Unterschied zwischen Grundsicherung und Sozialhilfe

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Viele Menschen verwenden „Sozialhilfe“ und „Grundsicherung“ im Alltag so, als seien es zwei völlig getrennte Systeme. Tatsächlich ist das Missverständnis verständlich, weil es mehrere „Grundsicherungen“ im deutschen Sozialrecht gibt und die Begriffe in Medien und Behörden unterschiedlich auftauchen.

Wer aber wissen will, welche Leistung in einer konkreten Notlage greift, muss genauer hinschauen: Bei „Grundsicherung“ geht es in diesem Zusammenhang fast immer um die Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung. „Sozialhilfe“ ist dagegen der Oberbegriff für ein ganzes Leistungssystem im Zwölften Buch Sozialgesetzbuch.

Sozialhilfe ist das System – Grundsicherung ist eine Leistungsart darin

Sozialhilfe bezeichnet die Leistungen nach dem Zwölften Buch Sozialgesetzbuch (SGB XII). Dieses Gesetz regelt Hilfen für Menschen, die ihren Lebensunterhalt oder bestimmte besondere Bedarfe nicht aus eigenen Mitteln decken können und für die keine vorrangigen Leistungen (etwa aus der Sozialversicherung oder aus anderen Sozialgesetzen) greifen.

Innerhalb der Sozialhilfe gibt es unterschiedliche Leistungsbereiche, weil Notlagen sehr verschieden sein können: vom fehlenden Geld für den Alltag bis zu hohen Pflegekosten oder Hilfen bei besonderen sozialen Schwierigkeiten.

Die Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung ist innerhalb dieses Systems eine eigene Leistungsart. Sie gehört – gemeinsam mit der Hilfe zum Lebensunterhalt – zu den Leistungen, die den alltäglichen Lebensunterhalt absichern sollen.

Der Unterschied liegt also nicht darin, dass „Grundsicherung“ und „Sozialhilfe“ zwei konkurrierende Töpfe wären, sondern darin, dass Grundsicherung eine spezielle Form der Sozialhilfe ist – mit eigenen Zugangsvoraussetzungen und einigen rechtlich bedeutsamen Besonderheiten.

Wo die Unterschiede im Gesetz verankert sind

Rechtlich findet sich die Hilfe zum Lebensunterhalt im Dritten Kapitel des SGB XII, während die Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung im Vierten Kapitel geregelt ist.

Beide Leistungen wirken auf den ersten Blick ähnlich, weil sie den notwendigen Lebensunterhalt einschließlich Unterkunft und Heizung absichern sollen.

Dennoch ist die Einordnung im Gesetz nicht bloß „Sortierung“, sondern spiegelt die Zielgruppen und die dahinterstehende sozialpolitische Idee wider: Hilfe zum Lebensunterhalt ist typischerweise für Situationen gedacht, in denen Bedürftigkeit nicht dauerhaft feststeht, während die Grundsicherung im Alter oder bei dauerhafter voller Erwerbsminderung eine längerfristige Absicherung bieten soll.

Wichtig ist außerdem eine zweite Abgrenzung, die in der Praxis häufig entscheidender ist als die Unterscheidung innerhalb des SGB XII: Erwerbsfähige Hilfebedürftige fallen grundsätzlich in den Bereich des Bürgergeldes nach dem SGB II. Sozialhilfe nach dem SGB XII ist demgegenüber vor allem für Menschen gedacht, die nicht erwerbsfähig sind oder aus Altersgründen nicht mehr dem Arbeitsmarkt zur Verfügung stehen.

Die Zielgruppen: Alter oder dauerhafte volle Erwerbsminderung

Grundsicherung im Alter erhalten Menschen, die die Regelaltersgrenze erreicht haben und deren Einkommen und Vermögen für den notwendigen Lebensunterhalt nicht ausreichen. Es geht also um eine Aufstockung oder – wenn kaum eigene Mittel vorhanden sind – um eine vollständige Absicherung des Existenzminimums.

