Wie viel Prozent Schwerbehinderung bekommt man bei Depressionen?

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Wie viel Prozent Schwerbehinderung bekommt man bei einer Depression? Diese oder รคhnliche Fragen erreichen unsere Redaktion hรคufiger.

Zunรคchst einmal: In Deutschland wird der Schweregrad gesundheitlicher Beeintrรคchtigungen nicht in โ€žProzentโ€œ, sondern als Grad der Behinderung (GdB) in 10er-Schritten von 20 bis 100 festgestellt. Umgangssprachlich ist hรคufig von โ€žProzentโ€œ die Rede, juristisch korrekt ist jedoch der GdB.

Er beschreibt, wie stark die Teilhabe am gesellschaftlichen Leben lรคnger als sechs Monate beeintrรคchtigt ist. Ein GdB von 100 steht fรผr die schwersten Beeintrรคchtigungen.

Ab wann gilt man als schwerbehindert?

Als schwerbehindert gelten Menschen, wenn die Behรถrde einen GdB von mindestens 50 feststellt. Dann besteht Anspruch auf die Regelungen des Schwerbehindertenrechts sowie โ€“ auf Antrag โ€“ auf einen Schwerbehindertenausweis.

Wer โ€žnurโ€œ einen GdB von 30 oder 40 hat und ohne besonderen Schutz den Arbeitsplatz nicht bekommen oder behalten kann, kann sich bei der Agentur fรผr Arbeit schwerbehinderten Menschen gleichstellen lassen.

Die Rechtsgrundlage der Bewertung

BemessungsmaรŸstab sind die Versorgungsmedizinischen Grundsรคtze (VMG), die als Anlage zur Versorgungsmedizin-Verordnung (VersMedV) gelten. Darin ist festgelegt, wie kรถrperliche und psychische Stรถrungen einzuordnen sind. Fรผr psychische Stรถrungen โ€“ dazu gehรถren depressive Erkrankungen โ€“ ist insbesondere Teil B Nr. 3.7 VMG maรŸgeblich.

Welche Spannen sind bei Depressionen รผblich?

Die VMG geben Orientierungsrahmen vor, keine starren Automatismen. Entscheidend sind Ausprรคgung, Dauer, Behandlungsverlauf und โ€“ besonders wichtig โ€“ die Auswirkungen auf die Alltags- und Sozialfunktionen.

Bei leichteren depressiven Stรถrungen ohne wesentliche soziale Anpassungsschwierigkeiten werden hรคufig GdB 0โ€“20 angesetzt.

Stรคrker behindernde Stรถrungen mit wesentlicher Einschrรคnkung der Erlebnis- und Gestaltungsfรคhigkeit โ€“ etwa ausgeprรคgtere depressive Stรถrungen โ€“ bewegen sich typischerweise im Bereich GdB 30โ€“40. Schwere Stรถrungen mit mittelgradigen sozialen Anpassungsschwierigkeiten rechtfertigen GdB 50โ€“70; bei schweren sozialen Anpassungsschwierigkeiten kommen GdB 80โ€“100 in Betracht.

Diese Spannbreiten finden sich sowohl in der Praxis der Versorgungsรคmter als auch in der Rechtsprechung wieder.

Tabelle: Wann und wie ein Grad der Behinderung bei Depressionen?

Form/Ausprรคgung der Depression (Beispielbeschreibung) Mรถglicher GdB-Rahmen*
Leichte depressive Stรถrung ohne wesentliche sozialen Anpassungsschwierigkeiten, z. B. einmalige leichte Episode, Dysthymie mit geringen FunktionseinbuรŸen 0โ€“20
Stรคrker behindernde, anhaltende Symptomatik mit spรผrbaren Einschrรคnkungen der Erlebnis- und Gestaltungsfรคhigkeit, z. B. mittelgradige Episode mit deutlichem Antriebs- und Konzentrationsverlust 30โ€“40
Schwere depressive Stรถrung mit mittelgradigen sozialen Anpassungsschwierigkeiten, z. B. rezidivierende schwere Episoden, lรคngere Krankheitsphasen, erhebliche Alltagsbeeintrรคchtigungen 50โ€“70
Schwere depressive Stรถrung mit schweren sozialen Anpassungsschwierigkeiten, z. B. chronifizierte schwere Depression, ausgeprรคgter sozialer Rรผckzug, ggf. psychotische Symptome oder Therapieresistenz 80โ€“100

*Orientierungswerte nach den versorgungsmedizinischen Grundsรคtzen (VMG). Entscheidend ist stets die individuelle Funktionsbeeintrรคchtigung und deren Auswirkungen auf Teilhabe und Alltag; die Behรถrde legt den Grad der Behinderung im Einzelfall fest.

