Schwerbehinderung: Oft unbekannte regionale Nachteilsausgleiche

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Wer einen Schwerbehindertenausweis besitzt, geht oft davon aus, dass die wichtigsten Vergünstigungen bekannt und die notwendigen Anträge gestellt sind. Doch genau hier liegt ein oft übersehener Irrtum. Denn ein erheblicher Teil möglicher Unterstützungsleistungen versteckt sich auf Landesebene – und bleibt dadurch für viele Betroffene nicht klar ersichtlich.

Es geht um Mobilitätsvorteile, finanzielle Hilfen und besondere Rechte im Alltag, die nur deshalb nicht genutzt werden, weil sie kaum bekannt sind.

Nachteilsausgleiche – was steckt dahinter?

Nachteilsausgleiche sind gesetzlich vorgesehene Leistungen für Menschen mit Behinderung, die helfen sollen, behinderungsbedingte Nachteile oder Mehraufwendungen auszugleichen. Sie reichen von Steuererleichterungen über kostenlose Fahrten im Nahverkehr bis zu besonderen Rechten im Berufsleben.

Während viele dieser Ausgleiche bundesweit geregelt sind, existieren zahlreiche zusätzliche Regelungen, die ausschließlich auf Landesebene gelten – und dadurch oft unter dem Radar bleiben.

Landesrecht: Der blinde Fleck im Sozialsystem

Zwar definiert das Bundesrecht die Grundlagen für Nachteilsausgleiche – etwa über das Sozialgesetzbuch IX oder das Einkommensteuergesetz –, doch die konkrete Ausgestaltung ist häufig Sache der Bundesländer.

Das betrifft nicht nur die Höhe bestimmter Leistungen, sondern auch deren Voraussetzungen und Antragswege. Wer sich hier nicht gezielt informiert, lässt mitunter wertvolle Hilfen ungenutzt.

Drei Beispiele, die überraschen

Die folgende Tabelle zeigt drei konkrete Regelungen aus verschiedenen Bundesländern, die exemplarisch deutlich machen, wie unterschiedlich Nachteilsausgleiche ausgestaltet sein können – und wie leicht sie übersehen werden.

Bundesland / Bereich Was viele nicht wissen
Nordrhein-Westfalen – Blindengeld Blinde unter 60 Jahren erhalten monatlich rund 913 Euro. Die Leistung muss gesondert beantragt werden und ist vielen nicht bekannt.
Hessen – ÖPNV-Wertmarke Bei bestimmten Merkzeichen kann die Wertmarke kostenfrei sein. Wer sie nicht beantragt, zahlt unnötig weiter.
Bayern – Freifahrt im Nahverkehr Mit Merkzeichen wie „G“, „aG“ oder „Bl“ besteht Anspruch auf kostenlose Beförderung. Beiblatt und Wertmarke sind Pflicht – und fehlen oft.
Bundesweit – Zusatzurlaub Schwerbehinderte Beschäftigte haben Anspruch auf fünf zusätzliche Urlaubstage im Jahr. Dieser Anspruch wird im Berufsalltag häufig übersehen.
Mehrere Länder – Begleitperson frei Mit Merkzeichen „B“ fährt eine Begleitperson kostenlos mit. Das Merkzeichen muss im Ausweis eingetragen sein – was oft nicht beantragt wird.
Sachsen – Landesblindengeld Auch hochgradig Sehbehinderte erhalten Landesblindengeld – zusätzlich zur Blindenhilfe. Viele wissen nicht, dass zwei getrennte Leistungen möglich sind.
Rheinland-Pfalz – Rundfunkbeitrag Mit Merkzeichen „RF“ gibt es Beitragsbefreiung. Die muss separat beantragt werden und wird nicht automatisch berücksichtigt.
Brandenburg – Gehörlosengeld Monatlich rund 77 Euro für Gehörlose – eine reine Landesleistung, die in vielen Bundesländern gar nicht existiert.
Berlin – Kfz-Steuerbefreiung Bei Merkzeichen „H“ oder „Bl“ ist eine komplette Steuerbefreiung möglich. Ein Antrag beim Hauptzollamt ist aber zwingend nötig.
Thüringen – Mobilitätszuschüsse Landesförderung für behindertengerechte Fahrzeuge oder Umbauten – ohne gezielte Beratung bleiben diese Hilfen meist ungenutzt.

Warum weiß kaum jemand davon?

Viele dieser Regelungen werden nicht öffentlichkeitswirksam kommuniziert. Sie verstecken sich auf unübersichtlichen Landesportalen oder in Verwaltungsverordnungen, die Laien kaum zugänglich sind. Es gibt keine zentrale Plattform, auf der Menschen mit Behinderung gebündelt erfahren, was in ihrem Bundesland zusätzlich möglich ist.

Auch Versorgungsämter oder Sozialdienste informieren nur selten über die ganze Bandbreite an Nachteilsausgleichen.

Hinzu kommt: Viele Leistungen sind an bestimmte Merkzeichen oder formale Voraussetzungen geknüpft. Wer kein Beiblatt oder keine Wertmarke beantragt hat, bleibt außen vor – auch wenn ihm oder ihr die Leistung zustehen würde.

In anderen Fällen fehlen Nachweise oder Anträge, weil schlicht niemand auf die Idee kam, dass ein Anspruch bestehen könnte.

Was entgeht den Betroffenen?

Wer sich nicht umfassend informiert, verzichtet möglicherweise auf mehrere Hundert Euro pro Monat. Das betrifft nicht nur Geldleistungen wie das Landesblindengeld, sondern auch handfeste Erleichterungen im Alltag.

Wer im Nahverkehr kostenlos fahren kann, spart im Jahr schnell vierstellige Beträge. Wer Fahrtkosten oder Pflegehilfen steuerlich nicht geltend macht, zahlt unnötig drauf. Und wer besondere Schutzrechte im Job nicht nutzt, riskiert Nachteile im Berufsleben.

All das summiert sich. Besonders bitter: Diese Leistungen existieren ja – sie kommen nur nicht dort an, wo sie dringend gebraucht würden. Der eigentliche Zweck der Nachteilsausgleiche, nämlich gesellschaftliche Teilhabe, wird so häufig unterlaufen.

Was tun? Prüfen Sie Ihren Anspruch

Wohnen Sie in einem Bundesland mit eigenem Blindengeld? Haben Sie ein gültiges Beiblatt mit Wertmarke für die kostenlose Nutzung von Bus und Bahn? Trägt Ihr Ausweis Merkzeichen, die für weitere Leistungen relevant sind?

Haben Sie sich jemals bei Ihrer zuständigen Landesbehörde oder einem Sozialverband beraten lassen, was über die bundesweiten Regelungen hinaus für Sie möglich ist?

Diese Fragen sollte sich jeder stellen, der mit einer Behinderung lebt. Denn es geht nicht um Wohlwollen oder Sonderrechte, sondern um gesetzlich verbriefte Ausgleiche – die allerdings selbst eingefordert werden müssen.