Bürgergeld: Jobcenter zahlt 12.000 Euro Mietschulden wegen Missachtung

Lesedauer 4 Minuten

Jobcenter irrt: Denn eine Begrenzung der Höhe von zu übernehmenden Mietschulden ist gesetzlich nicht vorgesehen.

Das Gericht verurteilt das Jobcenter zu 12.000 € Mietschuldenübernahme wegen Missachtung des Grundrechts auf Wohnen als verfassungsrechtlich geschütztes Existenzrecht.

Jobcenter muss Mietschulden für eine Alleinerziehende übernehmen

Das Sächsische Landessozialgericht sorgt entgegen der Auffassung des Jobcenters dafür, dass eine alleinerziehende Mutter mit ihren 3 Kindern ( 13, 5 und 6 Monate alter Säugling ) in der von ihr bewohnten Wohnung bleiben kann.

Denn es gibt – keine betragsmäßige Begrenzung – des Darlehensanspruchs bei Mietschulden.

§ 22 Abs. 8 SGB II sieht keine Begrenzung der zu übernehmenden Mietschulden der Höhe nach vor.

Nur bei einem atypischen Missbrauchsfall, der hier aber in diesem Einzelfall nicht vorliegt, wären die enormen Schulden der hilfebedürftigen Mutter vom Jobcenter nicht zu übernehmen.

Jobcenter müssen das Grundrecht auf Wohnen als verfassungsrechtlich geschütztes Existenzrecht beachten, so ausdrücklich die Richter des Sächsischen LSG.

So hat das Sächsische Landessozialgericht geurteilt, dass das Jobcenter Mietschulden in Höhe von fast 12.000 Euro einer alleinstehenden Mutter mit 3 minderjährigen Kindern im einstweiligem Rechtsschutz übernehmen muss.

Auch wirtschaftlich unvernünftiges (vorwerfbares) Handeln des Hilfebedürftigen, das die drohende Wohnungslosigkeit (mit) verursacht haben mag, stehe einer Übernahme der Mietschulden als Leistungsanspruch nach dem SGB II nicht entgegen.

Anordnungsgrund ergibt sich hier aus Artikel 13 Grundgesetz

Allein der Umstand, dass die von der hilfebedürftigen Mutter mit ihren 3 Kindern ( 13, 5 und 6 Monate alter Säugling ) bewohnte Wohnung zwangsgeräumt werden soll, begründet hier den Anordnungsgrund, vgl. Artikel 13 Grundgesetz.

Daran ändert auch die Tatsache nichts, dass die Ortspolizei verpflichtet wäre aufgrund polizeirechtlicher Vorschriften eine Notunterkunft zur Verfügung zu stellen ( LSG Chemnitz, – L 8 AS 235/15 B ER – )

Sachverhalt

Selbst die Tatsache, dass die Polizei verpflichtet ist, der Antragstellerin und ihren 3 minderjährigen Kindern in eine Notunterkunft unterzubringen, ändert nichts an der Tatsache, dass die Antragstellerin obdachlos wird.

Diese letzte als polizeirechtlich behördliche Maßnahme hindert nicht die Annahme drohender Wohnungslosigkeit i. S. d. § 22 Abs. 8 SGB II, da dies immer das letzte Mittel ist und andernfalls nie die Gefahr der Obdachlosigkeit i. S. d. § 22 Abs. 8 S. 2 SGB II drohen würde.

§ 22 Abs. 8 SGB II sieht keine Begrenzung der zu übernehmenden Mietschulden der Höhe nach vor.

Atypischer Missbrauchsfall wird vom Gericht verneint

Weiterhin handelt sich hier auch nicht um einen denkbaren atypischen Missbrauchsfall, welcher dem Anwendungsbereich des § 22 Abs. 8 S. 2 SGB II ausnahmsweise entgegen stehen könnte.

Wirtschaftlich unvernünftiges Handeln ändert an der Schuldenübernahme als Regelfall insbesondere bei Obdachlosigkeit nichts

Die Mietschulden waren in einer Zeit entstanden, als ihr gemeinsamer Partner aus der Wohnung ausgezogen war, aufgrund der familiären Umstände war die Mutter nicht mehr in der Lage und überfordert damit, ihre finanziellen Angelegenheiten zu regeln.

Sie bezog in der Zeit auch keine SGB II – Leistungen, weil nicht beantragt. Wirtschaftlich unvernünftiges Handeln ändert aber an der Schuldenübernahme als Regelfall insbesondere bei Obdachlosigkeit nichts.

