Krankheitsbedingte Mietschulden muss das Jobcenter bei drohender Wohnungslosigkeit übernehmen
Das Jobcenter muss Mietschulden für einen Bürgergeldempfänger bei drohender Wohnungslosigkeit übernehmen, wenn dieser an einer psychischen oder seelischen Erkrankung leidet und prognostisch keine neuen Mietschulden entstehen werden. Das Jobcenter überweist die Miete dann direkt an den Vermieter. Aufgrund der Verbesserung der gesundheitlichen Situation ist außerdem mit einer Wiedereingliederung des Antragstellers in den Arbeitsmarkt zu rechnen (so das Landessozialgericht Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 12.09.2025, Az. L 1 AS 863/25 B ER).
Inhaltsverzeichnis
Rechtsgrundlage ist § 22 Abs. 8 Satz 2 Sozialgesetzbuch – Grundsicherung für Arbeitsuchende, Bürgergeld (SGB II)
Danach sollen, sofern Bürgergeld für den Bedarf für Unterkunft und Heizung erbracht wird, Schulden übernommen werden, wenn dies gerechtfertigt und notwendig ist und sonst Wohnungslosigkeit einzutreten droht. Nach Satz 4 der Vorschrift sollen Geldleistungen als Darlehen erbracht werden.
Mietschulden sind im einstweiligem Rechtsschutz und im Rahmen einer Folgenabwägung zu übernehmen, wenn prognostisch verneint wird, dass künftig erneut Mietschulden auflaufen werden.
Grund der Mietschulden: psychische oder seelische Erkrankung
Stellt sich das Entstehen der Mietschulden als Folge einer psychischen oder seelischen Erkrankung dar und ist mit gewisser Wahrscheinlichkeit angesichts einer zwischenzeitlichen gesundheitlichen Stabilisierung mit einer mittelfristigen Wiedereingliederung des Antragstellers in den Arbeitsmarkt durch Aufnahme des juristischen Vorbereitungsdienstes zu rechnen, muss der Grundsicherungsträger die Mietschulden übernehmen (so aktuell das Landessozialgericht Berlin-Brandenburg).
Kurzbegründung des Gerichts
Wohnungslosigkeit, die einen einstweiligen zu sichernden Anspruch auf darlehensweise Übernahme von Schulden auslöst, droht, wenn der Antragsteller seiner bewohnten und regelmäßig kostenangemessen Wohnung voraussichtlich kurzfristig verlustig ginge bei zugleich fehlender Möglichkeit, einen angemessenen Ersatzwohnraum zu erhalten (vgl. BSG, Urteile vom 13. Juli 2022 – B 7/14 AS 52/21 R -).
Insofern ist zunächst die Höhe der Mietschulden – anders als mit der Antragserwiderung vor dem Sozialgericht vom Jobcenter geltend gemacht worden ist – kein maßgeblich zu berücksichtigendes Kriterium. Denn die Gesichtspunkte, die etwa nach § 22 Abs. 8 Satz 1 SGB II einfließen können, sind bei drohender Wohnungslosigkeit grundsätzlich nicht ausschlaggebend.
Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts ( BSG ) gilt: Wirtschaftlich unvernünftiges und vorwerfbares Handeln des Hilfebedürftigen tritt zurück
Auch ein etwaiges wirtschaftlich unvernünftiges und vorwerfbares Handeln des Hilfebedürftigen hat bei der der Gesamtabwägung nach § 22 Abs. 8 Satz 2 SGB II grundsätzlich zurückzutreten (vgl. BSG, Urteil vom 17. Juni 2010 – B 14 AS 58/09 R).
Die Vorinstanz hat prognostisch verneint
Dass künftig erneut Mietschulden auflaufen werden. Hierfür spricht schon, dass gegenwärtig die laufenden Kosten für Unterkunft und Heizung direkt an den Vermieter gezahlt werden.
Lassen Sie Ihren Bescheid kostenlos von Experten prüfen.
Bescheid prüfenStellt sich das Entstehen der Mietschulden als Folge einer psychischen oder seelischen Erkrankung dar und ist mit gewisser Wahrscheinlichkeit angesichts einer zwischenzeitlichen gesundheitlichen Stabilisierung mit einer mittelfristigen Wiedereingliederung des Antragstellers in den Arbeitsmarkt durch Aufnahme des juristischen Vorbereitungsdienstes zu rechnen, muss das Jobcenter die Mietschulden übernehmen.
Kosteninteresse des Staates bleibt gewährleistet
Dem staatlichen Kosteninteresse ist auf der anderen Seite hinreichend dadurch Rechnung getragen, dass das auf der Grundlage der einstweiligen Verpflichtung auszuzahlende Darlehen nur gegen Herausgabe des Räumungstitels und Vorlage eines neuen Mietvertrages auf Basis derselben Kosten ausgesprochen worden ist.
Das Gericht war nicht dem Beschwerdevorbringen des Jobcenters gefolgt
Wonach darauf verwiesen wird, dass der Antragsteller trotz seiner Qualifikation und Berufserfahrung keine Anstrengungen unternommen habe, eine andere Wohnung zu finden, und er deshalb auch künftig von staatlichen Transferleistungen abhängig sein werde.
Dies führt schon im Hinblick darauf zu keinem abweichenden Ergebnis, als sich die Arbeitslosigkeit und das Entstehen der Mietschulden seit 2021 als Folge einer psychischen oder seelischen Erkrankung darstellt, so ausdrücklich das Gericht.
Anmerkung vom Sozialrechtsexperten Detlef Brock
Es entspricht der obergerichtlichen Rechtsprechung, dass krankheitsbedingte Mietschulden vom Jobcenter zu übernehmen sind.
Rechtstipp vom Verfasser
Sächsisches LSG, Beschluss vom 22.04.2015 – L 8 AS 235/15 B ER – , LSG NRW, Beschluss v. 07.09.2013 – L 19 AS 1501/13 B –
Auch beim Bürgergeld gilt:
Es gibt nach obergerichtlicher Rechtsprechung keine betragsmäßige Begrenzung des Darlehensanspruchs bei Mietschulden.
Das Jobcenter irrt, denn eine Begrenzung der Höhe von zu übernehmenden Mietschulden ist gesetzlich nicht vorgesehen.



