Schwerbehinderung: Trotz Wartezeit beim Ausweis – Diese Vorteile haben sie sofort

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Wer 2025 einen Schwerbehindertenausweis beantragt, muss mit monatelanger Wartezeit rechnen. Bรผrgergeld-Bezieher und erkrankte Beschรคftigte stehen dadurch vor praktischen Problemen โ€“ von fehlenden Nachteilsausgleichen bis zu unklarem Kรผndigungsschutz.

Doch viele Rechte gelten auch ohne Ausweis. Dieser Artikel erklรคrt, was Sie jetzt unternehmen kรถnnen, wo es besonders lange dauert und welche Schritte sich fรผr Arbeitnehmer und Arbeitgeber sofort lohnen.

Bearbeitungsstau in ganz Deutschland: Wo es am lรคngsten dauert

Der Bearbeitungsrรผckstau ist kein Einzelfall. In mehreren Bundeslรคndern liegen die Wartezeiten weit รผber dem gesetzlich Zumutbaren:

  • Bonn: ร˜ 10 Monate Bearbeitungszeit
  • Sachsen-Anhalt: Durchschnittlich 8 Monate
  • Berlin: Aktueller Bearbeitungsstand vom 25. April 2025 (Rรผckstand von rund 6 Wochen)
  • Schleswig-Holstein: 5โ€“6 Monate
  • Niedersachsen: 3โ€“6 Monate
  • Bayern: โ€žEinige Monateโ€œ laut offiziellen Angaben
  • Rheinland-Pfalz: Rรผckstau durch Einfรผhrung der E-Akte (keine konkrete Zeitangabe)

Kernaussage: Lange Bearbeitungszeiten betreffen Flรคchenlรคnder wie Stรคdte gleichermaรŸen. Besonders hart trifft es Antragsteller, die dringend auf steuerliche Entlastung, Kรผndigungsschutz oder Mobilitรคtshilfen angewiesen sind.

Warum dauert es so lange?

Die Ursachen fรผr die langen Bearbeitungszeiten รคhneln sich bundesweit. Ein zentraler Faktor ist der starke Anstieg der Antragszahlen โ€“ in Sachsen-Anhalt etwa verzeichneten die Behรถrden zwischen 2022 und 2024 einen Zuwachs von 28โ€ฏProzent. Gleichzeitig bleibt der Datenaustausch weitgehend analog: Arztbefunde werden nach wie vor per Post verschickt, was den Ablauf erheblich verlangsamt.

Hinzu kommen technische Probleme innerhalb der Verwaltung. Viele Behรถrden arbeiten mit inkompatibler Software, und ein durchgรคngig digitales Verfahren existiert in den meisten Bundeslรคndern bisher nicht. Auch auf รคrztlicher Seite kommt es zu Verzรถgerungen. Zwar ist die gesetzliche Frist fรผr die Abgabe medizinischer Befunde auf vier Wochen festgelegt, doch in der Praxis wird dieser Zeitraum hรคufig รผberschritten.

Selbst dort, wo Online-Antrรคge mรถglich sind, geraten Verfahren ins Stocken, wenn Papierakten dominieren oder notwendige Unterlagen fehlen.

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Ihre Rechte als Arbeitnehmer: Schutz auch ohne Ausweis

Viele Antragsteller*innen gehen fรคlschlicherweise davon aus, dass erst der physische Schwerbehindertenausweis erforderlich ist, um bestimmte Rechte geltend zu machen. Tatsรคchlich gelten viele zentrale Schutzmechanismen bereits mit dem Feststellungsbescheid oder einem laufenden Gleichstellungsverfahren โ€“ insbesondere im Arbeitsverhรคltnis.

So greift der besondere Kรผndigungsschutz bereits ab dem Moment der Antragstellung, sofern der Arbeitgeber schriftlich darรผber informiert wurde. Fรผr den Nachweis im Betrieb reicht der Bescheid vollkommen aus; die Ausweiskarte kann spรคter nachgereicht werden. Auch steuerliche Vorteile wie der Behindertenpauschbetrag lassen sich schon mit dem Feststellungsbescheid beim Finanzamt geltend machen.

