Schwerbehinderung: Warum viele Diagnosen noch keinen Schwer­behinderten­ausweis machen – Urteil

Ein Mann aus Baden‑Württemberg klagte sich bis vor das Landessozialgericht (LSG) Stuttgart, um von 20 auf 50 Prozent Behinderungsgrad (GdB) zu kommen – und verlor trotzdem.

Die Richter bestätigten am 5. Juni 2025: Mehrere Krankheiten begründen nur dann einen Schwer­behinderten­status, wenn sie den Alltag nachweislich stark einschränken. Wer keinen belastbaren Beleg liefert, bleibt unter der Schwelle von 50 Punkten.

Kernaussage des Urteils

Der Kläger sammelte über Jahre diverse Diagnosen: Herzrhythmus­störung mit Schrittmacher, Colitis ulcerosa, Asthma, Bandscheiben­schaden, Tinnitus. Drei Anträge auf Höher­bewertung folgten – 2015 und 2017 komplett abgelehnt, 2021 schließlich GdB 20. Gegen diesen Bescheid zog der Betroffene erst vor das Sozialgericht Ulm und anschließend in die Berufung. Beide Gerichte blieben hart: Das Gesamtbild rechtfertige keinen höheren Grad der Behinderung.

Einzel‑GdB zählt, Addition ist verboten

Viele Betroffene rechnen falsch: Sie summieren Teil‑GdB wie 10 + 10 + 10 und erwarten 30 oder mehr. Die Versorgungs­medizinischen Grundsätze untersagen jedoch jede reine Additions­logik. Maßstab ist die Gesamtauswirkung auf Teilhabe und Lebens­führung. Mehrere leichte Leiden ergeben oft weiterhin nur eine leichte Gesamt­beeinträchtigung.

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Herzschrittmacher bringt nur Punkte bei Leistungs­verlust

Eine Schrittmacher‑Operation führt automatisch zu 10 GdB. Mehr gibt es erst, wenn objektive Tests – Belastungs‑EKG, Echokardio­graphie – dauerhafte Leistungs­einbußen zeigen. Im vorliegenden Fall radelte der Kläger 125 Watt ohne nennenswerte Beschwerden. Damit blieb er deutlich unter den Schwellen­werten, die einen GdB von 30 oder 40 rechtfertigen würden.

Colitis, Bandscheibe, Asthma: leichte Befunde, kleine Wirkung

Die Darmentzündung des Mannes war durch Medikamente schubfrei. Das Asthma benötigte seit Jahren keine Fach­therapie. Nach einer Bandscheiben‑OP blieben weder Lähmungen noch Gefühls­störungen zurück. Solche stabilen oder milden Befunde veranschlagt die Tabelle jedes Mal nur mit 10 GdB – und leichte Einzel­werte verändern den Gesamt‑GdB selten.

Erst‑ vs. Neufeststellung: eine juristische Falle

Weil die ersten beiden Ablehnungen keine „Dauer­wirkung“ hatten, wertete die Behörde den dritten Antrag als Erstfeststellung. Das klingt spitzfindig, hat aber große Folgen: Begutachtet wird ausschließlich der Gesundheits­zustand ab dem Antragstag. Alte Arztbriefe von 2015 oder 2017 sind dann kaum noch beachtlich. Wer Verschlechterungen belegen will, muss frische Unterlagen liefern.

So sammeln Sie überzeugende Beweise

  • Aktuelle Facharztberichte: Regelmäßige Kontrollen dokumentieren jede Verschlechterung lückenlos.
  • Objektive Leistungs­daten: Laufweg‑Protokolle, Belastungs‑EKG, Lungenfunktion – alles, was quantifizierbar ist, zählt.
  • Tagebuch bei Schüben: Notieren Sie Dauer, Häufigkeit und Alltags­einschränkungen sofort nach Auftreten.

Diese Unterlagen zeigen, wie sehr jede Diagnose Ihr tägliches Leben einschränkt. Fehlen solche Belege, bleibt der GdB niedrig.

Vorteile ab GdB 20 – auch ohne Bürgergeld

Selbst wer die 50‑Marke nicht erreicht, kann profitieren: Der Pausch­betrag in der Einkommens­steuer beginnt ab GdB 20. Hinzu kommen teils günstigere ÖPNV‑Tickets, bevorzugte Parkplatz­nut­zung in manchen Kommunen und einfachere Kündigungs­schutz­regeln im Job. Ein Schwer­behinderten­ausweis ist dafür nicht zwingend nötig.