Ein aktuelles Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg hat klargestellt: Das Jobcenter ist nicht verpflichtet, Nachmittagsbetreuungskosten für Kinder im Rahmen der Ganztagsschule zu übernehmen.
Auch Fahrtkosten, Schulgeld und private Zusatzversicherungen bleiben unberücksichtigt, wenn sie unterhalb gesetzlicher Freibeträge liegen oder vermeidbar sind. Die Mutter, die geklagt hatte, bleibt damit vorerst auf den Ausgaben sitzen – das letzte Wort hat jedoch das Bundessozialgericht.
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Hintergrund: Mutter klagt gegen Jobcenter – fünf Streitpunkte im Fokus
Im Zentrum des Rechtsstreits stand eine alleinerziehende, berufstätige Mutter mit drei minderjährigen Kindern. Der Vater, Rentenempfänger und nicht Teil der Bedarfsgemeinschaft, vertrat die Familie. Für den Zeitraum März bis August 2022 beantragte die Mutter beim Jobcenter unter anderem:
- die Nichtanrechnung des Kindergeldes,
- einen Mehrbedarf wegen Fahrten zur Schule,
- die Übernahme von Kosten der Nachmittagsbetreuung,
- Ersatz für privates Schulgeld,
- sowie Beiträge zur privaten Zusatzkrankenversicherung ihrer Kinder.
Das Jobcenter lehnte sämtliche Ansprüche ab. Die Mutter zog vor Gericht – und scheiterte auch dort.
Kindergeld bleibt Einkommen – trotz Internetmythen
Das Gericht bekräftigte eine häufig missverstandene Regel: Kindergeld wird vollständig als Einkommen des jeweiligen Kindes angerechnet, lediglich eine 30-Euro-Pauschale für Versicherungskosten wird abgezogen (§ 11 Abs. 1 S. 5, § 11b Abs. 1 Nr. 3 SGB II). Entgegen kursierenden Aussagen in Online-Foren sei eine Anrechnung auch durch EU-Recht nicht ausgeschlossen – ein oft verbreiteter Irrglaube.
Vorteil für Leser\:innen: Wer Kindergeld erhält, muss mit dessen Anrechnung rechnen – zusätzliche Freibeträge existieren nur in engen Grenzen.
Fahrtkosten und Betreuung unter 100 Euro? Kein Extra-Freibetrag
Die Klägerin machte monatlich 20 Euro Fahrtkosten und 58 Euro für Nachmittagsbetreuung geltend. Beide Positionen lehnte das Gericht mit Verweis auf den pauschalen 100-Euro-Freibetrag ab (§ 11b Abs. 2 SGB II). Nur wenn diese Kosten gemeinsam die Pauschale übersteigen, könnten zusätzliche Abzüge gewährt werden.
Es lohnt sich, Belege zu sammeln und genau zu prüfen, ob die Gesamtsumme über 100 Euro liegt. Erst dann ist eine Mehranrechnung möglich.
Nachmittagsbetreuung, keine „zusätzliche Lernförderung“
Die Nachmittagsbetreuung an der Ganztagsschule gilt nach Auffassung des Gerichts nicht als „zusätzliche Lernförderung“ im Sinne des § 28 Abs. 5 SGB II. Sie sei Bestandteil des regulären Schulkonzepts und damit nicht förderfähig über das Bildungs- und Teilhabepaket.
Das Landessozialgericht schloss sich damit einer Linie früherer Urteile an, unter anderem des LSG Nordrhein-Westfalen. Diese Frage ist nun Gegenstand der Revision beim Bundessozialgericht (Az.: B 7 AS 1/25 R).
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Mehrbedarf nach § 21 Abs. 6? Nur bei Unvermeidbarkeit
Ein weiterer Streitpunkt war der sogenannte „Mehrbedarf“ für besondere Betreuungssituationen. Die Klägerin argumentierte, dass die Nachmittagsbetreuung notwendig sei, um ihrer Berufstätigkeit nachgehen zu können. Das Gericht verneinte. Der Vater sei verfügbar, außerdem bestehe die Möglichkeit zur Gebührenbefreiung nach § 90 SGB VIII. Das mache die Betreuung nicht „unabweisbar“ – eine Voraussetzung für den Mehrbedarf.
Wer Betreuungskosten geltend machen will, muss zwingend nachweisen, dass keine andere Betreuungsmöglichkeit besteht – zum Beispiel durch Angehörige.
Private Schule und Zusatzversicherung: Kein Anspruch auf Extraleistungen
Auch das private Schulgeld wurde abgelehnt. Die Klägerin hatte ihre Kinder auf eine nichtstaatliche Schule geschickt, obwohl ein zumutbares öffentliches Angebot bestand. Nach ständiger Rechtsprechung der Sozialgerichte besteht dafür kein Anspruch auf Kostenübernahme durch das Jobcenter.
Die private Zusatzkrankenversicherung für die Kinder fiel ebenfalls unter die 30-Euro-Pauschale. Ein zusätzlicher Ausgleich sei nicht vorgesehen.
Fazit für Betroffene: Wer sich bewusst für private Bildung oder Gesundheitsleistungen entscheidet, muss diese selbst finanzieren – auch bei Bezug von Bürgergeld.
Was bedeutet das Urteil für Bürgergeld-Bezieher konkret?
Das Urteil schafft Klarheit – aber auch neue Unsicherheiten. Viele Familien verlassen sich auf die teils widersprüchliche Beratung durch Jobcenter oder Internetquellen. Dieses Verfahren zeigt: Nur wer die engen Vorgaben des SGB II exakt erfüllt, kann mit Leistungen rechnen.
Checkliste für Betroffene:
- Fahrt und Betreuungskosten bis 100 Euro: durch Pauschale abgedeckt.
- Ganztagsbetreuung ist keine Lernförderung – keine Extraleistung.
- Für Mehrbedarf: Betreuung muss „unvermeidbar“ sein und darf nicht anderweitig abgedeckt werden.
- § 90 Abs. 3 SGB VIII ermöglicht Befreiung von Kita und Betreuungskosten – Antrag stellen!
- Wer private Angebote nutzt, trägt das Kostenrisiko selbst.
Revision beim BSG: Entscheidung erst 2025 erwartet
Das Verfahren liegt nun beim Bundessozialgericht. Dort wird geprüft, ob die Ablehnung der Betreuungskosten rechtens ist. Erfahrungsgemäß dauert eine solche Revision 12 bis 18 Monate. Eine Entscheidung ist daher frühestens Ende 2025 zu erwarten.
Wer aktuell ähnliche Anträge gestellt hat oder in einem Widerspruchsverfahren steckt, sollte diese Fälle offenhalten. Die Entscheidung des BSG könnte neue Spielräume schaffen – insbesondere bei der Bewertung von Betreuung als Mehrbedarf.