Mobilitรคtsvorteile โ€“ etwa Vergรผnstigungen im รถffentlichen Nahverkehr oder Sonderrechte beim Parken โ€“ sind in vielen Fรคllen ebenfalls vor Ausstellung des eigentlichen Ausweises nutzbar. Zudem akzeptieren zahlreiche Fรถrderprogramme im Bereich Rehabilitation oder Arbeitsplatzanpassung auch den vorlรคufigen Bescheid als Grundlage.

Besonders wichtig: Wer als Arbeitnehmer den Antrag gestellt hat, sollte den Arbeitgeber umgehend schriftlich darรผber informieren. Nur dann greift der besondere Kรผndigungsschutz nach ยงโ€ฏ173 Absatz 3 SGB IX bereits vor Vorliegen der endgรผltigen Entscheidung.

So beschleunigen Sie Ihren Antrag

Die teils erheblichen Wartezeiten beim Schwerbehindertenausweis lassen sich in vielen Fรคllen verkรผrzen, wenn Antragsteller typische Fehler vermeiden und selbst aktiv werden. Besonders wichtig ist, von Beginn an alle relevanten Unterlagen vollstรคndig einzureichen. Dazu gehรถren รคrztliche Befunde, Diagnosen und notwendige Vollmachten โ€“ idealerweise in digitaler Form als PDF.

Ein weiteres Problem stellt hรคufig die Qualitรคt des Passfotos dar. Ist dieses unbrauchbar, verzรถgert sich die Ausstellung des Ausweises, auch wenn der Bescheid lรคngst ergangen ist. Auch eine frรผhzeitige Information der behandelnden ร„rztinnen und ร„rzte kann entscheidend sein. Wer seine Mediziner nicht auf den Antrag hinweist, riskiert, dass Befundberichte unabsichtlich liegen bleiben und das Verfahren ausbremsen.

Wer die Mรถglichkeit hat, sollte den Antrag online stellen und Dokumente digital hochladen. Das spart nicht nur Porto, sondern auch ein bis zwei Wochen Postlaufzeit. Falls nach rund drei Monaten noch keine Rรผckmeldung erfolgt ist, lohnt es sich, bei der zustรคndigen Behรถrde gezielt nachzufragen โ€“ in vielen Fรคllen ist der Bescheid bereits unterwegs, wurde aber noch nicht versandt.

Fรผr Antragsteller mit einem Grad der Behinderung zwischen 30 und 49 bietet es sich zudem an, parallel eine Gleichstellung bei der Agentur fรผr Arbeit zu beantragen. Dieses Verfahren dauert in der Regel nur vier bis sechs Wochen und gewรคhrt nahezu identische Schutzrechte wie eine anerkannte Schwerbehinderung.

Wenn nichts passiert: Rechtsmittel nutzen

Nach sechs Monaten ohne Entscheidung dรผrfen Betroffene eine Untรคtigkeitsklage einreichen. Behรถrden dรผrfen sich dabei nicht auf internen Personalmangel berufen โ€“ das ist rechtlich nicht zulรคssig (ยง 88 SGG). Besonders fรผr Beschรคftigte mit akutem Unterstรผtzungsbedarf ist dieser Schritt entscheidend.

Tipp: Eine einfache Rechtsberatung durch eine Fachkanzlei oder eine Behindertenbeauftragte kann Klarheit bringen. Musterschreiben fรผr Beschleunigungsantrรคge gibt es bei Interessenvertretungen oder Sozialverbรคnden.

Digitalisierung & EU-Perspektive: Hoffnung in Sicht

Einige Bundeslรคnder treiben die Digitalisierung voran โ€“ mit unterschiedlichem Tempo:

  • Hessen, Bayern, Rheinland-Pfalz: bieten bereits Online-Antragsportale
  • Schleswig-Holstein: plant digitalen Antrag bis Ende 2025
  • Berlin, Niedersachsen: Digitaler Upload von Unterlagen mรถglich, aber Antrag selbst oft noch papierbasiert

Ab 2026 kรถnnte ein weiterer Meilenstein folgen: Die EU-Behindertenausweisrichtlinie (2024/2841) verpflichtet alle Mitgliedstaaten zur Einfรผhrung eines physischen und digitalen Ausweises. Pilotphasen starten voraussichtlich 2026, spรคtestens 2027 wird die Karte verbindlich.