus denen es nicht zu einem Vertragsabschluss gekommen ist, erkennen.

Daraus wird vielmehr nur ersichtlich, dass die Antragsteller sich vornehmlich für die Anmietung von Einfamilienhäusern oder Doppelhaushälften interessieren. Für die Frage, ob ggf. Wohnungen zu einem niedrigeren Preis verfügbar sind, geben sie ebensowenig her wie die pauschalen Behauptungen, sich bei anderen Wohnungsportalen umgeschaut zu haben.

Anmerkung vom Bürgergeld Experten Detlef Brock

1. Eindeutig eine Einzelfallentscheidung, die zu Ungunsten der Familie ausgefallen ist.

2. Bei derartiger Kostensteigerung sind die Erfolgschancen vor Gericht als Null anzusehen.

3. Wann eine Kostensteigerung der neuen Miete angemessen im Sinne der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts ist, kann man schlecht beziffern, jedenfalls nach der Rechtsprechung der obersten Gerichte ist dies bei Steigerungen um mehr als 40% nicht mehr gegeben.

Aber man kann diese Argumentation nicht verallgemeinern, es zählt immer der Einzelfall.

Allerdings dürfte es im Rahmen der Abschaffung des Bürgergeldes bzw. Umwandlung in „ Neue Grundsicherung“ schwieriger werden, solche Kostensteigerungen bei den neuen Mietkosten gerichtlich durch zusetzen, denn die Karenzzeit bei den Mietkosten wird wegfallen, unangemessene KdUH werden denn nur noch für 6 Monate übernommen, wobei diese Regel keine ( starre Frist ) nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts ist.

Auch bei der neuen Grundsicherung nach dem SGB 2 muss und wird der Einzelfall zählen, so dass Ausnahmen wie etwa Krankheit und Behinderung, Alleinerziehende mit schulpflichtigen Kindern, kurzer Leistungsbezug nach dem SGB 2, Leistungsempfänger kurz vor Renteneintritt und weitere Ausnahmen dazu führen werden, dass die 6 Monate um einen angemessenen Zeitraum zu erweitern sind – Alles Andere wäre eindeutig verfassungswidrig und würde die Rechte des Menschen verletzen!

4. Das BSG prüft im Wege eines Ursache-Wirkung-Vergleichs auch anhand der entstehenden Mehrkosten, ob die Erforderlichkeit im Einzelfall vorliegt. Es werden nur Veränderungen privilegiert, die sich innerhalb des Marktsegments realisieren lassen, auf das der Leistungsberechtigte nach § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II zu verweisen ist, und die Überschreitung der Höhe der bisherigen KdU muss in einem angemessenen Verhältnis zur Ursache des Umzugs in die neue Wohnung stehen; dh der durch den Umzug erzielbare Gewinn an Lebensqualität lässt auch unterhalb der Angemessenheitsgrenze allenfalls eine – geringfügige Kostensteigerung – zu.