Bürgergeld-Bezieher können darauf bestehen, dass ihnen die relevanten Dokumente des Jobcenters elektronisch übermittelt werden, wenn sie Sehbehindert sind. Das urteilte das Sozialgericht Hamburg. Wenn die Betroffenen einwilligen, dann können die Formulare auch mit unverschlüsselten Emails geschickt werden. Zu diesen Dokumenten gehören Anträge, Verwaltungsnachrichten, Hinweisblätter oder Widerspruchsbescheide.
Worum ging es?
Der Kläger bezieht seit mehr als zehn Jahren Leistungen nach dem SGB II (Bürgergeld, zuvor Hartz IV). Anerkannt ist bei ihm wegen Blindheit der höchste Grad der Behinderung, also GdB 100. Aufgrund seiner Blindheit ist er berechtigt, eine Begleitperson mitzunehmen, wenn er öffentliche Verkehrsmittel nutzt.
Der Kläger bat 2019 in einer Email den Geschäftsführer des für ihn zuständigen Jobcenters um eine barrierefreie Kommunikation, also darum, Dokumente elektronisch zu erhalten.
Der Geschäftsführer antwortete, dass der Kläger zwar generell einen solchen Anspruch hätte, dass er aber ein Computerprogramm benötige, um verschlüsselte Emails des Jobcenters öffnen zu können. Der Kläger erwiderte, dass er ein derartiges Programm weder habe noch bedienen könne und bat um die unverschlüselte Zusendung der entsprechenden Dokumente. Das Jobcenter lehnte dies ab, und gegen diese Absage klagte der Betroffene.
Wir hatten darüber auch hier berichtet.
Was bedeutet barrierefreie Kommunikation für Sehbehinderte?
Seit 2002 haben blinde und sehbehinderte Menschen einen Rechtsanspruch auf barrierefreie Kommunikation mit Behörden. Dies regelt der § 10 im Gesetz zur Gleichstellung behinderter Menschen (BGG):
„Träger öffentlicher Gewalt im Sinne des § 7 Absatz 1 Satz 1 haben bei der Gestaltung von schriftlichen Bescheiden, Allgemeinverfügungen, öffentlich-rechtlichen Verträgen und Vordrucken eine Behinderung von Menschen zu berücksichtigen. Blinde und sehbehinderte Menschen können nach Maßgabe der Rechtsverordnung nach Absatz 2 insbesondere verlangen, dass ihnen Bescheide, öffentliche Verträge und Vordrucke ohne zusätzliche Kosten auch in einer für sie wahrnehmbaren Form zugänglich gemacht werden, soweit dies zur Wahrnehmung eigener Rechte im Verwaltungsverfahren erforderlich ist.“
Wie entschied das Hamburger Sozialgericht?
Das Sozialgericht Hamburg gab der Klage statt. Das Jobcenter wurde dazu verurteilt, dem Kläger sämtliche Bescheide ab dem 11.12.2019 und außerdem alle Formulare, die das beidseitige Sozialrechtsverhältnis betreffen, nicht nur per Post zu versenden, sondern zudem auch barrierefrei als unverschlüsselte Email mit PDF-Dokument. Solche per Email zugesandten Schriftstücke kann der Betroffene mit einer eigenen Vorlesesoftware zur Kenntnis nehmen.
Bundes- wie Landesrecht
Als gemeinsamer Einrichtung (§§ 6d, 44b Abs. 1 SGB II) lässt sich beim Jobcenter sowohl Bundes- wie Landesrecht anwenden. Das ist in diesem Fall aber unerheblich, da sich der Anspruch des Klägers sowohl aus dem Bundesrecht wie aus dem Hamburger Landesrecht ergibt.
Eine Ablehnung des barrierefreien Zugangs wegen Datenschutzes, hier das Versenden per unverschlüsselten Emails, sei unzulässig, da der Kläger ausdrücklich in die Übermittlung per Email eingewilligt hätte. Damit hätte er auch das Risiko akzeptiert, dass es keine hundertprozentige Vertraulichkeit gäbe. (SG Hamburg, AZ S 39 AS 517/23)
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Dr. Utz Anhalt ist Buchautor, Publizist, Sozialrechtsexperte und Historiker. 2000 schloss er ein Magister Artium (M.A.) in Geschichte und Politik an der Universität Hannover ab. Seine Schwerpunkte liegen im Sozialrecht und Sozialpolitik. Er war wissenschaftlicher Mitarbeiter bei Dokumentationen für ZDF , History Channel, Pro7, NTV, MTV, Sat1.