Sozialreport 2006: Sinkende Lebenszufriedenheit und wachsende Zukunftsangst in den neuen Bundesländern
Die Stimmung in den neuen Bundesländern kippt weiter. Die allgemeine Lebenszufriedenheit der Ostdeutschen hat im Jahr 2006 einen neuen Tiefpunkt erreicht. Zugleich haben die Befürchtungen mit Blick auf die Zukunft wieder zu- und die Hoffnungen entsprechend abgenommen. Das gehört zu den Hauptaussagen und aktuellen Ergebnissen des Sozialreports 2006. Dieser wurde im Auftrag des Sozial- und Wohlfahrtsverbandes Volkssolidarität vom Sozialwissenschaftlichen Forschungszentrum Berlin-Brandenburg e.V. (SFZ) erarbeitet und untersucht die Auffassungen und Befindlichkeiten der Bürger in den neuen Bundesländer zu ihrer sozialen Lage und Entwicklung. Die Studie wurde am 16. Januar in Berlin vorgestellt. Mit dem Sozialreport 2006 werden zum 17. Mal die Ergebnisse der seit 1990 jährlich durchgeführten Untersuchung zur sozialen Lage und sozialen Entwicklung in den neuen Bundesländern vorgelegt. Befragt wurden im Zeitraum Juni 2006 insgesamt 885 Frauen und Männer, die das 18. Lebensjahr erreicht hatten und in den neuen Bundesländern einschließlich Ostberlin lebten.
"Die allgemeine Lebenszufriedenheit ist vor dem Hintergrund der Reformdebatten weiter gesunken", betonte Prof. Dr. Gunnar Winkler, Präsident der Volkssolidarität. "Im Jahre 2006 waren 39 Prozent der befragten Ostdeutschen mit ihrem Leben alles in allem zufrieden. 2000 waren insgesamt noch 59 Prozent zufrieden bzw. sehr zufrieden" Insgesamt 16 Prozent der Befragten haben der Studie zufolge angegeben, unzufrieden zu sein (2000: sieben Prozent.) "Zufriedenheitsverluste" seien in allen Bevölkerungsgruppen aufgetreten, so Prof. Winkler. "Im besonderen Maße betraf dies die Altersgruppe der 50- bis 59-Jährigen sowie die ab 60-Jährigen."
Der Verbandspräsident machte darauf aufmerksam, dass die Zukunftserwartungen der Bürger im Gegensatz zu den Verlautbarungen der Politik stehen: "Die Zukunftsverunsicherungen haben – insbesondere bei älteren Bürgern – drastisch zugenommen." Nur acht Prozent der Befragten der Bürger hätten vor allem Hoffnungen mit Blick auf die Zukunft, 38 Prozent vor allem Befürchtungen, 45 Prozent antworteten mit sowohl als auch. "Offensichtlich ist, dass die nach wie vor existenten wirtschaftlichen Probleme bei zwar (rechnerisch) sinkender, aber immer noch hoher Arbeitslosigkeit ebenso wie die eine breite Öffentlichkeit bewegenden Wirkungen der Sozialreformen vor allem Befürchtungen aufkommen lassen." Es gebe ein bedeutendes Unzufriedenheitspotenzial, da nur jeder fünfte Ostdeutsche mit seinen Zukunftsaussichten zufrieden sei, während vier von fünf Ostdeutschen teilweise bzw. ganz unzufrieden seien, so Winkler.
Er betonte außerdem: "Die Bewertung der eigenen wirtschaftlichen Lage der Ostdeutschen hat sich zunehmend verschlechtert – für die nächsten Jahre wird von weiteren negativen Entwicklungen ausgegangen. Der von der großen Koalition proklamierte wirtschaftliche Aufschwung erreicht weder in der Realität noch im Bewusstsein die Mehrheit der Bürger." Es gebe zudem inzwischen eine neue Armut, betonte der Präsident der Volkssolidarität. "Sie ist gekennzeichnet durch: Armut trotz Arbeit, Armut von Familien mit Kindern und eine erkennbare zunehmende Altersarmut."
Die Sozialreformen werden der Untersuchung zufolge als Entscheidung gegen die Interessen der Mehrheit der Bürger angesehen. "Das Vertrauen in die politischen Instanzen ist niedrig.", sagte Winkler. Es gebe zwar ein mit dem Alter steigendes politisches Interesse, aber zugleich eine geringe Zufriedenheit mit dem Stand der Demokratieentwicklung. "Rechtsextremistisches Gedankengut ist wesentlich mehr verbreitet als von der Öffentlichkeit wahrgenommen.", warnte Winkler. "Die Untersuchungsergebnisse verweisen eindeutig darauf, dass Rechtsextremismus und ausländerfeindliches Verhalten nicht auf gewaltbereite, gering qualifizierte, ausgegrenzte junge Menschen reduzierbar ist, sondern alle Altersgruppen erfasst bei wachsenden Anteilen gegen Ausländer gerichteter Auffassungen mit steigendem Alter."
Der Rückzug in eine "Zuschauerdemokratie", "die sich auf reine Beobachter- und Kritikerpositionen begrenzt, der es weitgehend an Interessenartikulation, Konfliktaustragung und Nutzung von Chancen zur aktiveren Gestaltung der Verhältnisse mangelt", halte weiter an, stellte Winkler fest. "Insgesamt stellen vor allem ältere Bürger Mitwirkungsdefizite der Bürger bei sie betreffenden Entscheidungen fest – im Gegensatz zu ihren steigenden Bevölkerungsanteilen." (16.01.07)
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