Viele schwerbehinderte Menschen starten mit einer befristeten Erwerbsminderungsrente (EM-Rente) und fragen sich später, wie sich der Übergang in die Altersrente für schwerbehinderte Menschen auf die Rentenhöhe auswirkt. Das Schlüsselwort heißt Zugangsfaktor. Er entscheidet, ob Ihre Entgeltpunkte (und damit Ihre Monatsrente) gekürzt oder aufgewertet werden.
Im Folgenden bereiten wir den Fall von Chris praxisnah auf, ergänzen Hintergründe aus dem Sozialgesetzbuch VI (SGB VI) und zeigen, worauf Sie achten müssen.
Inhaltsverzeichnis
Ausgangslage: Der Beispielfall
Datum / Alter | Situation von Chris |
01.01.2025 (60 J.) | Beginn der vollen EM-Rente (befristet bis 30.09.2027) |
05.09.2027 (63 J.) | 63. Geburtstag |
Grad der Behinderung (GdB) | 60 |
Wartezeit | > 40 Versicherungsjahre |
Mögliche Altersrenten-Termine:
- 01.10.2026 (62 J.) – Altersrente für schwerbehinderte Menschen mit Abschlägen
- 01.10.2027 (63 J.) – Altersrente für schwerbehinderte Menschen mit 10,8 % Abschlag
- 01.10.2029 (65 J.) – Altersrente für schwerbehinderte Menschen ohne Abschläge
Wichtig: Für die Schwerbehindertenrente muss der GdB von mindestens 50 am Tag des Rentenbeginns nachgewiesen sein. Wer – wie Chris – bereits einen GdB 60 besitzt, erfüllt diese Bedingung.
Was ist der Zugangsfaktor?
- Grundwert 1,000 = keine Kürzung.
- EM-Rente: Für jeden Monat, den die Rente vor dem 63. Geburtstag beginnt, sinkt der Faktor um 0,003 (§ 77 Abs. 4 SGB VI).
- Altersrente: Beginnt die Rente vor der maßgeblichen Altersgrenze (hier: 65 J. für schwerbehinderte Menschen des Jahrgangs 1964), reduziert sich der Faktor ebenfalls um 0,003 pro Monat (§ 77 Abs. 2 SGB VI).
Der so geminderte Zugangsfaktor wird mit Ihren Entgeltpunkten multipliziert. Ein Unterschied von wenigen Hundertsteln kann daher spürbare Euro-Beträge kosten oder sparen.
Berechnung in der EM-Rente
Chris’ EM-Rente startet 33 Monate vor 63.
Formel: 1,000 – 0,003 × 33 = 0,901
Seine bis dahin verdienten Entgeltpunkte werden also mit 0,901 multipliziert. Das ist ein Abschlag von knapp 10 %.
Praxistipp: Auch bei einem befristeten Rentenbescheid bleibt dieser Zugangsfaktor bestehen, solange die EM-Rente ohne Unterbrechung gezahlt wird.
Was passiert beim Wechsel in die Schwerbehindertenrente?
Beim Übergang gelten zwei Kernregeln (§ 77 Abs. 3 SGB VI):
- Schutz der bisherigen Entgeltpunkte – alle Punkte, die schon in der EM-Rente stecken, behalten ihren (ggf. angehobenen) Zugangsfaktor.
- Eigener Zugangsfaktor für neue Punkte – alles, was nach Eintritt der EM (Minijob, freiwillige Beiträge u. Ä.) hinzukommt, erhält einen Zugangsfaktor, der sich nach dem Alter beim neuen Rentenbeginn richtet.
Chris möchte schon am 01.10.2026 (mit 62) wechseln
Schritt | Rechnung | Ergebnis |
A. „Alte“ Entgeltpunkte | Für 12 Monate (10/26 – 09/27) wurde die EM-Rente nicht mehr bezogen. Je Monat +0,003. |
0,901 + (0,003 × 12) = 0,937
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B. „Neue“ Entgeltpunkte | Wechsel erfolgt 36 Monate vor 65 J. → Abzug 0,003 × 36 |
1,000 – 0,108 = 0,892
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Wechsel erst am 01.10.2029 (65 J.)
- „Alte“ Punkte bleiben bei 0,901.
- „Neue“ Punkte erhalten den vollen Faktor 1,000.
Welche Variante lohnt sich?
