Das Landessozialgericht (LSG) Sachsen-Anhalt hat der gängigen Praxis mancher Jobcenter, umfangreiche Belegordner direkt bei Vermietern einzufordern, eine deutliche Absage erteilt.
Mit Beschluss vom 19. März 2025 (Az. L 2 AS 511/21) erklärte das Gericht ein Auskunftsverlangen für rechtswidrig, das eine Wohnungsgenossenschaft zur Herausgabe einer kompletten Betriebs- und Heizkostenabrechnung nebst Anlagen verpflichten sollte.
Die Richter stellten klar, dass § 60 Abs. 2 SGB II Vermieterinnen und Vermieter lediglich zu einer knappen Bestätigung verpflichtet, ob ein Guthaben entstanden ist, in welcher Höhe es besteht und ob es bereits verrechnet wurde. Alles darüber hinaus unterliege Verhältnismäßigkeits- und Datenschutzgrenzen.
Wenn Verwaltungsaufwand zur Drohgebärde wird
Ausgangspunkt war ein Schreiben des Jobcenters an eine Genossenschaftswohnungsgesellschaft. Weil der betroffene Bürgergeld-Haushalt die geforderten Unterlagen nicht innerhalb der Frist nachgereicht hatte, verlangte die Behörde kurzerhand sämtliche Belege vom Vermieter und drohte bei Nichtbefolgung mit einem Bußgeldverfahren.
Die Genossenschaft wehrte sich und klagte – zunächst erfolglos vor dem Sozialgericht Halle; erst die Berufungsinstanz gab ihr Recht.
Gang durch die Instanzen
Das Sozialgericht Halle hatte 2021 noch argumentiert, der Vermieter führe praktisch ein Guthabenkonto für die Mieter und falle damit unter die weit gefasste Norm des § 60 SGB II. Das LSG widersprach. Ein Guthaben entstehe erst mit der Jahresabrechnung; bis dahin verwahre der Vermieter kein „fremdes Vermögen“, sondern habe lediglich Vorauszahlungen entgegengenommen.
Damit fehlte die tatbestandliche Voraussetzung, die Drittauskunft auf Belegbasis einzufordern. Der angefochtene Bescheid sei daher von Beginn an unverhältnismäßig gewesen.
“Erst wenn Leistungsbeziehende ihre Mitwirkungspflichten vollständig verweigern, darf das Jobcenter auf Dritte zugreifen – und selbst dann nur in dem gesetzlich ausdrücklich zugelassenen Umfang”, so die Richter. Die Vorlage vollständiger Abrechnungen bedeute einen „Rundum-Einblick“ in Verbrauchs- und Haushaltsdaten, der ohne berechtigten Anlass unzulässig sei.
Mit Verweis auf die informationelle Selbstbestimmung wertete das Gericht die verlangte Offenlegung sensibler Verbrauchsdaten als unverhältnismäßig. Informationen wie Personenzahl oder individuelles Heizverhalten gehören nicht in die Akten einer Sozialbehörde, solange sie für die Anspruchsprüfung nicht zwingend erforderlich sind.
Damit stärkt das Urteil zugleich die Position von Vermietern, die sich nicht zu Ermittlungsgehilfen staatlicher Stellen machen lassen wollen.
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Mitwirkungspflichten bleiben beim Bürgergeld-Haushalt
Zwischen Jobcenter und Vermietern besteht kein Vertragsverhältnis. Wer Bürgergeld bezieht, muss seine Nebenkostenabrechnung selbst vorlegen, andernfalls kann die Behörde – nach Belehrung – Leistungskürzungen oder vorläufige Festsetzungen vornehmen.
Das LSG betonte damit, dass staatliche Stellen den einfacheren Weg über Dritte nicht ohne Weiteres wählen dürfen, wenn noch mildere Mittel gegenüber den Leistungsberechtigten offenstehen.
Praktische Folgen
Ein kurzes Schreiben vom Vermieter, das nur Bestehen, Höhe und Verbleib eines Guthabens bestätigt, genügt. Detaillierte Belege dürfen sie verweigern.
Jobcenter wiederum müssen ihre Auskunftsverlangen künftig präzise zuschneiden und dürfen bei Dritten nur Fakten abfragen, die das Gesetz ausdrücklich zulässt. Bürgergeld-Bezieher schließlich sollten die Fristen zur Vorlage ihrer Abrechnungen ernst nehmen, denn bei Versäumnissen können Sanktionen drohen – nur eben nicht zulasten ihrer Vermieter.
Schon das Bundessozialgericht hatte 2014 (Az. B 14 AS 38/13 R) entschieden, dass § 60 SGB II Dritte lediglich zu Auskünften, nicht aber zur Belegvorlage verpflichtet. Das aktuelle Urteil knüpft daran an und verhindert eine schleichende Ausweitung behördlicher Ermittlungsbefugnisse auf Kosten Privater.
Bewertung und Ausblick
Das Urteil legt die Messlatte für behördliche Datenerhebungen im Sozialrecht erneut hoch. Es erinnert daran, dass Effizienz nicht über Grundrechte siegen darf und dass Datensparsamkeit kein Verwaltungsluxus, sondern ein rechtsstaatliches Gebot ist.
Für Jobcenter bedeutet das eine Rückbesinnung auf das Prinzip „Beraten, fordern, fördern“ gegenüber Leistungsbeziehenden, bevor sie externe Auskünfte einholen. Für Vermieter und Mieter sorgt die Entscheidung für klarere Grenzen – und für mehr Vertrauen, dass sensible Haushaltsdaten nicht unnötig in dritte Hände gelangen.