Union und SPD wollen noch in diesem Jahr die neunen Regelungen für eine sogenannte neue Grundsicherung setzen, die das Bürgergeld ab 2026 ersetzen soll.
Während die Koalitionsabstimmungen offiziell andauern, ist ein erster Entwurf an die Öffentlichkeit gelangt, der unserer Redaktion vorliegt. Der Leak zeigt klare Verschärfungen – mit spürbaren Folgen für Leistungsbeziehende, aber auch für Jobcenter und Kommunen.
Und so soll die “Neue Grundsicherung” aussehen
Nach derzeitigem Stand zielt die Reform auf drei große Stellschrauben: strengere Sanktionen, eine abgesenkte Vermögensfreigrenze und einen schärferen Umgang mit unangemessen hohen Unterkunftskosten.
Demnach soll es künftig 100-prozentige Leistungskürzungen für Menschen geben, die wiederholt zumutbare Arbeit konsequent ablehnen.
Das sogenannte Schonvermögen, also der Vermögensbetrag, der bei der Bewilligung unberücksichtigt bleibt, soll von 40.000 auf 15.000 Euro sinken. Zudem ist vorgesehen, die Karenzzeit bei deutlich zu hohen Mieten abzuschaffen.
Schärfere Sanktionen
Besonders deutlich sind die Änderungen im Sanktionsregime. Bislang folgen Kürzungen einem Stufenmodell: Nach dem ersten Pflichtverstoß wird der Regelsatz um 10 Prozent für einen Monat gekürzt, nach dem zweiten um 20 Prozent für zwei Monate, nach dem dritten um 30 Prozent für drei Monate.
Der Entwurf würde diese Logik umkehren und bereits beim ersten Verstoß eine Kürzung von 30 Prozent zulassen; die maximale Sanktionsdauer bliebe mit drei Monaten unverändert.
Für sogenannte Totalverweigerer, also Leistungsbeziehende, die mehrfach und ohne sozialrechtlichem Grund zumutbare Arbeit ablehnen, sieht der Text sogar vollständige Leistungsausschlüsse vor.
Der Streit um die „Totalverweigerer“
Immer wieder wird gegen sog. Totalverweigerer in der öffentlichen Debatte mobil gemacht. Vertreterinnen und Vertreter der Union hatten bereits wiederholt angekündigt, genau hier ansetzen zu wollen.
Gleichzeitig zeigen Arbeitsmarktdaten, dass die Zahl solcher Fälle sehr gering ist – sie bewegt sich bundesweit in einem niedrigen zweistelligen Bereich. Die geplanten Regelungen senden damit weniger eine Antwort auf ein Massenphänomen als vielmehr ein populistisches Signal.
Vermögensschutz: Was die Absenkung des Schonvermögens bedeutet
Die Reduzierung des Schonvermögens von 40.000 auf 15.000 Euro wäre ein spürbarer Paradigmenwechsel. In der Praxis müssten Antragstellende schneller auf Erspartes zurückgreifen, bevor der Staat voll eintritt.
Für Haushalte mit Rücklagen – etwa für Altersvorsorge außerhalb privilegierter Produkte, für Notfälle oder für die Bildung der Kinder – erhöht sich der Druck, Reserven aufzulösen.
Befürworter verweisen auf das Prinzip der Subsidiarität und darauf, dass Grundsicherung als letzte Absicherung gedacht ist. Kritiker, wie der Sozialrechtsexperte Dr. Utz Anhalt warnen vor “einer Erosion der Selbstvorsorge und möglichen Hürden beim späteren Wiederaufbau und Stabilität.”
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Bescheid prüfenWohnen: Abschied von der Karenzzeit bei zu hohen Mieten
Die geplante Abschaffung der Karenzzeit bei unangemessen hohen Mieten wäre ein weiterer Eingriff mit unmittelbaren Konsequenzen.
Bislang gilt in den ersten Monaten des Leistungsbezugs ein weitgehender Schutz: Die tatsächlichen Kosten der Unterkunft werden anerkannt, selbst wenn sie über dem als angemessen definierten Rahmen liegen.
Künftig könnten Betroffene deutlich früher zur Kostensenkung aufgefordert werden – durch Untervermietung, Verhandlungen mit Vermietern oder einen Umzug.
“In angespannten Wohnungsmärkten verschärft das den Druck zusätzlich”, so Anhalt. Kommunen und Jobcenter müssten zugleich schneller und intensiver beraten, um wohnungslose Übergänge zu vermeiden. Das aber wird “in der Realität nicht stattfinden, wie die Erfahrungen zeigen”, sagt der Sozialrechtsexperte.
Rechtliche Fallstricke und verfassungsrechtliche Fragen
Die skizzierten 100-Prozent-Kürzungen sind rechtlich heikel. Leistungsausschlüsse berühren das Existenzminimum und damit grundrechtlich geschützte Positionen.
Zwar basiert das Sanktionssystem auf dem Gedanken der Mitwirkungspflichten; jedoch verlangt die Rechtsprechung enge Verhältnismäßigkeitsprüfungen, Härtefallklauseln und Rückkehrmöglichkeiten in den Leistungsbezug.
Der Entwurf wird sich im weiteren Verfahren an diesen Maßstäben messen lassen müssen. Auch die Absenkung des Schonvermögens und der Umgang mit Unterkunftskosten dürften auf ihre Angemessenheit, Praktikabilität und Vereinbarkeit mit dem Sozialstaatsprinzip geprüft werden.
Auswirkungen auf Jobcenter und Verwaltungspraxis
Für die Jobcenter bedeutet der Kurswechsel mehr Steuerungsarbeit an mehreren Fronten. Ein strengeres Sanktionsregime erfordert belastbare Dokumentation, Einzelfallprüfung und rechtssichere Bescheide. Die schnellere Prüfung von Vermögen und Unterkunftskosten erhöht den Beratungsaufwand bereits im Erstkontakt.
Gleichzeitig wird die Drohkulisse höherer Sanktionen die Kooperation in vielen Fällen Konflikte verschärfen und Widersprüche sowie Klagen wahrscheinlicher machen.
Was die Zahlen zu Pflichtverstößen aussagen – und was nicht
Pflichtverletzungen wie Meldeversäumnisse kommen in der Verwaltungspraxis häufiger vor als totale Arbeitsverweigerung. Sie haben unterschiedliche Ursachen: von organisatorischen Problemen über gesundheitliche Einschränkungen bis hin zu Konflikten mit Auflagen.
Das bisherige Stufenmodell war darauf ausgelegt, Verhaltensänderungen graduell zu erreichen. Die nun geplante „30-Prozent-ab-dem-ersten-Verstoß“-Regel setzt dagegen stärker auf schnelle Strafen.
Zeitplan und weiterer Prozess
Offiziell handelt es sich um einen ersten Entwurf, der in den kommenden Wochen und Monaten politisch und fachlich überarbeitet werden dürfte. Union und SPD peilen eine Einführung im kommenden Jahr an; realistisch erscheint nach jetzigem Stand ein Start zur Jahresmitte.