Wer Bürgergeld bezieht, auf die 63 zugeht und überlegt, mit einer vorgezogenen Altersrente das Jobcenter hinter sich zu lassen, steht vor einer weitreichenden Entscheidung. Sie betrifft nicht nur die nächsten Monate, sondern wirkt durch dauerhafte Abschläge und veränderte Leistungsansprüche ein Leben lang nach.
Was „vorzeitige Altersrente“ bedeutet – und wer sie beanspruchen kann
Eine vorgezogene Altersrente ist der Rentenbezug vor Erreichen der Regelaltersgrenze. Wer mindestens 35 Jahre Wartezeit zusammenbekommt, kann bereits mit 63 Jahren in Rente gehen.
Zur Wartezeit zählen nicht nur Pflichtbeitragszeiten, sondern je nach Konstellation auch Zeiten ohne Beitragszahlung, etwa Phasen mit Leistungen wie Bürgergeld beziehungsweise den Vorgängerleistungen.
Liegt zusätzlich eine anerkannte Schwerbehinderung vor, ist – abhängig vom Jahrgang – ein Rentenbeginn bis zu fünf Jahre vor dem regulären Rentenalter möglich.
Wer 45 Jahre Wartezeit erfüllt, kann zwei Jahre vor der Regelaltersgrenze abschlagsfrei in Rente gehen; alles, was darüber hinaus früher wäre, fällt unter die regulären Regeln der vorzeitigen Rente mit Abschlägen.
Dauerhafte Abschläge: der Preis für den frühen Ausstieg
Kernstück jeder vorzeitigen Rente sind die Abschläge. Für jeden Monat, den die Rente vor der persönlichen Regelaltersgrenze beginnt, sinkt der Rentenanspruch dauerhaft um 0,3 Prozent. Der maximale Abschlag beträgt 14,4 Prozent.
Bei anerkannter Schwerbehinderung lässt sich die Rente zwei Jahre früher abschlagsfrei beziehen; für bis zu drei weitere vorgezogene Jahre fallen dann Abschläge nur auf die Monate bis zur abschlagsfreien Grenze an, maximal 10,8 Prozent. Wer 45 Versicherungsjahre erreicht hat, kommt zwar zwei Jahre früher ohne Abschlag in Rente; wählt er einen noch früheren Start, werden Abschläge bis zur Regelaltersgrenze berechnet, sodass trotz 45 Jahren Wartezeit insgesamt bis zu 14,4 Prozent möglich sind.
Wichtig: Einmal berechnete Abschläge begleiten die Rente lebenslang, auch über die Regelaltersgrenze hinaus.
Weniger Beitragsjahre, weniger Rente: der zweite Effekt des Vorziehens
Abschläge sind nicht der einzige dämpfende Faktor. Wer die Erwerbstätigkeit mit dem Rentenbeginn beendet, zahlt keine Beiträge mehr in die Rentenversicherung ein – ebenso entfallen Beitragszeiten aus Krankengeld oder Arbeitslosengeld, weil diese Leistungen mit dem Rentenbeginn automatisch enden. Jede fehlende Beitragszeit schlägt sich in einer niedrigeren Rentenhöhe nieder.
Es kann daher sinnvoll sein, den Rentenbeginn so zu legen, dass zunächst Krankengeld– und anschließend Arbeitslosengeldansprüche ausgeschöpft werden. In dieser Zeit fließen weiter Beiträge, was die spätere Rente stabilisiert.
Wann der Wechsel vom Bürgergeld in die Rente finanziell Vorteile bringen kann
Trotz Abschlägen gibt es Konstellationen, in denen die vorgezogene Altersrente unterm Strich mehr Geld im Monat bedeutet als der Verbleib im Bürgergeld. Besonders relevant ist dies, wenn Arbeit neben der Leistung bezogen wird und auch künftig geplant ist.
Beim Bürgergeld wird Erwerbseinkommen weitgehend angerechnet, was die Leistung mindert. Bei einer Altersrente ist das anders: Der Hinzuverdienst ist nicht rentenmindernd begrenzt.
Das Gesamteinkommen aus Rente und Arbeit kann deutlich höher ausfallen als die Kombination aus Bürgergeld und Arbeitseinkommen. Zugleich besteht bei Beschäftigung vor der Regelaltersgrenze in aller Regel Rentenversicherungspflicht, sodass weitere Beiträge die Rente ab der Regelaltersgrenze erhöhen.
Die zweite typische Gewinnsituation betrifft Menschen mit ausgeprägter Erwerbsbiografie und lange Zeit hohen Einkommen, die später dennoch ins Bürgergeld gerutscht sind.
Fällt die berechnete vorgezogene Rente trotz Abschlägen deutlich über dem Bürgergeld aus, kann sich der frühere Bezug selbst unter Berücksichtigung der lebenslangen Minderung lohnen.
Die Deutsche Rentenversicherung erstellt auf Anfrage Vergleichsberechnungen für einen vorgezogenen und einen späteren, abschlagsfreien Rentenbeginn.
Diese Gegenüberstellung ist die zentrale Datengrundlage für eine informierte Entscheidung, auch wenn die individuelle Lebensdauer und die zukünftige Rentenentwicklung naturgemäß ungewiss bleiben.
