Bürgergeld: Jobcenter zieht Taschengeld ab – Bagatellgrenze hilft hier nicht

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Auch ein geringes monatliches Taschengeld, das eine Mutter ihrer Tochter überweist, wird vom Jobcenter als bedarfsminderndes Einkommen von den Leistungen abgezogen. Eine solche Anrechnung ist nicht grob unbillig; ein Verweis auf eine „Bagatellsumme“ greift nicht. Das entschied das Sozialgericht Gelsenkirchen Az: S 44 AS 3425/18.

15,34 Euro Taschengeld pro Monat

Die Tochter erhielt Leistungen der Grundsicherung nach dem SGB II (früher Hartz IV, heute Bürgergeld). Ihre Mutter überwies ihr monatlich 15,34 Euro als frei verfügbares Taschengeld, das die Tochter für Freizeitaktivitäten verwendete.

Jobcenter rechnet Taschengeld an

Das zuständige Jobcenter wertete das Taschengeld als Einkommen und zog den Betrag von den SGB-II-Leistungen ab. Die Betroffene klagte und hielt die Anrechnung für grob unbillig.

Das Gericht weist die Klage ab – Maßstab § 11a Abs. 5 Nr. 1 SGB II

Die Richter verwiesen auf § 11a Abs. 5 Nr. 1 SGB II: Zuwendungen Dritter bleiben nur unberücksichtigt, soweit ihre Anrechnung für Leistungsberechtigte grob unbillig wäre. Dies sah das Gericht nicht:

Taschengeld sei weder zweckgebunden noch einem höherrangigen gesellschaftlichen Zweck zugeordnet, daher als Einkommen zu berücksichtigen.

Keine „Bagatellgrenze“ zugunsten der Leistungsberechtigten

Ein pauschaler Verweis auf 10-Euro-Bagatellen geht fehl: Die 10-Euro-Grenze aus § 1 Nr. 1 der (heutigen) Bürgergeld-Verordnung (früher Alg II-V) dient primär der Verwaltungsökonomie – sie ist kein Freibetrag und schützt nicht generell vor Anrechnung. Beträge über 10 Euro sind in voller Höhe zu berücksichtigen. Im Fall Gelsenkirchen (15,34 Euro) greift die Bagatellgrenze daher nicht.

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Nicht immer wird Taschengeld angerechnet – Abgrenzung SG Düsseldorf

Anders entschied das Sozialgericht Düsseldorf im Urteil vom 07.06.2017 – S 12 AS 3570/15: Dort durfte der Kläger 50 Euro monatlich behalten, weil das Geld zweckgebunden zur Bewerbungsfinanzierung bzw. Tilgung eines Existenzgründungs-Darlehens eingesetzt wurde.

In dieser Konstellation wäre eine Anrechnung grob unbillig. Entscheidend war nicht die schlichte Geringfügigkeit, sondern der belegte Zweck.

Praxis-Kern: Zweckbindung schlägt „Taschengeld“

Zweckgebundene Zuwendung (z. B. ausdrücklich für Bewerbungen, Arbeitsaufnahme, notwendige Arbeitsmittel oder zur Schuldenregulierung eines Gründungsdarlehens) kann ausnahmsweise nach § 11a Abs. 5 Nr. 1 SGB II anrechnungsfrei sein – wenn der Zweck konkret ist und die Verwendung nachweisbar erfolgt.
„Taschengeld zur freien Verfügung“ ist regelmäßig anzurechnen, weil es ohne höheren Zweck gewährt wird.

Höchstrichterliche Linien – was als „grob unbillig“ gilt

Die Rechtsprechung betont, dass Einzelfallumstände zählen. So hat die höchstrichterliche Linie (BSG) Fälle anerkannt, in denen die Anrechnung bestimmter Zuwendungen – etwa Trinkgelder oder zweckgebundene Unterstützungen – grob unbillig sein kann.

Maßgeblich sind Zweck, sozialer Bezug und die Folgen einer Anrechnung. Pauschale Freibeträge für „Geschenke“ gibt es nicht.

Woran Jobcenter bei der Prüfung festmachen (Checkliste für Betroffene)

  1. Zweck schriftlich festhalten: Verwendungszweck schon bei der Überweisung angeben (z. B. „nur für Bewerbungen/Arbeitsmittel“). Quittungen sammeln.
  2. Nachweise vorlegen: Bewerbungsbelege, Rechnung für Arbeitsmittel, Tilgungspläne bei Gründungsdarlehen.
  3. Abgrenzung zu Geschenken: „Freie“ Geschenke/Taschengeld → Anrechnung wahrscheinlich. Zweckgebundene Förderung → Einzelfallprüfung nach § 11a Abs. 5 Nr. 1 SGB II.
  4. Bagatellregel realistisch einordnen: 10 Euro/Monat sind keine Schonung für beliebige Zuflüsse; sie vermeiden nur unwirtschaftlichen Verwaltungsaufwand. Additionen gleichartiger Einnahmen sind zu beachten.