Deutschland steht vor einer Pflegekrise: Millionen Menschen benötigen Unterstützung – doch es fehlt an Personal und fairer Bezahlung für pflegende Angehörige. Der BKK-Dachverband fordert deshalb die Einführung eines Pflegelohns. Das Ziel: soziale Gerechtigkeit und Entlastung für Menschen, die Familienmitglieder betreuen.
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Pflegebedarf wächst – das Personal schrumpft
Die Pflegesituation in Deutschland spitzt sich zu. Bereits heute leben rund 5,7 Millionen Menschen mit Pflegebedarf. Laut dem Statistischen Bundesamt wird diese Zahl in den nächsten Jahren deutlich steigen – auf bis zu 6 Millionen Betroffene bis spätestens 2035. Je nach Entwicklung könnte dieser Wert sogar schon 2028 erreicht werden.
Parallel dazu verschärft sich der Personalmangel. Bis zum Jahr 2049 könnten laut amtlicher Prognosen zwischen 280.000 und 700.000 Pflegekräfte fehlen. Die Folgen sind schon heute spürbar – nicht nur in Pflegeheimen, sondern vor allem in der häuslichen Betreuung.
Pflege findet meist zu Hause statt – auf Kosten der Angehörigen
Ein Großteil der Pflege findet außerhalb von Einrichtungen statt: Über 85 Prozent der Pflegebedürftigen werden zu Hause versorgt – entweder ausschließlich durch Angehörige oder mit Hilfe eines ambulanten Dienstes. Damit leisten Familienangehörige das Rückgrat der Pflege in Deutschland – oft unter erheblicher persönlicher, emotionaler und finanzieller Belastung.
Aktuelle Zahlen verdeutlichen das:
Rund 1,5 Millionen erwerbstätige Menschen investieren mehr als 10 Stunden pro Woche in die Pflege eines nahestehenden Menschen. Viele von ihnen reduzieren ihre Arbeitszeit – mit spürbaren finanziellen Folgen. Die Teilzeitquote dieser Gruppe liegt etwa doppelt so hoch wie im Bevölkerungsdurchschnitt.
Pflegegeld: Ein Tropfen auf den heißen Stein
Zwar existiert das sogenannte Pflegegeld – eine finanzielle Unterstützung, die Pflegebedürftigen zusteht –, doch diese Mittel reichen in der Praxis oft nicht aus. Das liegt auch daran, dass das Geld nicht zweckgebunden an die pflegende Person fließt.
Laut Studien erhalten pflegende Angehörige das Pflegegeld nur in rund 37 Prozent der Fälle ganz oder teilweise. In der Mehrheit der Fälle müssen sie die Versorgung also aus eigenen Mitteln bestreiten.
Die Folgen sind drastisch:
Jede vierte pflegende Person gilt als armutsgefährdet. Diese finanzielle Unsicherheit wirkt sich nicht nur auf den Alltag aus, sondern reicht oft bis ins Rentenalter hinein.
Der Pflegelohn als Lösung? Was hinter dem Vorschlag steckt
Angesichts dieser Lage fordern Verbände wie der BKK-Dachverband eine strukturelle Änderung: die Einführung eines Pflegelohns für Angehörige, die zuhause pflegen. Der Unterschied zum bisherigen Pflegegeld wäre entscheidend: Der Pflegelohn würde direkt an die betreuende Person ausgezahlt, wäre sozialversicherungspflichtig und steuerlich erfasst – ähnlich einer offiziellen Beschäftigung.
Ziel sei es, pflegende Angehörige rechtlich und sozial gleichzustellen – unabhängig davon, ob sie zusätzlich von einem Pflegedienst unterstützt werden oder nicht. Dadurch soll nicht nur die Versorgungssituation verbessert, sondern auch das Armutsrisiko gesenkt werden: Modellrechnungen zufolge ließe sich dieses Risiko von 20 auf rund 13,4 Prozent reduzieren.
Wie könnte der Pflegelohn konkret aussehen?
Zwar nennt der BKK-Dachverband keine exakten Summen, doch es gibt bereits Hinweise zur Ausgestaltung:
- Die Höhe des Pflegelohns soll sich am tatsächlichen Pflegeaufwand und der reduzierten Erwerbszeit orientieren.
- Das bisherige Einkommen der Pflegenden soll keine Rolle mehr spielen, um auch Menschen mit geringen Löhnen gerecht zu entlohnen.
- Die Leistung soll sozialversicherungspflichtig sein, um pflegende Angehörige auch langfristig abzusichern – etwa im Hinblick auf Rente und Krankenkasse.
Diese Änderungen könnten einen tiefgreifenden Wandel in der Pflegelandschaft bedeuten – nicht nur für Betroffene, sondern auch für das gesamte Sozialsystem.
Wer profitiert von einem Pflegelohn?
Die Einführung eines Pflegelohns hätte laut Einschätzung des BKK-Dachverbands drei Gewinner:
- Pflegebedürftige erhalten verlässlichere Betreuung in vertrauter Umgebung.
- Pflegende Angehörige werden finanziell und rechtlich abgesichert.
- Das Pflegesystem wird entlastet, da weniger Menschen auf stationäre Einrichtungen angewiesen sind.
Zudem würde die Maßnahme dazu beitragen, den steigenden Krankenstand in der Pflegebranche zu kompensieren. Laut einer AOK-Studie nimmt die psychische und körperliche Belastung sowohl bei professionellen Pflegekräften als auch bei Angehörigen stetig zu. Ein finanzieller Ausgleich könnte hier eine wichtige entlastende Rolle spielen.
Forderungen nach politischer Umsetzung werden lauter
Bereits im Rahmen der Pflegereform 2023 wurde das Pflegegeld leicht erhöht – doch für viele Betroffene blieb diese Maßnahme unzureichend. Patientenschützer fordern daher eine Erhöhung des Pflegegelds um mindestens 300 Euro pro Monat – oder eben die Einführung eines gesetzlich verankerten Pflegelohns.
Bisher fehlt jedoch eine verbindliche Zusage seitens der Politik. Zwar wächst der öffentliche Druck, konkrete gesetzliche Schritte sind aber noch nicht erfolgt.
Ohne Pflegelohn droht die soziale Schieflage
Die Pflege in Deutschland steht an einem Wendepunkt. Während die Zahl der Pflegebedürftigen steigt, fehlen sowohl Personal als auch gerechte Rahmenbedingungen für Angehörige. Der Vorschlag des BKK-Dachverbands, einen Pflegelohn einzuführen, könnte den entscheidenden Impuls liefern, um pflegende Angehörige langfristig abzusichern und das System zu stabilisieren.
Für Betroffene bedeutet das konkret: Wer einen Angehörigen pflegt, hätte Anspruch auf ein regelmäßiges Einkommen, soziale Absicherung und mehr gesellschaftliche Anerkennung. Noch ist der Pflegelohn Zukunftsmusik – doch der Druck steigt, und mit ihm die Hoffnung auf eine gerechtere Lösung.