Grundsicherung bei Erwerbsminderung erhalten Erwachsene ab 18 Jahren, wenn eine dauerhafte volle Erwerbsminderung vorliegt. „Voll erwerbsgemindert“ bedeutet dabei im sozialrechtlichen Sinn, dass aus gesundheitlichen Gründen nur noch eine sehr geringe tägliche Erwerbsfähigkeit in Betracht kommt; entscheidend ist nicht, ob aktuell ein Arbeitsplatz vorhanden ist, sondern die gesundheitliche Leistungsfähigkeit nach den gesetzlichen Kriterien.

„Dauerhaft“ ist der sozialrechtliche Knackpunkt: Es muss unwahrscheinlich sein, dass die volle Erwerbsminderung behoben werden kann. Diese Dauerhaftigkeit wird in der Praxis häufig durch medizinische Feststellungen, Gutachten oder die Bewertung im Rentenrecht unterfüttert.

Die Hilfe zum Lebensunterhalt hingegen greift typischerweise, wenn zwar keine Erwerbsfähigkeit im Sinne des SGB II vorliegt, die Erwerbsminderung aber nicht als dauerhaft festgestellt ist oder wenn andere typische Voraussetzungen der Grundsicherung (etwa das Mindestalter bei Erwerbsminderung) nicht erfüllt sind. Sie kann auch für bestimmte Konstellationen relevant sein, in denen eine Notlage akut entsteht, aber noch nicht geklärt ist, ob sie länger anhalten wird.

Leistungsinhalt: Die Berechnung ist weitgehend gleich, die Rechtsfolgen nicht immer

In der Sache decken beide Leistungen ähnliche Bedarfe ab. Es geht um den notwendigen Lebensunterhalt, also um das, was Menschen für ein Leben in Würde im Alltag brauchen. Dazu zählen laufende Regelbedarfe, angemessene Kosten für Unterkunft und Heizung sowie – je nach Lebenssituation – weitere anerkannte Bedarfe.

Auch Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung beziehungsweise die Sicherstellung der medizinischen Versorgung können in diesen Kontext fallen. Bei Kindern und Jugendlichen, die in einer Bedarfsgemeinschaft beziehungsweise Haushaltskonstellation betroffen sind, spielen außerdem Leistungen für Bildung und Teilhabe eine Rolle.

Das führt dazu, dass Betroffene im Ergebnis oft ähnliche Leistungsbeträge sehen, unabhängig davon, ob die Zahlung als Hilfe zum Lebensunterhalt oder als Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung bewilligt wird. Der Unterschied zeigt sich weniger im „Warenkorb“ des Alltags, sondern eher in Zugang, Dauerlogik und in der Frage, ob und in welchem Umfang Angehörige oder später Erben in Anspruch genommen werden können.

Einkommen und Vermögen: Bedürftigkeit wird in beiden Systemen geprüft

Sowohl bei der Hilfe zum Lebensunterhalt als auch bei der Grundsicherung gilt: Wer die Leistungen beansprucht, muss finanziell hilfebedürftig sein. Einkommen wird grundsätzlich angerechnet, wobei es Ausnahmen und Freibeträge geben kann. Vermögen ist grundsätzlich einzusetzen, soweit es verwertbar ist und keine Schutzvorschriften greifen.

Die konkrete Bewertung hängt stark vom Einzelfall ab, weil das Sozialrecht zwischen verwertbarem Vermögen, geschützten Positionen und Zumutbarkeit unterscheidet.

In der Beratungspraxis spielt dabei häufig weniger die abstrakte Regel als die konkrete Frage eine Rolle, welche Nachweise das Sozialamt verlangt, wie das Amt Zuflüsse bewertet und welche Gestaltungsmöglichkeiten innerhalb der gesetzlichen Grenzen bestehen.

Gerade ältere Menschen oder Menschen mit gesundheitlichen Einschränkungen erleben das Verfahren als belastend, weil es die Offenlegung der wirtschaftlichen Verhältnisse erfordert. Juristisch ist diese Prüfung Ausdruck des Nachrangs der Sozialhilfe: Erst wenn eigene Mittel nicht reichen, springt der Staat ein.

