Unterschätzter Renten-Booster: 551 Euro mehr Rente pro Monat

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Die „Zurechnungszeit“ ist einer der wirkungsmächtigsten, aber zugleich am wenigsten verstandenen Bausteine im Rentenrecht. Sie sorgt dafür, dass eine Rente wegen Erwerbsminderung (EM-Rente) so berechnet wird, als hätte die betroffene Person bis zu einer gesetzlich festgelegten Altersgrenze weitergearbeitet – obwohl das wegen Krankheit oder Behinderung gar nicht mehr möglich war.

Im Rentenjahr 2025 wird dabei so gerechnet, als reichten die Versicherungszeiten fiktiv bis zum Alter 66 Jahre und 2 Monate. Das hebt die EM-Rente spürbar an und schützt zugleich den späteren Übergang in die Altersrente.

Was die Zurechnungszeit rechtlich bedeutet

Juristisch ist die Zurechnungszeit eine rentenrechtliche, beitragsfreie Zeit, die der EM-Rente (und Hinterbliebenenrenten) hinzugerechnet wird. Sie beginnt mit dem Eintritt der Erwerbsminderung (dem „Leistungsfall“) und endet – abhängig vom Rentenbeginnjahr – an einer dynamisch ansteigenden Altersgrenze.

Die gesetzliche Definition findet sich in § 59 SGB VI; die schrittweise Verlängerung bis zur Regelaltersgrenze regelt die Übergangsvorschrift § 253a SGB VI. Für Rentenbeginne im Jahr 2025 endet die Zurechnungszeit mit 66 Jahren und 2 Monaten.

Dass die Zurechnungszeit „zählt“, hat einen klaren Grund: Sie gehört zu den beitragsfreien Zeiten im Sinne des § 54 SGB VI und ist damit rentenrechtliche Zeit. Diese rentenrechtlichen Zeiten werden – wichtig für viele Versicherte – auf die Wartezeit von 35 Jahren angerechnet, die etwa für die Altersrente für langjährig Versicherte oder für schwerbehinderte Menschen relevant ist.

Warum die Zurechnungszeit die EM-Rente deutlich erhöht

Rechnerisch funktioniert die Zurechnungszeit über die sogenannte Gesamtleistungsbewertung: Aus den bis zum Leistungsfall erzielten Entgeltpunkten wird ein durchschnittlicher Monatswert ermittelt und für die Monate der Zurechnungszeit fortgeschrieben.

Dadurch entstehen zusätzliche Entgeltpunkte, die die EM-Rente erheblich erhöhen können. Für 2025 ist zudem der aktuelle Rentenwert – also der Euro-Betrag pro Entgeltpunkt – zum 1. Juli auf 40,79 Euro angehoben worden. Das verstärkt den Effekt spürbar.

Das Rechenbeispiel: Wie aus Theorie bares Geld wird

Ein typischer Fall zeigt die Größenordnung. Eine versicherte Person, Jahrgang 1975, wird zum 1. Oktober 2025 voll erwerbsgemindert. Bis dahin wurden 30 Entgeltpunkte in 32 Beitragsjahren erwirtschaftet.

Der durchschnittliche Jahreswert beträgt 0,9375 Entgeltpunkte; pro Monat sind das 0,078125.

Im Rentenjahr 2025 reicht die Zurechnungszeit fiktiv bis 66 Jahre und 2 Monate; bei einem Leistungsfall mit 50 Jahren sind das 194 Monate.

Multipliziert mit dem Monatsfaktor entstehen 15,15625 zusätzliche Entgeltpunkte. Zusammen mit den bereits erarbeiteten 30 Punkten ergibt das 45,15625 Entgeltpunkte vor Abschlag.

Bei einem Zugangsfaktor von 0,892 (entspricht 10,8 Prozent Abschlag im Beispiel) verbleiben 40,279375 persönliche Entgeltpunkte.

Multipliziert mit dem aktuellen Rentenwert von 40,79 Euro ergibt sich eine monatliche Bruttorente von rund 1.643 Euro.

