Adipositas, ein weitverbreitetes Gesundheitsproblem, kann nicht nur physische, sondern auch rechtliche Auswirkungen haben. In bestimmten Fรคllen kann starkes รbergewicht als Behinderung anerkannt werden, was erhebliche Konsequenzen auf den Alltag und das Berufsleben der Betroffenen hat.
Doch wann genau wird Adipositas als Behinderung eingestuft, und welche Rechte kรถnnen Betroffene geltend machen? Dieser Artikel beleuchtet die Voraussetzungen fรผr die Anerkennung eines Grads der Behinderung (GdB) und die Schritte zur Beantragung eines Schwerbehindertenausweises.
Inhaltsverzeichnis
Wann wird Adipositas zur Behinderung?
Adipositas wird in verschiedene Schweregrade eingeteilt, basierend auf dem Body-Mass-Index (BMI). Ab einem BMI von 30 spricht man von Adipositas, wobei Adipositas Grad 3 (BMI โฅ 40) als besonders schwerwiegend gilt. Neben den physischen Belastungen erhรถht sich mit steigenden BMI-Werten das Risiko fรผr Begleiterkrankungen wie Typ-2-Diabetes, Herz-Kreislauf-Erkrankungen und Fettstoffwechselstรถrungen.
Adipositas kann dann als Behinderung anerkannt werden, wenn sie zu einer dauerhaften Einschrรคnkung der beruflichen Teilhabe fรผhrt. Dies entschied der Europรคische Gerichtshof (EuGH) im Jahr 2014. Laut EuGH kann Adipositas eine Behinderung im Sinne der EU-Richtlinie zur Gleichbehandlung in Beschรคftigung und Beruf darstellen, wenn sie die Fรคhigkeit einer Person, am Arbeitsleben teilzunehmen, erheblich beeintrรคchtigt.
Das ist der Fall, wenn Adipositas zu einer stark eingeschrรคnkten Mobilitรคt oder zu anderen schwerwiegenden gesundheitlichen Problemen fรผhrt, die die Ausรผbung einer beruflichen Tรคtigkeit behindern.
Rechtliche Definition von Behinderung und Schwerbehinderung
Nach deutschem Recht liegt eine Behinderung vor, wenn eine kรถrperliche, geistige oder seelische Beeintrรคchtigung die Teilhabe an der Gesellschaft รผber einen Zeitraum von mehr als sechs Monaten wesentlich erschwert. Diese Definition umfasst auch chronische Erkrankungen wie Adipositas, sofern sie zu erheblichen Funktionsbeeintrรคchtigungen fรผhren.
Der Grad der Behinderung (GdB) wird in Zehnerschritten von 20 bis 100 festgelegt und spiegelt das Ausmaร der Beeintrรคchtigung wider. Ein GdB von 50 oder mehr berechtigt zur Beantragung eines Schwerbehindertenausweises. Personen mit einem GdB von 30 bis 49 kรถnnen unter bestimmten Umstรคnden schwerbehinderten Menschen gleichgestellt werden.
Grad der Behinderung bei Adipositas
Die Feststellung von Adipositas als Behinderung wird individuell festgestellt und bewertet. Unterschieden wird dann zwischen einer leichten, mittleren und schweren Adipositas Erkrankung
รberblick รผber die Erkrankung und der Grad der Behinderung
Chronische Krankheit
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Grad der Behinderung
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Adipositas, leicht | 10-20 |
Adipositas, mittel | 20-30 |
Adipositas, schwer | 30-40 |
Berechnungen Mithilfe des BMI
Der BMI ist aufgrund seiner weltweiten Akzeptanz und der einfachen Berechnung aus Kรถrpergewicht und Grรถรe zwar nรผtzlich, um eine erste Einschรคtzung der Adipositas vorzunehmen, das Krankheitsrisiko auf individueller Ebene spiegelt er aber nicht immer richtig wider.
Grรผnde dafรผr sind, dass der BMI keine Informationen รผber die Kรถrperzusammensetzung liefert. Er kann zum Beispiel nicht zwischen Muskel- und Fettmasse unterscheiden und berรผcksichtigt auch nicht die Verteilung und Art des Fettgewebes.
Als รbersicht รผber den BMI, kann diese Tabelle dienen:
BMI (kg/m2) | Grad |
unter 18,5 |
Untergewicht
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18,5 bis 24,9 |
Normalgewicht
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25 bis 29,9 |
รbergewicht
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30 bis 34,9 |
Adipositas Grad 1
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35 bis 39,9 |
Adipositas Grad 2
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ab 40 |
Adipositas Grad 3
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Antragstellung fรผr den Grad der Behinderung (GdB)
Die Feststellung eines GdB erfolgt auf Antrag, der in der Regel beim Versorgungsamt eingereicht wird. Dabei ist es entscheidend, alle relevanten Erkrankungen und deren Auswirkungen detailliert darzulegen.
Besonders bei Adipositas ist es wichtig, nicht nur die Grunderkrankung, sondern auch sรคmtliche Begleit- und Folgeerkrankungen zu dokumentieren. Je umfangreicher die Informationen, desto hรถher sind die Chancen auf eine Anerkennung des GdB.