Die Antwort hängt stark davon ab,
- wie viele Entgeltpunkte vor Eintritt der EM gesammelt wurden,
- ob und wie viel nach 2025 noch hinzukommen,
- ob die EM-Rente dauerhaft gezahlt wird (Verlängerungsantrag!),
- ob sich der Gesundheitszustand bessert und ein Zurück in Arbeit möglich ist.
Rentenbeginn | Zugangsfaktor „alt“ | Zugangsfaktor „neu“ | Abschlag grob* |
01.10.2026 (62 J.) | 0,937 | 0,892 | ≈ 10–11 % |
01.10.2027 (63 J.) | 0,937 | 0,928 | ≈ 10,8 % |
01.10.2029 (65 J.) | 0,901 | 1 | 0 % |
*Die tatsächliche Minderung ergibt sich erst, wenn die Zahl der jeweiligen Entgeltpunkte feststeht.
Faustregel: Wer keine weiteren Punkte mehr sammelt, fährt mit einer abschlagsfreien Rente ab 65 häufig besser. Wer jedoch trotz EM-Status noch arbeitet und Punkte aufbaut, kann vom früheren Wechsel profitieren.
Bestandsschutz: Entgeltpunkte und Zahlbetrag sind abgesichert
Viele Betroffene fürchten, die Altersrente könne nach der Umstellung geringer ausfallen. Zwei Sicherungsnetze verhindern das:
Schutzebene | Gesetzliche Grundlage | Was genau wird garantiert? |
Wirkung im Fall Chris
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6.1 EP-Bestandsschutz | § 88 Abs. 1 SGB VI | Die persönlichen Entgeltpunkte aus der EM-Rente dürfen in der Folgerente nicht unterschritten werden. |
Alle Punkte mit Faktor 0,901 / 0,937 werden mindestens in gleicher Höhe übernommen.
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6.2 Zahlbetrags-Garantie | § 115 Abs. 3 SGB VI | Der Brutto-Zahlbetrag der neuen Rente darf nie niedriger sein als der zuletzt gezahlte Brutto-Betrag der EM-Rente. |
Sollte die neu gerechnete Schwerbehindertenrente wider Erwarten niedriger ausfallen, wird automatisch auf den bisherigen EM-Betrag „aufgestockt“.
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Wichtig zu wissen
Die Zahlbetrags-Garantie bezieht sich auf den zuletzt ausgezahlten EM-Betrag. Wer z. B. wegen Hinzuverdienst nur eine Teilrente erhielt, hat Garantie lediglich auf diesen Teilzahlbetrag.
Erhöht sich der EM-Zahlbetrag (etwa weil ein Hinzuverdienst wegfällt), steigt automatisch auch der Garantiebetrag.
Zusätzliche Beiträge oder neue Entgeltpunkte können Ihren Rentenbetrag steigern, aber nie senken – der Bestandsschutz wirkt immer „nach unten“.
Praktische Tipps für schwerbehinderte Menschen
- Kontenklärung frühzeitig abschließen – fehlende Zeiten nachmelden.
- Schwerbehindertenausweis aktuell halten – GdB 50 + muss bei Rentenbeginn vorliegen.
- Zwischenverdienst clever gestalten – nötige Punkte sammeln, Grenze der Hinzuverdienstregel beachten.
- Steuer & KVdR einplanen – später Rentenbesteuerung prüfen, Behinderten-Pauschbetrag nutzen.
- Beratung nutzen – DRV-Probeberechnung, Sozialverbände (VdK, SoVD), Fachanwälte.
- Fristen wahren – Rentenantrag spätestens drei Monate vor gewünschtem Beginn stellen.
Zusammenfassung
Der Zugangsfaktor beeinflusst, wie viel Netto von Ihren Entgeltpunkten übrig bleibt. Beim Wechsel von der EM in die Schwerbehindertenrente sorgt der EP-Bestandsschutz dafür, dass bereits erworbene Punkte erhalten bleiben.
Die Zahlbetrags-Garantie stellt zusätzlich sicher, dass Ihre neue Rente niemals niedriger ausfällt als die bisherige EM-Rente. Wer darüber hinaus weiter Beiträge zahlt oder hinzuverdient, kann die Rente sogar steigern.
Unser Rat: Dokumente sammeln, Varianten durchrechnen, Beratungsangebote nutzen – so holen Sie das Maximum aus Ihrer hart erarbeiteten Rente heraus.