Vielfachmutter war seit der Trennung vom Partner überfordert – Sie spekulierte aber nicht auf die Übernahme ihrer Schulden durch das Jobcenter

Umstände im Verhalten der Antragstellerin, wie ein Spekulieren oder Vertrauen der Übernahme von Schulden durch das Jobcenter ( vgl. hierzu LSG Baden- Württemberg, Beschluss v. 13.03.2013 – L 2 AS 842/13 ER-B ) sind nicht zu erkennen.

Grundrecht auf Wohnen als verfassungsrechtlich geschütztes Existenzrecht

Bei drohender Obdachlosigkeit und der daraus folgenden eingeschränkten Ermessensausübung durch den Grundsicherungsträger sind die Grundrechte der Antragstellerin, insbesondere das Grundrecht auf Wohnen als verfassungsrechtlich geschütztes Existenzrecht, zu beachten.

Die Regelung des § 22 Abs. 8 S. 2 SGB II soll insoweit über die Deckung laufender Bedarfe hinaus ausnahmsweise weitergehenden Schutz bieten.

Der Beschluss des SG Chemnitz vom 17.02.2015 zum Az. S 2 AS 357/15 ER wurde durch das Sächsische Landessozialgericht mit Beschluss vom 22.04.2015 zum Az. L 8 AS 235/15 B ER bestätigt.

Praxistipp

LSG NRW vom 17.09.2013 – L 19 AS 1501/13 B –

Eine betragsmäßige Begrenzung des Darlehensanspruchs nach § 22 Abs. 8 SGB II ist der Vorschrift nicht zu entnehmen.

Hinweis von Rechtsanwalt Knut Christian Hanke, Lünen zu dieser Entscheidung

1. Eine betragsmäßige Begrenzung des Darlehensanspruchs nach § 22 Abs. 8 SGB II ist der Vorschrift nicht zu entnehmen.

Entgegen den verwaltungsinternen Vorgaben einiger Jobcenter (vgl. hierzu beispielsweise: Richtlinien des Kreises Unna zur Gewährung angemessener Unterkunftskosten nach dem SGB II, Stand Oktober 2010, Seiten 28/29) ist im Rahmen des auszuübenden Ermessens nach § 22 Abs. 8 SGB II kein wie auch immer zu bestimmender Höchstbetrag allein maßgeblich, wenn es um die Entscheidung über einen Anspruch auf Übernahme von Mietschulden geht.

Örtliche Richtlinien zur Gewährung angemessener Unterkunftskosten nach dem SGB II, deren Anwendung auch in dem der Entscheidung zugrunde liegenden Fall dazu führte, dass das beantragte Darlehen abgelehnt wurde, weil die Höhe der Mietschulden hier über dem in den Richtlinien vorgegebenen Höchstbetrag lagen, was im Ergebnis zu einer kategorischen betragsmäßigen Begrenzung der Darlehensansprüche nach § 22 Abs. 8 SGB II führt, müssen nun als rechtswidrig angesehen werden.

In der Entscheidung des LSG NRW heißt es hierzu nur sehr knapp:

„Die Verbindlichkeiten aus dem Mietvertrag können durch ein Darlehen nach § 22 Abs. 8 SGB II vollständig gedeckt werden, das Darlehen ist betragsmäßig nicht begrenzt.”

Insgesamt ist die insoweit kommentierte Entscheidung des LSG NRW aus den genannten Gründen zu begrüßen, zeigt sich an dem hier entschiedenen Fall doch, dass die Leistungsträger nach dem SGB II oft zu voreilig Darlehensanträge nach § 22 Abs. 8 SGB II ablehnen, weil die im Rahmen der vorzunehmenden Ermessensentscheidung zu beachtenden Kriterien nicht richtig gewichtet und gegeneinander abgewogen werden.“

Fazit

1. Wenn Jobcenter in ihren internen Fachanweisungen zur Übernahme von Mietrückständen eine – Betragsmäßige Begrenzung der Darlehensansprüche nach § 22 Abs. 8 SGB II – für Mietschulden – enthalten, ist das rechtswidrig.

Die internen Weisungen der Jobcenter sind nur für Behördenmitarbeiter bindend, aber nicht für das Gericht.

Eine Begrenzung der Höhe von zu übernehmenden Mietschulden ist gesetzlich nicht vorgesehen ( so auch SG Landshut, Beschluss v. 05.01.2021 – S 5 AS 541/20 ER – bestätigt durch Bay LSG ).

2. In einem normalen Widerspruchsverfahren wird der Leistungsbezieher dies nicht klären können, hier ist eine Klage mit einem Anwalt für Sozialrecht zu empfehlen.