24.03.2011
Die Sozialgerichte in Hessen klagen: Noch nie gab es so viele Hartz-IV Verfahren, wie im letzten Jahr. Die Richter machen hierfรผr die Politik verantwortlich: Die Gesetzesregelungen sind zu kompliziert und wurden seit der Einfรผhrung von Hartz IV immer wieder neu รผberarbeitet, so ein Sozialrichter. โKaum hat man ein Urteil gefรคllt, wurde das Gesetz wieder geรคndertโ.
41 Prozent mehr Klageeinreichungen seit der Einfรผhrung von Hartz IV
Allein im Jahre 2010 sind insgesamt 25.489 Neuverfahren bei den hessischen Sozialgerichten eingegangen. Im Vergleich zum Vorjahreszeitraum bedeutet das ein Anstieg um fรผnf Prozent. Im Jahre 2003, als noch vor Einfรผhrung der sogenannten Hartz IV Reformen, waren es gerade einmal 16.230 eingereichte Klagen. Das bedeutet, seitdem ist ein Anstieg von รผber 41 Prozent zu verzeichnen. Auch die zweite Instanz, das Landessozialgericht Hessen, erlebte einen satten Anstieg der neu eingereichten Klagen. Insgesamt wurden im Jahre 2010 2389 Fรคlle bearbeitet. Auch hier berichteten die Richter von einem Anstieg von fรผnf Prozent im Vergleich zum Vorjahr.
Gesetzesรคnderungen und Zickzackkurs der Politik
Der Prรคsident des Landessozialgerichts Darmstadt, Harald Klein, machte deutlich, dass die zahlreichen Gesetzesรคnderungen und der โpolitische Zickzackkursโ der Bundesregierung hierfรผr mitverantwortlich sind. Kaum hรคtten die Sozialrichter ein Urteil gefรคllt, werde schon wieder ein neues Gesetz eingefรผhrt, sagte Klein gegenรผber der โFrankfurter Rundschauโ. Das habe dann zur Folge, dass die Betroffenen erneut den Klageweg bestreiten. Insgesamt seien die Gesetzesregelungen 40 mal in den letzten sechs Jahren geรคndert worden. Die Arbeitsgemeinschaft โprekรคre Lebenslagenโ aus Bochum spricht hingegen von insgesamt 51 Neuregelungen. Zumeist werden die Kosten der Unterkunft, Anrechnung von Einkommen und Vermรถgen sowie Rรผckforderungen von angeblich zu viel gezahlten Arbeitslosengeld II Leistungen (ALG II) verhandelt.
Ein groรes Manko ist auch der politische Zickzackkurs, so der Gerichtsprรคsident Klein. Das habe letztendlich dazu gefรผhrt, dass viele Menschen das Vertrauen in den Sozialstaat und in die Gerichte verloren haben. Als Beispiel nannte Klein den wochenlangen Streit der Parteien im Vermittlungsausschusses des Bundesrates รผber die Hรถhe und Ausgestaltung der ALG-II Regelleistungen.
Bildungspaket fรผhrt zur neuen Klagewelle
Der Richter vermutet, dass auch der Kompromiss beim Bildungspaket erneut zu zahlreichen Klagen fรผhren wird. Die SPD hatte ausgehandelt, dass auch niedrige Einkommensgruppen wie Bezieher des Wohngelds Leistungen im Rahmen des Bildungspaketes beziehen kรถnnen. So kรถnnten nun auch Eltern Leistungen beantragen, die vorher keinen Anspruch hatten. Das fรผhre unweigerlich zu Streit und zu einem erhรถhten Klagevolumen.
Mediation statt Klageweg
Um die Klagewelle etwas einzudรคmmen habe man in Darmstadt ein Mediations-Projekt gegrรผndet. Bei diesem Projekt wird zunรคchst versucht, eine Schlichtung ohne Urteilsspruch zu erreichen. Insgesamt wurde 16 Mitarbeiter im Bereich der Mediation ausgebildet. Im letzten Jahr gab es auf diese Weise 157 Verfahren. In 81 Prozent konnte eine Einigung erzielt werden, die von beiden Seiten akzeptiert wurde. (sb)
Bild: Gerd Altmann/AllSilhouettes.com / pixelio.de