Was passiert, wenn Sie krank werden, einen Unfall erleiden und wegen Ihrer Behinderung Ihre Arbeit nicht mehr ausüben können?
Darf der Arbeitgeber Sie dann einfach vor die Tür setzen? Nein, denn für diesen Fall gelten in Deutschland und der Europäischen Union bei Schwerbehinderung Sonderregelungen.
Welche Regeln der Arbeitgeber beachten muss, worauf Sie einen Anspruch haben, und was Sie tun können, das zeigen wir Ihnen in diesem Beitrag anhand eines Urteil des Europäischen Gerichtshofes.
Inhaltsverzeichnis
Sie haben Anspruch auf einen anderen Job
Wenn Sie in einem Unternehmen beschäftigt sind und wegen einer Behinderung Ihre bisherigen Aufgaben nicht mehr ausführen können, dann haben Sie Anspruch auf eine passende Stelle im selben Unternehmen. So entschied der Europäische Gerichtshoft (EuGH), und dies gilt laut dem Urteil ausdrücklich auch für die Probezeit (Rs. C-485/20).
Keine unverhältnismäßige Belastung des Arbeitgebers
Allerdings, so die Richter: Die Umbesetzung auf eine alternative Stelle darf den Arbeitgeber nicht unverhältnismäßig belasten. Im konkreten Fall ging es um einen Belgier, der bei der Eisenbahn die Schienen wartete. Er bekam einen Herzschrittmacher, und dieser reagierte sensibel auf elektromagnetische Felder, wie sie Gleisanlagen auftreten.
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Anspruch auf andere Stelle, wenn diese vorhanden ist
Er konnte seine bisherige Tätigkeit nicht mehr erledigen. Der Arbeitgeber setzte ihn zwar erst einmal im Lager ein, kündigte ihm jedoch letztlich. Der Europäische Gerichtshof erklärte jetzt, der Arbeitgeber habe “angemessene Vorkehrungen” zu treffen, um die Gleichbehandlung von Menschen mit Behinderung bei der Beschäftigung zu sichern.
Der Betroffene hätte also einen Anspruch auf Beschäftigung auf einer anderen Stelle. Voraussetzung sei, dass eine solche Stelle vorhanden und frei sei. Außerdem müsse er für die alternative Beschäftigung die erforderliche Qualifikation und Verfügbarkeit mitbringen.
Rechte von Menschen mit Behinderung gestärkt
Der Europäische Gerichtshof stützte mit diesem Urteil noch einmal die bestehende Rechtslage.
Denn Arbeitgeber müssen vor einer Kündigung wegen gesundheitlich bedingter Leistungseinschränkung genau prüfen. Sie müssen prüfen, ob der bestehende Arbeitsplatz leidensgerecht gestaltet werden kann, oder ob eine Weiterbeschäftigung auf einer anderen Position möglich ist.
Dies gilt aus der europäischen Richtlinie 2000/78 hervor. Diese verbietet jede Diskriminierung im Berufsleben wegen Behinderung.
Gilt die Pflicht zur Weiterbeschäftigung nur bei Schwerbehinderung?
Der Europäische Gerichtshof spricht explizit von “Behinderung”. Ist damit jetzt nur eine Schwerbehinderung gemeint, also ein Grad der Behinderung von mindestens 50? Oder gilt dies auch für Beschäftigte, die zwar keine anerkannte Schwerbehinderung haben, aber ihren Job aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr ausüben können? Diese Frage dürfte in Zukunft die Gerichte beschäftigen.
Was bedeutet “unzumutbar”?
In dem konkreten Fall hielt der Europäische Gerichtshof es für zumutbar, dem Betroffenen eine andere Stelle im selben Unternehmen anzubieten. Erst einmal muss im Unternehmen eine mögliche freie Stelle überhaupt vorhanden sein.
Wenn dies der Fall ist, muss der Arbeitgeber dem Betroffenen diese Stelle anbieten. Voraussetzung ist, dass erstens der Betroffene die Voraussetzungen erfüllt, und dass es zweitens keine übermäßigen Belastung des Arbeitgebers bedeutet.
Was sind übermäßige Belastungen?
Hier geht es im Einzelfall darum, wie hoch der finanzielle Aufwand im Verhältnis zu den finanziellen Ressourcen ist, und auch um die Größe des Unternehmens. Berücksichtigt werden muss zudem, ob öffentliche Mittel oder andere Unterstützung vom Arbeitgeber beansprucht werden kann.
Was bleibt offen?
Ob der Arbeitgeber sich selbst um solche Unterstützung kümmern muss, sagt der Europäische Gerichtshof nicht. Das Betriebliche Eingliederungsmanagement in Deutschland lässt allerdings darauf schließen, dass der Arbeitgeber zumindest versuchen muss, solche Hilfen zu bekommen.
Offen bleibt, ob -bei einem Rechtsstreit- der Arbeitnehmer nachweisen muss, dass es eine freie Stelle gegeben hätte, oder ob der Arbeitgeber nachweisen muss, dass es keine solche Stelle gab.