Schwerbehinderung: Gleichstellung nur bei geeignetem Arbeitsplatz

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Die Gleichstellung von Menschen mit Behinderung nach dem Sozialgesetzbuch (SGB IX) ist ein Ausgleich, um die berufliche Teilhabe und den Schutz am Arbeitsplatz zu gewährleisten.

Ein aktuelles Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen (LSG NRW) zeigt jedoch, dass die Gleichstellung an klare Bedingungen geknüpft ist, insbesondere an die Geeignetheit des Arbeitsplatzes. Diese Bedingung hat weitreichende Konsequenzen für betroffene Arbeitnehmer und Arbeitgeber.
Aktenzeichen: L 9 AL 126/22

Voraussetzungen der Gleichstellung nach SGB IX

Nach § 2 Abs. 3 SGB IX können Personen mit einem Grad der Behinderung (GdB) von mindestens 30, aber weniger als 50, unter bestimmten Voraussetzungen schwerbehinderten Menschen gleichgestellt werden.

Ziel dieser Gleichstellung ist, die Beschäftigungssituation von Menschen mit Behinderung zu verbessern und ihnen einen besonderen Kündigungsschutz sowie weitere Unterstützungsmaßnahmen zu ermöglichen.

Voraussetzung hierfür ist, dass der Arbeitsplatz für die betroffene Person geeignet ist. In diesem Zusammenhang bezieht sich die Geeignetheit nicht nur auf die fachliche Kompetenz, sondern auch auf die gesundheitliche Belastbarkeit des Beschäftigten.

Gesundheitliche Überforderung trotz grundsätzlicher Eignung?

Im vorliegenden Fall klagte ein Arbeitnehmer mit einem anerkannten GdB von 30 auf Gleichstellung. Der Kläger war als Account Manager im Außendienst tätig und argumentierte, dass sein Arbeitsplatz aufgrund seiner gesundheitlichen Einschränkungen gefährdet sei, sofern er nicht gleichgestellt werde.

Zu seinen gesundheitlichen Problemen zählten:

  • Konzentrationsstörungen
  • Kopfschmerzen
  • belastender Tinnitus

Der Kläger machte geltend, dass er ohne die Gleichstellung gegenüber seinen nicht behinderten Kollegen erheblich benachteiligt sei, vor allem hinsichtlich seiner Wettbewerbsfähigkeit im Vertrieb.

Arbeitsplatzeignung als entscheidende Bedingung

Das LSG NRW stellte klar, dass eine Gleichstellung nur dann gewährt werden kann, wenn der Arbeitsplatz geeignet ist. Das bedeutet, dass die Tätigkeit den Gesundheitszustand der betroffenen Person nicht weiter beeinträchtigen darf.

Im Fall des Klägers wurde festgestellt, dass seine gesundheitlichen Einschränkungen so gravierend sind, dass sie seine Leistungsfähigkeit im Außendienst erheblich beeinträchtigen.

Trotz einer Reduzierung seines Aufgabenbereichs (von drei auf zwei Kunden-Accounts) blieb der Kläger weiterhin gesundheitlich überlastet.

Gründe für die Ablehnung der Gleichstellung

Die Ablehnung der Gleichstellung begründete das Gericht damit, dass der Kläger selbst angab, sein Arbeitsplatz sei grundsätzlich passend, jedoch nur, wenn keine weiteren gesundheitlichen Verschlechterungen eintreten.

Da die Tätigkeit im Vertrieb jedoch hohe Anforderungen an Konzentration, Stressresistenz und Mobilität stellt, kamen sowohl die Schwerbehindertenvertretung als auch das Gericht zu dem Schluss, dass der Arbeitsplatz langfristig untragbar für den Kläger sei.

Eine Gleichstellung würde dazu führen, dass der Kläger weiterhin in einer Position verbleibt, die seiner Gesundheit schadet – genau das soll durch die gesetzlichen Regelungen vermieden werden.

Ein weiterer Punkt des Urteils betraf die Verantwortung des Arbeitgebers und der Reha-Träger zur Anpassung des Arbeitsplatzes.

Das Gericht stellte fest, dass der Arbeitgeber Möglichkeiten zur Reduzierung der Belastung gehabt hätte, etwa durch eine Versetzung des Klägers in den Innendienst.

Der Kläger äußerte jedoch die Befürchtung, dass eine solche Veränderung seiner Aufgaben als Benachteiligung angesehen werden könnte, da sie seine Position als Außendienstmitarbeiter infrage stellen würde. Dennoch wurde festgestellt, dass der Arbeitsplatz nur dann als geeignet betrachtet werden kann, wenn durch solche Anpassungen eine langfristige gesundheitliche Stabilität sichergestellt wird.

Überforderung trotz Rehabilitation?

Das Gericht betonte, dass eine Gleichstellung nicht automatisch einen Schutz bietet, wenn die gesundheitlichen Einschränkungen am Arbeitsplatz durch Eingliederungsmaßnahmen oder Rehabilitation nur kurzfristig ausgeglichen werden können. Die langfristige Belastbarkeit des Arbeitsplatzes muss gewährleistet sein.

Im Fall des Klägers bestand jedoch die Gefahr, dass die Gleichstellung lediglich dazu führen würde, dass er länger in einer Tätigkeit verbleibt, die seiner Gesundheit weiterhin schadet.

Die Entscheidung des Gerichts

Das Gericht wies die Klage ab und bestätigte damit die Entscheidung der Bundesagentur für Arbeit. Die Ablehnung der Gleichstellung wurde insbesondere damit begründet, dass der Arbeitsplatz aufgrund der gesundheitlichen Einschränkungen des Klägers nicht mehr als geeignet betrachtet werden konnte.

Obwohl der Kläger darauf hinwies, dass eine drohende Umstrukturierung seinen Arbeitsplatz gefährden könnte, sah das Gericht hierin keinen hinreichenden Grund, um eine Gleichstellung zu rechtfertigen. Eine allgemeine Arbeitsplatzgefährdung, die nicht konkret auf die Behinderung zurückzuführen ist, reicht nicht aus, um den Schutz der Gleichstellung zu erhalten.

Gleichstellung nur nach sorgfältiger Prüfung

Das Urteil des LSG NRW macht deutlich, dass die Gleichstellung von behinderten Menschen nur unter streng definierten Voraussetzungen gewährt wird.

Entscheidend ist, ob der Arbeitsplatz den gesundheitlichen Anforderungen der betroffenen Person gerecht wird und diese langfristig nicht beeinträchtigt.

Für Arbeitgeber und Arbeitnehmer bedeutet das, dass vor einem Antrag auf Gleichstellung eine gründliche Prüfung der Arbeitsplatzsituation und der möglichen gesundheitlichen Folgen notwendig ist.