Verschärfung von Hartz IV: Kommt die Agenda 2020?

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Der Politikwissenschaftler Christoph Butterwegge warnt vor der "Agenda 2020" und ein verschärftes Hartz IV System
Werden die Unternehmen und Besserverdiener nicht an dem Schuldenbetrag entscheident beteiligt, sind Sozialkürzungen unausweichlich

Ist die Bundestagswahl erst einmal zu Ende und stehen die Entscheidungsträger fest, wird mit Sicherheit der Sozialabbau folgen. Dabei ist es unerheblich in welcher Konstellation eine neue Bundesregierung gebildet wurde. Denkbare Optionen scheinen derzeit nur Schwarz-Gelb oder eine große Koalition zu sein. Kanzlerin Angela Merkel macht schon jetzt deutlich, wer die Zeche der Wirtschaftskrise zahlen soll. So sagte Merkel bei einer Wahlkampfveranstaltung in Neumünster: Die Union wolle die "Reichen nicht einseitig belasten". Eine Neuauflage der Vermögenssteuer sowie eine Erhöhung des Spitzensteuersatzes sei mit der Union nicht zu machen. Merkel verbat sich eine "Neiddiskussion". Man solle schließlich nicht auf die Millionen der Reichen schielen. Doch wer soll die Milliarden Kosten der Wirtschaftskrise tragen?

Es ist eben wie in der Wirtschaft. Muss ein Unternehmen Kosten einsparen, sind immer die unteren Einkommensgruppen betroffen. Hauptsache die Gehälter der Spitzenverdiener stimmen. Das hat nichts mit "Neid" zu tun, sondern mit eiskalter Realität. In einem Meinungsbeitrag der "Blätter für deutsche und internationale Politik" warnte der Politikwissenschaftler dass sich der Sozialstaat immer mehr in ein "bloßen Fürsorge-, Almosen- und Suppenküchenstaat verwandelt". Die ersten Anzeichen seien dafür erkennbar.

Abschaffung der Rentengarantie

Diese Ansicht teilt auch das Münchener "Institut für sozial-ökologische Wirtschaftsforschung (isw)". In einer kürzlichen veröffentlichen wissenschaftlichen Studie vermuten die ISW-Wissenschaftler eine Rücknahme der kürzlich verabschiedeten "Rentengarantie". Da die Löhne immer weiter sinken werden, rechnet das isw damit, dass die Rentengarantie wieder zurück genommen wird. Der Arbeitgeberverband BDA hat sich bereits jetzt schon für eine Änderung der "Rentengarantie" ausgesprochen und forderte die Rüchnahme des Beschlusses. Als möglich wird auch erachtet, dass Rentner zukünftig den vollen Beitrag zur gesetzlichen Krankenkasse zahlen müssen. Derzeit müssen Rentner die Hälfte von 15,5 Prozent begleichen. Das isw befürchtet, falls sich die Wirtschaftslage nicht grundlegend ändert, mit Milliarden Fehlbeträgen bei den gesetzlichen Krankenkassen. Die Kassen werden insgesamt den Beitrag um einen Prozent anheben, da ansonsten das ganze System zusammen brechen würde.

Mehrwertsteuer auf Grundnahrungsmittel soll erhöht werden
Eine höhere Besteuerung der Grundnahrungsmittel ist ebenfalls ein unausweichliches Szenario. Das "industriepolitische Grundsatzpapier" aus dem Hause des Wirtschaftsministers Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU) machte es schon deutlich. Das Papier war unbeabsichtlich an die Öffentlichkeit geraten und wurde sogleich dementiert und herunter gespielt- schließlich stehen die Bundestagswahlen an. Aber auch der Baden-Württembergische Ministerpräsident Günther Oettinger (CDU) forderte unlängst ein höhere Besteuerung von Grundnahrungslebensmittel, Zeitungen und Bücher. Wahrscheinlich ist eine Anhebung auf 9,5 Prozent. Eine Anhebung auf 19 Prozent scheint ebenfalls denkbar zu sein. Würde ein solcher Fall eintreten, so wären vor allem die unteren Einkommensschichten und Hartz-IV Bezieher betroffen. Eine höhere Besteuerung ohne Ausgleich führt unweigerlich zur Massenverarmung.

Kürzung der ALG II und Sozialhilfe Regelsätze
Besonders hart wird es Hartz IV Bezieher treffen. Nicht nur, weil der gemäßigte Mehrwertsteuersatz angehoben wird, sondern auch weil die ALG II Leistungen gekürzt werden. Mit dem Auslaufen der Kurzarbeit und dem Ende des Stillhalteabkommens zwischen der Bundesregierung und der Wirtschaft wird es zu einem massiven Anstieg der Erwerbslosigkeit kommen. Durch den Anstieg der Arbeitslosigkeit rechnet die Bundesregierung mit zusätzlichen Kosten von 100 Milliarden Euro bis zum Jahre 2013. Das isw hält dann schmerzliche Kürzungen der ALG II Regelsätze für unausweichlich.

Abschaffung des Entsendegesetzes (Mindestlöhne in einigen Branchen)
Für die FDP sind gerechte Löhne "Gift" für die deutsche Wirtschaft. So macht die Partei jetzt schon deutlich, dass die gewillt ist, die bereits beschlossenen Mindestlöhne wieder abzuschaffen. Der FDP-Vize Chef Rainer Brüderle kritisierte die Union, weil sie nicht vor der Wahl zugeben würden, derlei Maßnahmen politisch richtig zu finden. Der FDP Spitzenpolitiker Brüderle sagte der "Leipziger Volkszeitung", in Koalitionsverhandlungen zwischen Union und FDP werde das Thema Mindestlöhne und Kündigungsschutz "sicher wieder auf den Tisch kommen". "Mindestlöhne bleiben maximaler Unsinn, weil sie Arbeitsplätze gefährden", tönt der FDP-Politiker. Damit nicht genug, auch der Kündigungsschutz "soll wieder auf den Prüfstand".

Soziale Gerechtigkeit könnte helfen
Doch das "isw" zeigt auf, wie man die Wirtschaftskrise "sozial verträglich" gestalten kann. Etwa 810.000 Millionäre leben in Deutschland. Eine Sondersteuer von gerade einmal 5 Prozent würden 115 Milliarden Euro pro Jahr in die Steuerkassen spülen. Doch solche Konzept werden von Union, FDP und SPD kategorisch abgelehnt. Schließlich sollen die Reichen auch Reiche bleiben, während die Armen noch ärmer werden sollen. Das hat nichts mit Neid zu tun, sondern mit nackter Existenzangst für Millionen von Menschen die nicht von Millionen leben. Die hochgelobte soziale Marktwirtschaft kann dann nur noch in den Schulbüchern nachgelesen werden. (10.09.2009)