Ein aktueller Beschluss des Landessozialgerichts Baden-Württemberg zeigt erneut: Wer beim Jobcenter Kosten für eine Wohnung geltend machen will, muss bei Mietverträgen mit Familienangehörigen besonders aufpassen. (Az: L 2 AS 684/25 ER-B)
Eine fünfköpfige Familie beantragte beim Jobcenter zusätzliche Leistungen für ihre Unterkunft. Sie wohnt seit Jahren mietfrei in einer Wohnung, die der Mutter gehört. Im Jahr 2022 wurde ein schriftlicher Mietvertrag geschlossen, um die Nebenkosten von monatlich 385 Euro geltend zu machen.
Später einigte man sich darauf, dass zunächst nur diese Nebenkosten gezahlt werden sollten – rückwirkend ab Oktober 2022. Die Mutter verzichtete ausdrücklich auf die Kaltmiete, solange die Nebenkosten regelmäßig gezahlt werden.
Trotzdem erkannte das Jobcenter die Nebenkosten nicht als Bedarf an – und das Gericht gab dem Amt recht.
Kein ernsthaftes Mietverhältnis erkennbar
Das Gericht zweifelte daran, dass es sich um ein „echtes“ Mietverhältnis handelt. Begründung:
- Die Mutter habe jahrelang auf Mietzahlungen verzichtet.
- Auch bei Zahlungsverzug habe sie nie Konsequenzen gezogen.
- Die Vereinbarung, nur Nebenkosten zu verlangen, sei rückwirkend und ungewöhnlich.
- Tatsächlich gezahlt wurden nur 320 € monatlich – obwohl im Vertrag 385 € vereinbart waren.
All das spreche gegen ein ernsthaftes, einklagbares Mietverhältnis. Solche Absprachen unter Verwandten würden vom Jobcenter nur anerkannt, wenn sie „fremdüblich“ seien – also so, wie man es auch mit einem fremden Vermieter machen würde. Entscheidend ist nicht nur, was im Vertrag steht, sondern ob die Vereinbarung auch tatsächlich gelebt und durchgesetzt wird.
Eilantrag abgelehnt – kein akuter Wohnungsverlust droht
Auch der Versuch, im Eilverfahren (einstweilige Anordnung) mehr Geld zu bekommen, scheiterte. Das Gericht stellte klar: Solange keine konkrete Gefahr besteht, dass die Familie ihre Wohnung verliert, besteht kein akuter Handlungsbedarf, der einen Eilantrag rechtfertigt.
Außerdem: Die betroffene Familie hatte die Leistungsbescheide des Jobcenters nicht rechtzeitig angefochten – damit waren sie bestandskräftig. Das bedeutet: Selbst wenn das Jobcenter zu wenig gezahlt hat, kann das Gericht später keine vorläufigen Leistungen mehr anordnen. Wer seine Rechte nicht rechtzeitig sichert, hat oft das Nachsehen.
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Was bedeutet das für Betroffene?
1. Mietverträge mit Angehörigen sind besonders prüfungsintensiv:
Sie werden vom Jobcenter nur anerkannt, wenn sie klar, schriftlich und „fremdüblich“ sind – also wie bei einem echten Mietverhältnis. Das bedeutet: Es muss ein klarer Mietbeginn, eine feste Miete und ein realistischer Zahlungsmodus vereinbart sein. Und: Es muss Konsequenzen geben, wenn die Miete nicht gezahlt wird.
2. Miete muss regelmäßig gezahlt werden:
Wer unregelmäßig oder gar nicht zahlt, riskiert, dass das Jobcenter den Mietvertrag als Gefälligkeitsverhältnis einstuft – also als bloße familiäre Unterstützung ohne rechtliche Verbindlichkeit. Dann besteht kein Anspruch auf Übernahme der Kosten durch das Jobcenter.
3. Keine Rückwirkung auf frühere Zeiträume:
Verträge oder Vereinbarungen, die rückwirkend abgeschlossen werden, haben in der Regel keine rechtliche Wirkung im SGB II. Leistungen gibt es grundsätzlich nur für „zukünftige, aktuelle Bedarfe“ – nicht rückwirkend für Zeiträume, in denen kein klarer, dokumentierter Bedarf bestand.
4. Widersprüche nicht vergessen:
Wer Bescheide nicht rechtzeitig mit Widerspruch anficht, kann später keine einstweilige Anordnung mehr beantragen. Bestandskräftige Bescheide sind – mit wenigen Ausnahmen – rechtlich nicht mehr angreifbar. Im Zweifel lieber Widerspruch einlegen und später zurückziehen, als zu spät zu handeln.
Tipp von der gegen-hartz Redaktion
Wenn du mit Familienangehörigen mietest und auf Kostenübernahme durch das Jobcenter angewiesen bist:
- Schließe einen schriftlichen Vertrag vor Beginn des Mietverhältnisses.
- Zahle die vereinbarte Miete regelmäßig und nachweisbar (z. B. per Überweisung).
- Reagiere sofort mit Widerspruch, wenn das Jobcenter Leistungen ablehnt oder kürzt.
- Hole dir im Zweifel frühzeitig rechtliche Beratung – z. B. bei einer Sozialberatungsstelle oder einem Fachanwalt für Sozialrecht.
Hintergrund: Warum schaut das Jobcenter bei Verwandten so genau hin?
Das SGB II sieht vor, dass Leistungen nur dann gezahlt werden, wenn ein „Bedarf“ besteht. Bei Mietverhältnissen mit nahen Verwandten prüft das Jobcenter besonders genau, ob es sich wirklich um ein „wirtschaftlich belastendes Verhältnis“ handelt – oder ob lediglich formale Verträge abgeschlossen wurden, ohne dass tatsächlich gezahlt wird oder ernsthafte Forderungen bestehen.
Diese Rechtsprechung ist nicht neu, wird aber immer wieder durch aktuelle Fälle wie diesen bestätigt. Wer mit Eltern, Kindern oder Geschwistern zusammenlebt und dafür Mietkosten vom Jobcenter erhalten möchte, sollte sich gut vorbereiten und beraten lassen.