Sozialverbände schlagen Alarm gegen die Abschaffung des Bürgergeldes. Sie warnen, dass die geplanten Sanktionen das im Grundgesetz garantierte Existenzminimum außer Kraft setzen. Der Sozialverband Deutschland weist jetzt auf eine weitere Gefahr hin, die für Leistungsberechtigte Katastrophen bedeuten kann.
Inhaltsverzeichnis
Höheres Schonvermögen und volle Übernahme der Mietkosten
So lehnt die Leiterin des Verbands, Michaela Engelmeier, die geplante Abschaffung der Karenzzeit ab. Im Bürgergeld gilt nämlich, dass diejenigen, die frisch in die Grundsicherung rutschen, im ersten Jahr erstens ein höheres Schonvermögen behalten können.
Das Jobcenter gewährt ihnen zweitens die tatsächlichen Kosten der Unterkunft (KdU), ohne diese auf Angemessenheit zu prüfen. Heizkosten werden jedoch auch in der Karenzzeit nur in angemessener Höhe anerkannt. Wenn die neuen Regelungen in Kraft treten, gibt es diese Karenzzeit nicht mehr.
Zur Einordnung der Vermögensgrenzen in der Karenzzeit:
Regelung | Betrag |
Schonvermögen in den ersten 12 Monaten | 40.000 € für die erste Person + 15.000 € für jede weitere Person der Bedarfsgemeinschaft |
Nach Ablauf der Karenzzeit (Regel-Schonvermögen) | 15.000 € pro Person |
Leerer Kühlschrank um die Miete zu zahlen
Engelmeier befürchtet ernsthafte Schwierigkeiten für die betroffenen Leistungsberechtigten. Zwar hält sie es für nachvollziehbar, dass die Jobcenter keine Luxuswohnungen bezahlen. In der Praxis zeige sich aber, dass schnelle Umzüge schwierig seien, besonders auf dem angespannten Wohnungsmarkt.
Wenn die tatsächlichen Kosten höher seien, müssten die Betroffenen die Differenz vom Regelsatz abziehen. Das bedeute leere Kühlschränke am Monatsende.
Wozu dient die Karenzzeit?
Die bestehende Karenzzeit ist nicht eine „milde Gabe“, sondern hinter dem Konzept stehen sinnvolle Gedanken. Denn die Ampel-Koalition ging davon aus, dass in dieser ersten Zeit des Bürgergeld-Bezugs die Chancen noch hoch sind, schnell wieder in Arbeit zu kommen.
Die Karenzzeit dauert 12 Monate; Unterbrechungen im Leistungsbezug können dazu führen, dass die Frist neu bzw. anteilig läuft – ein wichtiger Praxispunkt für Betroffene.
Am Anfang ist noch ein guter Kontakt zum Arbeitsmarkt vorhanden
Die Leistungsberechtigten stehen noch auf Tuchfühlung zu ehemaligen Kollegen, sind in ihrem Bereich fachlich noch auf dem laufenden Stand und können leichter an den Arbeitsmarkt anknüpfen als bei längerem Bezug von Grundsicherung.
Konzentration auf Jobsuche
Die Karenzzeit stärkt die Leistungsberechtigten in dieser kritischen Phase. Sie können sich voll auf die Jobsuche konzentrieren und müssen ihre Energie nicht für die sofortige Suche nach einer günstigeren Wohnung verbringen.
Wohnkosten senken geht für viele nicht von heute auf morgen
Zudem verhindert die Karenzzeit, in dieser Krisensituation übereilt umzuziehen. Sich auf die neue Situation am Existenzminimum einzustellen, geht für viele Betroffene nicht von heute auf morgen. Gerade wer pflegebedürftig ist, psychische Probleme hat oder alleinerziehend ist, braucht Zeit – und das sind viele Menschen im Bürgergeld-Bezug.
Eine barrierefreie Wohnung ist schwer zu finden, eine andere Unterkunft muss sich mit dem Schulweg der Kinder vereinbaren lassen, und Pflegebedürftige müssen die Versorgung am neuen Wohnort organisieren.
Wichtig: Auch außerhalb der Karenzzeit können besondere Bedarfe (z. B. Barrierefreiheit, Pflege, schulische Belange der Kinder) dazu führen, dass höhere Wohnkosten ausnahmsweise anerkannt werden.
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Bescheid prüfenEntlastung der Jobcenter
Nicht zuletzt entlastet die Karenzzeit auch die Mitarbeiter der Jobcenter. Diese können sich so gerade bei neu ins Bürgergeld gerutschten Menschen auf ihre Kernaufgabe konzentrieren und versuchen, diese wieder in Erwerbsbeschäftigung zu vermitteln.
Je mehr Kostensenkungsverfahren die Mitarbeiter einleiten müssen, umso mehr Widersprüche der Leistungsberechtigten müssen sie bearbeiten. Oft genug urteilen Sozialgerichte dann zugunsten der Leistungsberechtigten, und am Ende müssen die Mitarbeiter dann doch die vollen Kosten der Unterkunft gewähren.
Das erfordert eine Menge Zeit und Arbeit, Zeit und Arbeit, die Mitarbeiter wie Leistungsberechtigte sinnvoll in Arbeitssuche investieren könnten.
Was folgt aus der Abschaffung der Karenzzeit?
Wer frisch von Grundsicherung abhängig wird, müsste sich in Zukunft sofort um eine günstigere Wohnung kümmern, obwohl der Markt kaum solche bezahlbaren Wohnungen bietet. Im Gegenteil: Die Mietpreise explodieren, besonders in Großstädten, aber nicht nur da.
Rechtspraktisch wichtig: Fällt die Karenzzeit weg, prüft das Jobcenter die Angemessenheit der Unterkunftskosten sofort. In der Regel wird zunächst ein Kostensenkungsverfahren eingeleitet – mit Fristsetzung (typischerweise mehrere Monate).
Erst nach Ablauf dieser Frist werden nur noch die angemessenen Kosten anerkannt; bis dahin können tatsächliche (höhere) KdU übergangsweise getragen werden.
Für die Leistungsberechtigten mindert die Abschaffung der Karenzzeit ihre Chancen, schnell wieder einen Job zu bekommen, der den Lebensunterhalt sichert. Denn günstigere Wohnungen gibt es vor allem da, wo die Infrastruktur schlecht ist.
Günstige Wohnung und keine Stellenangebote
In abgelegenen Dörfern, in denen selten Busse fahren, ist Wohnraum noch erschwinglich. Zugleich gibt es in solchen strukturschwachen Regionen aber auch kaum freie Stellen. In den Ballungszentren, in denen es Jobangebote gibt, sind die Mieten jedoch hoch.
Wer jetzt in die Grundsicherung kommt, und auf das Land ziehen muss, damit das Jobcenter die Unterkunft bezahlt, entfernt sich so vom Arbeitsmarkt.
Politischer und verfassungsrechtlicher Kontext
Parallel werden härtere Sanktionen und eine massive Einschränkung der Karenzzeit diskutiert. Sozialverbände wie der SoVD warnen, dass eine vollständige oder weitgehende Leistungskürzung das verfassungsrechtlich garantierte Existenzminimum berühren kann.
Das Bundesverfassungsgericht hat in der Vergangenheit klare Grenzen für Sanktionen gezogen – ein Punkt, der die aktuelle Debatte maßgeblich prägt.