Unterhalt durch Angehörige: Hier liegt ein besonders spürbarer Unterschied

Ein Grund, warum „Grundsicherung“ für viele Betroffene und Familien psychologisch und praktisch anders wirkt als „Sozialhilfe“, liegt in der Behandlung von Unterhaltsansprüchen. Bei der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung ist der Rückgriff auf Eltern oder Kinder deutlich eingeschränkt: Eine Inanspruchnahme kommt im Regelfall erst dann in Betracht, wenn das Jahresbruttoeinkommen des unterhaltspflichtigen Angehörigen über der gesetzlichen Schwelle liegt.

Dies soll verhindern, dass erwachsene Kinder mit durchschnittlichen Einkommen wegen der Bedürftigkeit ihrer Eltern in umfangreiche Unterhaltsprüfungen geraten – oder umgekehrt Eltern wegen eines erwachsenen Kindes mit dauerhafter Erwerbsminderung.

Bei der Hilfe zum Lebensunterhalt ist das Prinzip, Unterhaltsansprüche stärker zu berücksichtigen, traditionell ausgeprägter. Zwar hat die Rechtsentwicklung in den letzten Jahren die Angehörigen spürbar entlastet, aber die Grundlogik bleibt: Sozialhilfe ist nachrangig, und Unterhaltsansprüche können – je nach Leistung und Konstellation – auf den Sozialhilfeträger übergehen und dann gegenüber Unterhaltspflichtigen geprüft werden. In der Praxis entscheidet dieser Punkt oft darüber, welche Leistung Betroffene als „passender“ empfinden, auch wenn sie sich die Leistung nicht frei aussuchen können.

Erbenhaftung und Rückforderungen: Grundsicherung ist in einem Punkt bewusst anders konstruiert

Ein weiterer Unterschied mit großer Wirkung zeigt sich nach dem Tod der leistungsberechtigten Person. Bei bestimmten Sozialhilfeleistungen kann das Sozialamt unter Umständen Kostenersatz von Erben verlangen, allerdings nur innerhalb der gesetzlichen Grenzen und typischerweise beschränkt durch den Nachlasswert. Dieser Komplex wird in Familien häufig unterschätzt oder überdramatisiert – beides führt zu falschen Entscheidungen.

Für die Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung gilt demgegenüber eine ausdrückliche Sonderregel: Der sozialhilferechtliche Kostenersatz durch Erben ist für diese Leistung gesetzlich ausgeschlossen. Das ist politisch gewollt, weil die Grundsicherung gerade ältere Menschen und dauerhaft voll erwerbsgeminderte Erwachsene vor zusätzlicher Angst vor „späteren Rechnungen“ schützen soll. Rückforderungen sind davon zu unterscheiden: Wer Leistungen durch vorsätzlich falsche Angaben erwirkt, kann natürlich auch in diesem Bereich mit Rückforderungen rechnen. Das betrifft aber Fehlverhalten, nicht den normalen Leistungsbezug.

Antrag, Verfahren und Bewilligung: Formal ähnlich, praktisch oft unterschiedlich erlebt

Beide Leistungen laufen über den Träger der Sozialhilfe, also in der Regel über das örtlich zuständige Sozialamt. In beiden Fällen sind Nachweise zu Einkommen, Vermögen, Mietkosten und zur Lebenssituation nötig. Unterschiede entstehen in der Praxis häufig dadurch, dass bei der Grundsicherung im Alter oder bei dauerhafter Erwerbsminderung die Perspektive längerfristig ist und die Verwaltung daher stärker auf dauerhafte Verhältnisse abstellt, während Hilfe zum Lebensunterhalt eher als „Übergangsleistung“ behandelt werden kann, etwa wenn medizinische Fragen noch nicht abschließend geklärt sind.

Betroffene sollten wissen, dass Bescheide überprüft werden können und dass gegen ablehnende oder fehlerhafte Entscheidungen Rechtsmittel möglich sind. Gerade weil die Materie komplex ist, lohnt sich in Konfliktfällen fachkundige Beratung. Häufig geht es nicht um „große Tricks“, sondern um saubere Nachweise, korrekte Einstufungen und die rechtlich zutreffende Bewertung der Erwerbsminderung oder der Angemessenheit von Unterkunftskosten.

