Analphabetin muss Bürgergeld zurückzahlen weil sie die Ortsabwesenheitsregeln nicht lesen konnte

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Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach SGB II (Bürgergeld) können wegen nicht genehmigter Ortsabwesenheiten aufgehoben und Erstattungsforderungen geltend gemacht werden. Dies gilt im konkreten Fall auch, wenn die Betroffene mangelnde Sprachkenntnisse hat und Analphabetin ist, jedoch auf die Sanktionsmöglichkeiten und die nicht genehmigte Ortsabwesenheit hingewiesen wurde. So urteilte das Landessozialgericht Hamburg im Juli 2023.

Worum ging es?

Die Betroffene hatte in einem Überprüfungsverfahren geklagt, weil die zuständige Behörde damalige Hartz IV Leistungen (heute Bürgergeld) zurückforderte, die zwischen 2015 und 2017 geleistet worden waren.

In diesem Zeitraum war die Klägerin ohne Absprache mit dem Jobcenter wiederholt ortsabwesend gewesen. Sie lebte in einer Bedarfsgemeinschaft mit ihrem Ehemann und bezog Leistungen nach dem SGB II (Bürgergeld).

Notiert war am 11. Oktober 2013 ein persönliches Erstgespräch, in dem die Betroffene zusammen mit ihrem Sohn in der Funktion eines Dolmetschers erschien. Dabei sei ausführlich die mögliche Sanktionierung bei Ortsabwesenheit besprochen worden.

In einem Bescheid vm 1. April 2015 war unter „Ergänzende Erläuterungen“ vermerkt:

„Sie müssen immer unter der von Ihnen benannten Adresse erreichbar sein. Sie sind verpflichtet, den Zeitraum und die Dauer einer geplanten Ortsabwesenheit mit Ihrem persönlichen Ansprechpartner abzustimmen. Unerlaubte Abwesenheit kann dazu führen, dass Ihr Anspruch auf Arbeitslosengeld II wegfällt und die Leistungen zurückgefordert werden“.

Auch in Schreiben vom 19. April, vom 16. September und vom März war dieser Hinweis enthalten, ebenso wurde in der Eingliederungsvereinbarung im Mai 2016 darauf hingewiesen.

„Verdacht des Sozialleistungsmissbrauchs“

Am 1. Januar 2019 reiste die Betroffene aus dem Ausland am Flughafen Hamburg ein. Das Hauptzollamt II fand bei ihr 500 Euro Bargeld. Da sie angab, Leistungen nach dem SGB II zu beziehen, informierte das Hauptzollamt I das zuständige Jobcenter wegen Verdacht auf Sozialmissbrauch.

Das Jobcenter stellte anhand der Stempel im Reisepass fest, dass die Betroffene mehrfach ohne Ansprache und Zustimmung des Jobcenters ins Ausland gereist war. Der Beklagte teilte der Angeklagten mit, sie habe für die Zeit der ungenehmigten Abwesenheit keinen Anspruch auf Leistung, und diese würden für diese Zeit wegen Kenntnis oder grob fahrlässiger Unkenntnis aufgehoben.

Ausreichende Aufklärung

Das Landessozialgericht Hamburg erklärte diese Aufhebung der Leistungen und die Forderung nach ihrer Wiedererstattung jetzt für berechtigt.

Die Betroffene sei mehrfach auf unterschiedliche Art aufgeklärt worden über ihre Pflicht, Ortsabwesenheiten mit der Behörde abzustimmen – persönlich ebenso wie in Bewilligungsschreiben und in der Eingliederungsvereinbarung, so das Gericht. Sie hätte also wissen müssen, dass sie verpflichtet war, ihre Abwesenheit anzukündigen.

Bürgergeld-Rückzahlung wegen Ortsabwesenheit auch bei Analphabetismus

Zwar sei die Klägerin Anaphabetin und spreche kaum Deutsch, das entkräfte aber nicht den Vorwurf der groben Fahrlässigkeit. Vielmehr sei sie dazu angehalten gewesen, sich behördliche Dokumente durch Sprachkundige erklären zu lassen, Dazu hätte sie die Aufklärungs- und Beratungsverpflichtung der Behörde in Anspruch nehmen müsen.(§§ 13, 14 Erstes Buch Sozialgesetzbuch – SGB I).

„Betroffene hätte von der Verpflichtung wissen können“

Das Gericht hätte den Eindruck (anhand der Aktenlage und Befragung der Klägerin), dass sie in der Lage sei, zu verstehen, dass sie die Ortsabwesenheiten hätte genehmigen lassen müssen.

Es handle sich bei dieser Pflicht weder um einen komplexen Vorgang noch um einen spezifisch ausgestalteten Rechtsbegriff. Die Pflicht sei abgegrenzt und einfach zu verstehen: „Wenn Sie wegfahren wollen, so müssen Sie das vorher mit dem Jobcenter abstimmen“.

Zusätzliche Beratung hätte die Betroffene selbst anfordern müssen

Zudem sei dokumentiert, dass sie bei Gesprächen mit der zuständigen Behörde stets in Begleitung deutschkundiger Personen gewesen sei. Falls die vorhandene Hilfe trotzdem nicht ausgereicht hätte, sei es Sache der Klägerin und ihres Sohnes gewesen, darauf hinzuweisen und zusätzliche Aufklärung in Anspruch zu nehmen.

Insgesamt handelt es sich um 2.279,19 Euro, die die Betroffene an die Behörde zurückzahlen muss. (Aktenzeichen: L 4 AS 168/22 D)