Das Jobcenter muss bei anonymen Anzeigen Akteneinsicht gewähren
Die 10. Kammer des Sozialgerichts Chemnitz Az. S 10 AS 1321/17 gibt aktuell bekannt, dass ein Jobcenter durch -rechtsbehelfsfähiges- Zwischenurteil verpflichtet werden kann, Akteneinsicht in Form von wortgetreuen Abschriften in anonyme Anzeigen zu gewähren, wenn die Aktivpartei vorträgt, aus der Handschrift der Anzeige den Urheber erkennen zu wollen.
Das Geheimhaltungsinteresse des Jobcenters tritt hinter das verfassungsrechtlich geschützte Persönlichkeitsrecht des Denunzierten zurück, wenn die Behördeninformation wider besseren Wissens oder in der vorgefassten Absicht der Rufschädigung erfolgt ist, oder leichtfertig falsche Informationen übermittelt worden sein könnten (Richterlicher Hinweis auf BVerwG vom 04.09.2003, Az. 5 C 48/02).
Kurzbegründung Gericht: Grundsätzlich besteht ein Recht auf Akteneinsicht nach § 25 Abs. 1 SGB X
Gemäß § 25 Abs. 3 SGB X sei die Behörde jedoch nicht verpflichtet, Akteneinsicht zu gestatten, soweit die Vorgänge wegen der berechtigen Interessen der Beteiligten oder dritter Personen geheim gehalten werden müssen.
Das Geheimhaltungsinteresse eines Behördeninformanten überwiege das Informationsinteresse des Leistungsempfängers, wenn keine Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass der Informant wider besseren Wissens oder leichtfertig falsche Behauptungen aufgestellt hat. Dafür lägen keine Anhaltspunkte vor.
Vorsitzende der 10. Kammer verweist auf das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 04.09.2003, Az.: 5 C 48/0
Danach gilt: Verfassungsrechtlich geschütztes Persönlichkeitsrecht
Dass bei Akteneinsichtsgesuchen eine Güterabwägung vorzunehmen sei.
Aus dem verfassungsrechtlich geschützten Persönlichkeitsrecht könne sich ein Recht auf Akteneinsicht ergeben, das das Geheimhaltungsinteresse der Behörde übersteige, wenn die Behördeninformationen wider besseren Wissens oder in der vorgefassten Absicht, den Ruf des Klägers zu schädigen, erfolgt sei, oder leichtfertig falsche Informationen übermittelt worden sein könnten.
Der nächste Schritt sei daher, dass der Beklagte eine Abschrift der anonymen Informationen dem Kläger zur Verfügung stelle und der Kläger dann im Einzelnen Stellung nehmen könne.
Gericht verweist auf allgemeines Persönlichkeitsrecht des Klägers
Das Gericht entscheidet zu Gunsten des Klägers, somit sind Abschriften der anonymen Anzeigen zur Verfügung zu stellen.
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Bescheid prüfenAuch aus dem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 04.09.2003 ergibt sich, dass das Geheimhaltungsinteresse der Behörde dann zurücktritt, wenn die Behördeninformation wider besseren Wissens oder in der vorgefassten Absicht, eine Rufschädigung zu erreichen, erfolgt ist, oder leichtfertig falsche Informationen ermittelt worden sein könnten.
Um dies überprüfen zu können, ist logischerweise vorher die genaue Kenntnis der Behördeninformation erforderlich
Das Gericht sieht hier keine andere Möglichkeit, als dass das Jobcenter Abschriften der streitigen anonymen Anzeigen dem Kläger übermittelt.
Nur die genaue Kenntnis der Formulierung kann es dem Kläger ermöglichen, darzulegen, ob im vorliegenden Fall das Geheimhaltungsinteresse der Behörde hinter seinem Persönlichkeitsrecht zurückzutreten hat.
Anmerkung vom Verfasser
Dazu auch Pietrek, jurisPR-SozR 3/2022 Anm. 1
” Anonyme Hinweisschreiben, die Sozialleistungsträger veranlassen, Ermittlungen zum Entzug von Sozialleistungen einzuleiten, sind in die Verwaltungsakte aufzunehmen. Den in diesen Fällen von Leistungsempfängern gestellten Anträgen auf Akteneinsicht ist grundsätzlich zu entsprechen, da bei anonymen Hinweisschreiben das Geheimhaltungsinteresse des Behördeninformanten gegenüber dem Informationsinteresse des Leistungsempfängers zurücktritt.
Dies gilt nicht, wenn aus dem Inhalt oder der Unterschrift des Hinweisschreibens sich konkrete Anhaltspunkte ergeben, die einen Rückschluss auf die Identität des Behördeninformanten erlauben.”
Detlef Brock ist Redakteur bei Gegen-Hartz.de und beim Sozialverein Tacheles e.V. Bekannt ist er aus dem Sozialticker und später aus dem Forum von Tacheles unter dem Namen “Willi2”. Er erstellt einmal wöchentlich den Rechtsticker bei Tacheles. Sein Wissen zum Sozialrecht hat er sich autodidaktisch seit nunmehr 17 Jahren angeeignet.