Fallkonstellationen: Wann welche Leistung typischerweise greift

Bei einer Rentnerin, deren gesetzliche Rente und eventuelle Zusatzrenten nicht reichen, um Miete, Heizung und laufende Lebenshaltungskosten zu bezahlen, ist die Grundsicherung im Alter das naheliegende Instrument. Sie setzt an der dauerhaften Lebensphase „Alter“ an und ergänzt das Einkommen so, dass das Existenzminimum gesichert wird.

Bei einem 45-jährigen Mann, der nach einer schweren Erkrankung vorübergehend nicht arbeiten kann, aber dessen gesundheitliche Prognose noch offen ist, kann zunächst Hilfe zum Lebensunterhalt in Betracht kommen, wenn Leistungen anderer Systeme nicht greifen und die Erwerbsfähigkeit im Sinne des SGB II nicht gegeben ist. Erst wenn sich die volle Erwerbsminderung als dauerhaft verfestigt, kann ein Wechsel in die Grundsicherung bei Erwerbsminderung relevant werden.

Bei einer 25-jährigen Frau mit einer schweren chronischen Erkrankung, bei der ärztlich absehbar ist, dass sie dauerhaft weniger als in relevantem Umfang arbeiten kann, ist die Grundsicherung bei Erwerbsminderung das passende System innerhalb der Sozialhilfe, weil es langfristige Hilfebedürftigkeit rechtlich abbildet und zugleich die Angehörigenbelastung begrenzt.

Warum die Begriffe im Alltag trotzdem so oft durcheinandergehen

Die Verwirrung hat mehrere Gründe. Erstens wird „Sozialhilfe“ umgangssprachlich häufig als Sammelwort für staatliche Unterstützung verwendet, auch wenn juristisch sehr unterschiedliche Leistungen gemeint sein können. Zweitens existiert neben der Grundsicherung im SGB XII auch die frühere „Grundsicherung für Arbeitsuchende“ im SGB II, die heute als Bürgergeld bezeichnet wird. Drittens wirken die Leistungen für den Lebensunterhalt bei vielen Betroffenen ähnlich, weil sie am Ende die Lücke zwischen Bedarf und eigenen Mitteln schließen.

Gerade deshalb ist eine präzise Einordnung hilfreich: Wer im Rentenalter ist oder dauerhaft voll erwerbsgemindert, spricht im Kontext der Sozialhilfe meistens über Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung. Wer nicht erwerbsfähig ist, aber die Dauerhaftigkeit nicht feststeht oder Sonderkonstellationen vorliegen, landet eher bei Hilfe zum Lebensunterhalt. Wer erwerbsfähig ist, fällt in der Regel in das Bürgergeld-System.

Ein nüchterner Blick: Es geht um Rechtsansprüche, nicht um Almosen

Sowohl Sozialhilfe als auch Grundsicherung sind Rechtsansprüche, keine Gnadenleistungen. Der Staat hat sich verpflichtet, ein menschenwürdiges Existenzminimum zu gewährleisten. Die Unterscheidung zwischen den Leistungen entscheidet nicht über „Wert“ oder „Status“, sondern über Zuständigkeiten, Prüfmaßstäbe und einzelne rechtliche Folgen – besonders bei Unterhaltsfragen und beim Kostenersatz durch Erben.

Wer den Unterschied kennt, kann Anträge gezielter stellen, Bescheide besser verstehen und typische Sorgen einordnen. Das nimmt nicht jede Belastung aus einem ohnehin schwierigen Lebensabschnitt, schafft aber Klarheit und reduziert das Risiko, aus falscher Scham oder aus Angst vor Angehörigen- oder Erbenfolgen auf Leistungen zu verzichten, auf die ein Anspruch bestehen kann.

Quellen

Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS): „Leistungen der Sozialhilfe“ sowie Erläuterungen zu den Leistungsbereichen des SGB XII.