Helena Steinhaus von der Initiative Sanktionsfrei e. V. berichtet über eine Frau, die ein Jobcenter in eine verzweifelte Lage bringt. Die Betroffene ist alleinerziehende Mutter, arbeitet in einem Minijob und betreut hauptsächlich ihre pflegebedürftige Tochter.
Jobcenter will Alleinerziehende in Arbeit drängen
Das Jobcenter kündigte der Mutter jetzt an, dass sie sechs Stunden am Tag arbeiten gehen solle. Sie fürchtet nun, dass die Behörde ihr ein Stellenangebot vermittelt, das sie ablehnen muss, weil sie durch die Untersuchungen und Therapien ihrer Tochter so ausgefüllt ist, dass sie nicht mehr als in ihrem Minijob arbeiten kann.
Sanktionen bis zum Streichen des Existenzminimums
Das Problem ist: Wenn die Mutter „ohne einen wichtigen“ Grund ein Jobangebot ablehnt, dann kann die Behörde ihre Bürgergeld-Leistungen kürzen. Bei einer Wiederholung sogar den gesamten Regelsatz, der für den Lebensunterhalt vorgesehen ist.
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Sanktionsfrei will unterstützen
Helena Steinhaus schreibt, statt zur Arbeit „gezwungen zu werden, sollte (die Mutter) eigentlich für ihre Pflegearbeit fürstlich entlohnt werden. Sollte (sie) ein Jobangebot bekommen, das sie ablehnen muss, werden wir sie natürlich sofort juristisch & finanziell unterstützen.“
Wie ist die Rechtslage?
Worauf kann sich die Mutter juristisch berufen? Die Pflege pflegebedürftiger Angehöriger steht Bürgergeld nicht im Weg. Vielmehr muss das Jobcenter den Aufwand an Zeit für die Pflege bei Angeboten von Maßnahmen und Beschäftigungen berücksichtigen.
Die Pflege hat Vorrang, und das Bürgergeld wird gezahlt, ohne dass die Pflege aufgegeben werden muss. Je höher der Pflegegrad ist, umso weniger ist eine Beschäftigung zumutbar.
Diese in der persönlichen Situation mögliche Beschäftigung hat die Mutter mit ihrem Minijob ausgefüllt.
Eine Arbeit in einem angemessenen zeitlichen Rahmen ist allerdings zumutbar, wenn die Pflege anderweitig erfolgen kann, zum Beispiel durch einen Pflegedienst oder andere Angehörige. Weder stellte das Jobcenter dies in den Raum, noch steht eine solche Alternative hier zur Debatte.
Grundsätzlich gilt also: Das Jobcenter hat den zeitlichen Umfang der häuslichen Pflege und Betreuung einer schwerbehinderten Angehörigen zu berücksichtigen, wenn es Stellenangebote vermittelt.
Die Behörde kann nicht einfach ohne echte Prüfung verlangen, dass die Mutter sechs Stunden am Tag arbeitet, obwohl sie diese Zeit für ihre Tochter benötigt.
Das gilt übrigens ausdrücklich auch dann, wenn der Betreuungsaufwand aus Tätigkeiten entsteht, die die Pflegeversicherung nicht berücksichtigt, wie der Einkauf oder das Aufräumen der Wohnung, die zwar unter Behindertenbetreuung, aber nicht im engen Sinne unter Pflege fallen.
Was kann die Betroffene tun?
Sollte das Jobcenter der Mutter eine Arbeitsstelle aufdrücken wollen, die diese nicht erfüllen kann und ihr daraufhin die Leistungen kürzen, weil sie die Stelle nicht antritt, dann sollte sie sofort Widerspruch einlegen.
Wenn das Jobcenter diesen Widerspruch ablehnt, dann folgt der Gang vor das Sozialgericht. Hier hat die Mutter gute Chancen, dass die Sanktion des Jobcenters als rechtswidrig eingestuft wird.
Worauf sollte die Mutter in dieser Situation achten?
Die Mutter muss klären, dass eine alternative Versorgung der Tochter durch Dritte oder durch mehrere Personen im persönlichen Umfeld nicht möglich ist. Wichtig sind auch medizinische Gutachten über Art und Schwere der Einschränkungen. Eine Dokumentation der täglich, wöchentlich und monatlich anfallenden Zeit, die die Betreuung der Tochter in Anspruch nimmt, ist ebenfalls unerlässlich.