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Bescheid prüfenWeniger Druck und weg vom Jobcenter
Der Übergang von einer bedarfsgeprüften Leistung in eine eigenständige Altersrente verändert mehr als die finanzielle Bilanz. Viele Betroffene erleben weniger Stigmatisierung, weniger Behördentermine, keine Weiterbewilligungsanträge und keine Sanktionsandrohungen aus dem Jobcenter.
Wer neben der Rente arbeiten möchte, kann dies ohne Anrechnungsverluste tun und behält das erzielte Einkommen. Zwar kann es bei höheren Gesamteinkommen zur Einkommensteuerpflicht kommen oder sich die steuerliche Belastung erhöhen; im Vergleich zur Einkommensanrechnung im Bürgergeld wiegt dieser Effekt jedoch häufig deutlich weniger.
Wenn die vorgezogene Rente nicht zum Leben reicht: Wohngeld und Hilfe zum Lebensunterhalt
Mit einer vorgezogenen Altersrente entfällt der Anspruch auf Bürgergeld. Ein Anspruch auf Grundsicherung im Alter besteht erst ab Erreichen der Regelaltersgrenze.
Für die Zwischenzeit kommen zwei Instrumente in Betracht. Zum einen kann Wohngeld die Wohnkosten abfedern, setzt aber ein Mindesteinkommen voraus, weil die Leistung nur bewilligt wird, wenn der Lebensunterhalt mit Wohngeld als gedeckt gilt.
Wird dieses Mindesteinkommen nicht erreicht, bleibt als zweite Option die Hilfe zum Lebensunterhalt nach dem Zwölften Buch Sozialgesetzbuch.
Sie ist ebenfalls bedarfsgeprüft, folgt aber anderen Mitwirkungs- und Kürzungsregeln als das Bürgergeld.
Seit den Bürgergeldreformen gibt es bei der Hilfe zum Lebensunterhalt keine Kürzungsmöglichkeit mehr wegen unterlassener Arbeitsbemühungen; eine Kürzung kommt nur in Betracht, wenn eine bestehende Arbeit aufgegeben wird.
In der Praxis berichten Beratungsstellen, dass Wohngeld bei vorgezogenen Altersrentnerinnen und -rentnern nicht aufgrund fehlender Arbeitsaufnahme versagt wurde, auch wenn die Gesetzeslage dazu keine völlig eindeutige Schutzgarantie formuliert.
Was das Jobcenter verlangen darf – und wo die Grenzen liegen
Nicht immer ist die Entscheidung völlig frei. Steht eine abschlagsfreie Rente im Raum, weil entweder eine Schwerbehinderung einen abschlagsfreien Vorzug von zwei Jahren ermöglicht oder die Wartezeit von 45 Jahren erfüllt ist, kann das Jobcenter zur Antragstellung auffordern und den Rentenantrag nötigenfalls auch selbst stellen.
Zudem kann das Jobcenter eine Erwerbsminderungsrente anstoßen; deren Abschläge von bis zu 10,8 Prozent gehen später automatisch in die Altersrente über, sodass auf diesem Umweg eine Altersrente mit Abschlägen entsteht.
Eine direkte Zwangsverrentung in eine Altersrente mit Abschlägen ist nach derzeitigem Stand bis Ende 2026 ausgeschlossen. Ab 2027 wird eine Rückkehr zu entsprechenden Möglichkeiten zwar diskutiert, allerdings nur unter Voraussetzungen und ohne abschließende Ausgestaltung. Maßgeblich bleibt daher der Stand der Gesetzgebung im Zeitpunkt der Entscheidung.
So treffen Sie die richtige Entscheidung
Die Frage „Rente jetzt oder später?“ lässt sich nicht pauschal beantworten. Wer neben der Rente weiterarbeitet und dadurch die Anrechnungslogik des Bürgergelds hinter sich lässt, erzielt häufig ein spürbares Plus.
Wer dagegen ohne Hinzuverdienst knapp kalkuliert, sollte die lebenslangen Abschläge und die fehlende Grundsicherung im Alter vor der Regelaltersgrenze sorgfältig einpreisen und Alternativen wie Wohngeld oder Hilfe zum Lebensunterhalt konkret prüfen.
Unabdingbar ist eine individuelle Rentenauskunft mit Variantenrechnung zum gewünschten Starttermin und zum abschlagsfreien Beginn. Ebenso sinnvoll ist eine Klärung offener Versicherungszeiten, damit die Wartezeiten korrekt gezählt werden und keine vermeidbaren Lücken bleiben.
Fazit: Vorziehen nur mit Blick aufs Ganze
Eine vorgezogene Altersrente kann den Ausstieg aus dem Bürgergeld erleichtern, den bürokratischen Druck mindern und in bestimmten Konstellationen sogar finanziell attraktiver sein. Sie hat aber strukturelle Nachteile durch lebenslange Abschläge und wegfallende Beitragszeiten.
Wer die Entscheidung fundiert treffen will, braucht belastbare Zahlen aus der Rentenversicherung, einen realistischen Blick auf die Lebenshaltung bis zur Regelaltersgrenze und Klarheit darüber, welche flankierenden Leistungen in Frage kommen.
Rechnet der Wechsel unter diesen Prämissen, kann er eine neue Freiheit eröffnen. Rechnet er nicht, ist Warten oft die vernünftigere Wahl – zumal jede zusätzliche Beitragszeit die spätere Rente stärkt und der Abschlag mit jedem aufgeschobenen Monat schrumpft.