Ohne Zurechnungszeit – also nur mit den 30 erarbeiteten Punkten und demselben Abschlag – läge die Rente bei etwa 1.092 Euro. Die Differenz beträgt rund 551 Euro pro Monat. Diese Größenordnung ist in der Praxis keine Seltenheit.

Besitzschutz: Wie die höheren Werte in die Altersrente „mitwandern“

Der zweite, oft unterschätzte Vorteil zeigt sich Jahre später beim Wechsel in die Altersrente. Nach § 88 SGB VI gilt der Besitzschutz der persönlichen Entgeltpunkte: Beginnt eine Folgerente – etwa eine Altersrente – spätestens innerhalb von 24 Kalendermonaten nach Ende der EM-Rente, dürfen die persönlichen Entgeltpunkte (und damit der Zahlbetrag) nicht niedriger festgesetzt werden als zuvor.

Das bedeutet: Die durch Zurechnungszeit „hochgetunte“ EM-Rente legt die Messlatte für die spätere Altersrente. Die Deutsche Rentenversicherung erläutert diese 24-Monats-Frist ausdrücklich in ihren fachlichen Hinweisen.

Wartezeiten und vorgezogene Altersrenten: Ein leiser, aber wichtiger Nebeneffekt

Weil die Zurechnungszeit eine beitragsfreie rentenrechtliche Zeit ist, hilft sie beim Erreichen der 35-Jahre-Wartezeit. Das ist insbesondere für Menschen relevant, die eine vorgezogene Altersrente – etwa für schwerbehinderte Menschen – anstreben.

Entscheidend ist, dass nach § 51 Abs. 3 SGB VI „alle Kalendermonate mit rentenrechtlichen Zeiten“ gezählt werden; § 54 SGB VI stellt klar, dass dazu auch Monate mit Zurechnungszeit gehören. Damit kann eine frühere EM-Rente den Zugang zu einer späteren vorgezogenen Altersrente überhaupt erst ermöglichen.

Beiträge nach Eintritt der Erwerbsminderung: Was zählt – und was nicht

Häufig wird gefragt, ob nach Eintritt der Erwerbsminderung gezahlte Beiträge die laufende EM-Rente erhöhen. Grundsätzlich lautet die Antwort: nein. § 75 SGB VI sieht vor, dass für Zeiten nach Eintritt der Minderung der Erwerbsfähigkeit keine weiteren Entgeltpunkte für die laufende EM-Rente ermittelt werden.

Eine wichtige Ausnahme gilt jedoch bei voller Erwerbsminderung: Wer nach Eintritt der vollen EM mindestens 240 Monate (20 Jahre) mit Beitragszeiten zurücklegt, kann eine Neufeststellung der EM-Rente beantragen. Unabhängig davon können nach Eintritt der EM gezahlte Beiträge die spätere Altersrente verbessern.

Praxisnahe Hinweise zur eigenen Überprüfung

Wer eine EM-Rente beantragt oder bezieht, sollte den Rentenbescheid aufmerksam prüfen. Maßgeblich sind der korrekt festgestellte Leistungsfall und das richtige Ende der Zurechnungszeit – im Jahr 2025 also das Alter 66 Jahre und 2 Monate.

Eine Rentenauskunft der Deutschen Rentenversicherung gibt Orientierung zu Höhe und Berechnungsdaten und ermöglicht den Vergleich zwischen der prognostizierten Altersrente und der EM-Rente.

Bei Unklarheiten lohnt sich die fachkundige Prüfung, denn die Zurechnungszeit wirkt oft in doppelter Hinsicht: Sie hebt die EM-Rente spürbar an und setzt mit dem Besitzschutz die Untergrenze für die spätere Altersrente.

Transparenzhinweis: Rechtsstand 7. Oktober 2025. Gesetzesgrundlagen: §§ 59, 88, 51, 54, 75 SGB VI; aktuelle Rentenwerte ab 1. Juli 2025. Offizielle Informationen der Deutschen Rentenversicherung und der Bundesregierung wurden berücksichtigt.