Folgende Schritte sind bei der Antragstellung zu beachten:
- Vollstรคndige Antragsunterlagen: Stellen Sie sicher, dass der Antrag umfassend ausgefรผllt ist und alle erforderlichen medizinischen Unterlagen, wie Arztbriefe und Gutachten, beigefรผgt sind.
- Angabe von Begleiterkrankungen: Listen Sie neben der Adipositas auch alle damit verbundenen Erkrankungen auf, wie Bluthochdruck, Diabetes oder Gelenkprobleme.
- Alltagsbeeintrรคchtigungen: Beschreiben Sie detailliert, wie die Erkrankungen Ihren Alltag und Ihre Arbeitsfรคhigkeit einschrรคnken.
- Regelmรครige Arztbesuche: Nachweise regelmรครiger รคrztlicher Untersuchungen und Behandlungen erhรถhen die Glaubwรผrdigkeit des Antrags.
- Unterstรผtzung durch Fachleute: Lassen Sie sich von Sozialdiensten, Sozialverbรคnden wie dem VdK oder der Schwerbehindertenvertretung beraten, um sicherzustellen, dass der Antrag korrekt und vollstรคndig ist.
Merkzeichen im Schwerbehindertenausweis
Neben dem GdB kรถnnen in einem Schwerbehindertenausweis spezielle Merkzeichen eingetragen werden, die zusรคtzliche Nachteilsausgleiche ermรถglichen. Fรผr Menschen mit Adipositas kann das Merkzeichen โGโ (erhebliche Beeintrรคchtigung der Bewegungsfรคhigkeit im Straรenverkehr) relevant sein, wenn die Krankheit die Mobilitรคt stark einschrรคnkt.
Weitere relevante Merkzeichen sind:
- aG (auรergewรถhnliche Gehbehinderung): Fรผr Personen mit besonders eingeschrรคnkter Mobilitรคt, etwa bei Querschnittslรคhmung oder Amputation.
- H (hilflos): Fรผr Menschen, die dauerhaft auf fremde Hilfe angewiesen sind.
- RF (Rundfunkgebรผhrenbefreiung): Fรผr schwerbehinderte Menschen, die taubblind sind oder vergleichbare Beeintrรคchtigungen haben.
Vorteile eines anerkannten Grads der Behinderung (GdB)
Ein anerkannter GdB bringt zahlreiche Vorteile, die das Leben von Menschen mit Adipositas erleichtern kรถnnen. Dazu gehรถren:
- Sonderkรผndigungsschutz: Schwerbehinderte Arbeitnehmer:innen genieรen besonderen Kรผndigungsschutz, der sie vor einer krankheitsbedingten Kรผndigung schรผtzt.
- Sonderurlaub: Ab einem GdB von 50 steht Betroffenen jรคhrlich ein Zusatzurlaub von fรผnf Tagen zu.
- Steuervergรผnstigungen: Dazu gehรถren Steuerfreibetrรคge und die Befreiung von der Kfz-Steuer.
- Frรผhzeitige Altersrente: Schwerbehinderte kรถnnen frรผher in Rente gehen.
- Zuschรผsse fรผr Hilfsmittel: Der GdB ermรถglicht den Bezug und die Kostenรผbernahme fรผr medizinische Hilfsmittel.
- Freie Fahrt im รถffentlichen Nahverkehr: Je nach Merkzeichen haben Betroffene Anspruch auf kostenlose oder ermรครigte Nutzung รถffentlicher Verkehrsmittel.
Rรผckwirkende Antragstellung und Erhรถhung des GdB
Unter bestimmten Voraussetzungen kann der GdB auch rรผckwirkend beantragt werden, etwa wenn es um die rรผckwirkende Gewรคhrung von Nachteilsausgleichen wie Kรผndigungsschutz oder Steuerermรครigungen geht.
Sollten sich der Gesundheitszustand und die Beeintrรคchtigungen verschlechtern, kann eine Erhรถhung des GdB beantragt werden. Umgekehrt besteht die Pflicht, Verbesserungen des Gesundheitszustands der zustรคndigen Behรถrde mitzuteilen.
Adipositas und Arbeitsrecht: Gerichtliche Entscheidungen
Die Rechtsprechung zu Adipositas als Behinderung ist vielfรคltig. So urteilte das Landesarbeitsgericht Niedersachsen im Jahr 2016, dass Adipositas nicht automatisch eine Behinderung darstellt.
In dem Fall eines Kraftfahrers mit einem BMI von รผber 40 sah das Gericht keine ausreichenden Anhaltspunkte fรผr eine Behinderung, da die Beeintrรคchtigung seiner beruflichen Tรคtigkeit nicht nachgewiesen wurde.
Das Gericht folgte damit der Rechtsprechung des EuGH, der feststellte, dass Adipositas nur dann eine Behinderung darstellt, wenn sie zu erheblichen und dauerhaften Einschrรคnkungen fรผhrt, die die berufliche Teilhabe beeintrรคchtigen.