Verlauf und Rรผckfรคlle: Warum Episoden zรคhlen

Depressionen verlaufen oft episodisch. Hรคufigkeit, Dauer und Schwere der Phasen beeinflussen die Bewertung. Fรผr affektive Stรถrungen sieht die VMG-Systematik โ€“ je nach Anzahl und Dauer der Phasen โ€“ hรถhere Rahmenwerte vor. Das gilt auch dann, wenn zwischenzeitlich Remissionen bestehen, die Gesamtbeeintrรคchtigung aber erheblich bleibt.

Was Gutachterinnen und Gutachter besonders beachten

Im Mittelpunkt steht nicht die Diagnose โ€žDepressionโ€œ an sich, sondern die funktionellen Folgen: in welchem AusmaรŸ Motivation, Antrieb, Konzentration, Belastbarkeit, Schlaf, Selbstversorgung, Tagesstruktur, soziale Interaktion und Erwerbsfรคhigkeit beeintrรคchtigt sind.

Die VMG und die Gerichte betonen die sozial-kommunikative Ebene und den Leidensdruck. Eine gut dokumentierte Behandlungs- und Krankheitsgeschichte โ€“ etwa zu Therapien, Krankenhausaufenthalten, Kriseninterventionen und Arbeitsunfรคhigkeiten โ€“ ist daher regelmรครŸig entscheidend.

Beispielhafte Einordnung โ€“ ohne Automatismus

Wer anhaltend mittelgradig depressiv ist, unter deutlichen Antriebs- und Konzentrationsstรถrungen leidet und im Alltag merklich eingeschrรคnkt ist, wird nicht selten im Bereich GdB 30โ€“40 eingeordnet. Rezidivierende schwere Depressionen mit wiederkehrenden lรคngeren Episoden, deutlichen sozialen Rรผckzugsphรคnomenen und Therapieresistenz kรถnnen GdB 50 und mehr erreichen โ€“ mit der Folge der Schwerbehinderteneigenschaft.

Bei extremen Verlaufsformen mit massiven, dauerhaft gravierenden sozialen Anpassungsschwierigkeiten sind GdB 70โ€“100 mรถglich, kommen in der Praxis aber deutlich seltener vor. MaรŸgeblich bleibt stets der Einzelfall innerhalb der VMG-Rahmen.

Gleichstellung: Wichtig fรผr den Job, auch ohne GdB 50

Liegt der festgestellte GdB zwischen 30 und 40, kann eine Gleichstellung beantragt werden. Sie bringt insbesondere Kรผndigungsschutz nach dem Schwerbehindertenrecht und kann die Chancen am Arbeitsmarkt verbessern. Zustรคndig ist die Agentur fรผr Arbeit; rechtliche Grundlage sind ยง 2 Abs. 3 i. V. m. ยง 151 SGB IX.

Der Weg zur Feststellung

Die Feststellung des GdB erfolgt auf Antrag bei der fรผr den Wohnort zustรคndigen Behรถrde (z. B. Versorgungsamt oder Landesamt fรผr Soziales). Die Behรถrde zieht รคrztliche Unterlagen, Befundberichte und ggf. Gutachten bei und bildet aus allen Funktionsbeeintrรคchtigungen einen Gesamt-GdB; Einzelwerte werden nicht addiert, sondern in ihrer Gesamtauswirkung gewichtet.

Nach dem Bescheid sind Widerspruch und โ€“ falls nรถtig โ€“ Klage mรถglich. Beratungsstellen und Sozialverbรคnde erlรคutern Verfahren und Nachteilsausgleiche verstรคndlich und praxisnah.

Was Betroffene realistisch erwarten kรถnnen

Zusammenfassend gilt: Bei Depressionen reicht der GdB vom unteren Bereich bei leichten, gut kompensierten Stรถrungen bis hin zur Schwerbehinderung bei schweren, anhaltenden oder hรคufig rezidivierenden Verlรคufen mit deutlichen Alltagsauswirkungen.

Der Einzelfall entscheidet, orientiert an den VMG-Rahmenwerten und der tatsรคchlich eingeschrรคnkten Teilhabe. Wer unsicher ist, sollte die eigene Situation frรผhzeitig dokumentieren, eng mit behandelnden Fachรคrztinnen und Therapeuten zusammenarbeiten und sich โ€“ etwa vor einem Antrag oder Widerspruch โ€“ neutral beraten lassen.