Viele Bürgergeld-Aufrechnungsbescheide des Jobcenters sind falsch wegen fehlender Aufrechnungslage. Nur bei bestandskräftigen Erstattungsforderungen dürfen Jobcenter aufrechnen.
Mit wegweisendem Urteil gibt der 16. Senat des LSG Bayern (Urt. v. 15.02.2024 – L 16 AS 451/22 -) bekannt,, dass Aufrechnungsentscheidungen der Jobcenter aufzuheben sind, wenn die Gegenforderung (d.h. die Erstattungsforderung des Jobcenters ) nicht bestandskräftig und eine vorläufige Vollstreckbarkeit nicht angeordnet war. Denn eine rechtmäßige Aufrechnungsverfügung setzt eine Aufrechnungslage (§ 387 BGB) voraus.
Eine solche liegt aber – nur vor, wenn die Gegenforderung (hier: Erstattungsforderung des SGB II-Leistungsträgers) bestandskräftig ist oder für sofort vollziehbar erklärt wurde.
Vorliegend fehlt das Bestehen einer Aufrechnungslage
Auch die Aufrechnung im SGB II folgt grundsätzlich den Regeln der §§ 387 ff. Bürgerliches Gesetzbuch (BGB). Voraussetzung für eine Aufrechnung ist eine Aufrechnungserklärung (§ 388 BGB), eine Aufrechnungslage (§ 387 BGB) und eine Pfändbarkeit der Hauptforderung (§ 394 BGB).
Das Jobcenter kann zwar als SGB II-Leistungsträger gegen Ansprüche des Klägers auf Arbeitslosengeld II aufrechnen und hat gegen den Leistungsanspruch des Klägers aufgerechnet.
Dem Jobcenter stand noch kein bestandskräftiger oder für sofort vollziehbar erklärter Erstattungsanspruch nach § 50 SGB X gegen den Kläger zu
Ihm stand jedoch (noch) kein bestandskräftiger oder für sofort vollziehbar erklärter Erstattungsanspruch nach § 50 SGB X gegen den Kläger zu, weshalb die erforderliche Aufrechnungslage iSd § 43 SGB II iVm § 387 BGB nicht gegeben war.
Zwar genügt es, dass die Hauptforderung, gegen die aufgerechnet wird, erfüllbar ist, zugleich muss die öffentlich-rechtliche Gegenforderung jedoch bestandskräftig oder für sofort vollstreckbar erklärt worden sein (vgl. LSG Hessen, Beschluss vom 07.02.2022 – L 6 AS 587/21 B ER -).
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Bescheid prüfenDies ergibt sich auch aus der Gesetzesbegründung, in der ausgeführt wird, dass die Aufrechnung ab Bestehen einer Aufrechnungslage – Bestandskraft des Erstattungs- oder Ersatzanspruchs – längstens bis zum Ablauf von drei Jahren erklärt und vollzogen werden kann (vgl. BT-Drs. 17/3404, S. 117).
Hieran fehlt es aber, da die Gegenforderung, hier die Erstattungsforderung gemäß § 50 SGB X , mit Widerspruch und Anfechtungsklage im streitgegenständlichen Berufungsverfahren angefochten ist und sie nicht gemäß § 39 SGB II sofort vollziehbar ist.
Anmerkung vom Bürgergeld Experten Detlef Brock
1. Wahnsinns richtige Entscheidung, in diesem Sinne auch das LSG Hessen, Beschluss vom 07.02.2022 – L 6 AS 587/21 B ER – sowie das LSG Thüringen, Urteil vom 27.03.2024 – L 9 AS 906/22 – n. veröffentlicht – Revision anhängig beim BSG – B 4 AS 18/24 R – Termin wurde aufgehoben
2. LSG Thüringen, Urteil vom 27.03.2024 – L 9 AS 906/22 – n. veröffentlicht –
Danach gilt:
Ein Widerspruch gegen einen Erstattungsbescheid des Jobcenters hat gemäß § 86a Abs 1 SGG aufschiebende Wirkung und weil kein Fall des § 39 SGB 2 vorliegt, kann mit der Forderung aus einem Erstattungsbescheid nur aufgerechnet werden, wenn dieser bestandskräftig geworden ist oder der Leistungsträger die sofortige Vollziehung nach § 86a Abs 2 Nr 5 SGG angeordnet hat.
Detlef Brock ist Redakteur bei Gegen-Hartz.de und beim Sozialverein Tacheles e.V. Bekannt ist er aus dem Sozialticker und später aus dem Forum von Tacheles unter dem Namen “Willi2”. Er erstellt einmal wöchentlich den Rechtsticker bei Tacheles. Sein Wissen zum Sozialrecht hat er sich autodidaktisch seit nunmehr 17 Jahren angeeignet.