Meine Erfahrungen mit Hartz IV & den ARGEN

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Ein Leserbrief von Hans-Jürgen Graf, 42 Jahre

Beruflicher Werdegang, Arbeitshistorie: 1983 Mittlere Reife, im Oktober Beginn der Ausbildung als Krankenpfleger. Nach 3 Jahren staatlicher Abschluss. Danach in diesem Beruf noch gearbeitet bis 1999. Im Dezember 1999 Beginn eines Reha- Vorbereitungslehrgangs am Berufsförderungswerk Nürnberg, gefördert von der damals noch Bundesversicherungsanstalt für Angestellte. Von März 2000 bis März 2002 am gleichen Haus eine Umschulung als Bürokaufmann. Diese wurde genehmigt, nach einem orthopädischen Gutachten, das mir schon 1999 bescheinigte, dass ich den Beruf des Krankenpflegers nicht mehr ausüben kann.

Seit Mai 2002 arbeitslos. Damals bereits Arbeitslosenhilfe erhalten. Meine negativen Erfahrungen mit Sozialbehörden (Sozialamt/Arge) begannen bereits 2004. 2002 wurde bei meiner Mutter bereits eine bösartige Krankheit festgestellt. Ein Hodgkin-Lymphom und ein Non-Hodgkin-Lymphom. Solange es meiner Mutter noch gut ging, habe ich mich aus Selbstantrieb laufend auf Stellen aus dem kaufmännischen Bereich, in jeglicher Richtung beworben. Auch für Stellen, die keine spezielle Qualifizierung erforderten, wie z. B. Büroboten, Schreibhilfen usw. Insgesamt habe ich bis heute ca. 400 Bewerbungen geschrieben. Ich erhielt lediglich vier Mal die Möglichkeit mich vorzustellen. Einige Bewerbungsunterlagen kamen nie mehr zurück, auch auf Mahnung nicht. Andere kamen nur umgetütet oder umfrankiert wieder. Alles Absagen.

Als es meiner Mutter sichtlich schlechter ging entschied ich mich, die Bewerbungen nur noch sporadisch wegzuschicken, da ich mich in ihrer Wohnung um sie kümmern wollte. Ich konnte meine Mutter bei mir behalten bis auf die letzten zwei Monate, da mussten wir mit ihr zusammen entscheiden ob sie in ein Pflegeheim gehen möchte oder eben noch weitere professionelle Hilfe zuhause angeschafft wird. Mutter entschied sich für den Gang in ein Pflegeheim. Da dies im Nachbarort war, war es für mich kein Problem täglich sie dort zu besuchen. Im Juli 2004 verstarb sie, nach einem dreitägigen, schweren Kampf. In dieser Zeit haben meine Schwester und ich abwechselnd im 4 Stunden – Rhythmus bei meiner Mutter gewacht. Nach der Trauerfeier kümmerte ich mich um die Unterstützung durch die Sozialhilfe beim Landratsamt Nürnberger – Land. Mit meinen knapp 500 Euro konnte ich die Wohnung nicht halten, die mit allem Drum und Dran doch knapp 400 Euro kostete. Ich stellte den notwendigen Antrag, brachte die Bescheinigungen bei, da ich bereits zu diesem Zeitpunkt schon einen GdB von 30 hatte. Das Sozialamt in Lauf ließ erstmal über einen Monat nichts von sich hören, dann wurde ich erst zu einem Untersuchungstermin beim Gesundheitsamt geladen, in dem festgestellt werden sollte ob ich eine Wohnung im Erdgeschoß bzw. Untergeschoß benötige. Auf meine Frage, warum das so lange gedauert hat, antwortete man
mir nur, dass die zuständige Ärztin im Urlaub war. Ich erwähnte, dass ich dringend eine Entscheidung brauche, da ich sonst die zweite Miete schuldig bleibe und mir fristlose Kündigung droht. Darauf bekam ich keine Antwort. Der Entscheidungsprozeß zog sich über drei Monate hin, ich hatte bereits die fristlose Kündigung der Wohnung. Auf meine Fragen, was ich machen sollte deswegen, sagte man mir in Lauf, dass die Sozialhilfe nicht für Schulden aufkommt. Leider hatte ich zu dieser Zeit noch keinerlei Ahnung vom Sozialrecht, und über meine Rechte wurde ich bis heute von keinem der Leistungsträger jemals aufgeklärt.

Nun kam der Bescheid des Sozialamtes in Lauf. Man zahlte mir die drei Monate, die übernommen werden müssen, allerdings auch schon verstrichen waren, teilte mir mit, dass die Wohnung für mich nicht angemessen sei und ich lediglich 80 Euro Wohngeld erhalte, aber keine Sozialhilfe. Wie ich damit fertig werde ist dann meine Sache. Ich solle einen Neuantrag stellen, wenn ich eine angemessene Wohnung gefunden habe (nur hatte ich keine Kenntnis davon, was angemessen war). Nun durfte ich schnellstmöglich eine neue Wohnung suchen, da ich mit 180 Euro im Monat schlecht leben konnte.

Wie durch einen Wink des Himmels fand ich die Annonce einer teilmöblierten Ein-Zimmer- Wohnung in Unterferrieden (ein Ort am A…. der Welt), die angemessen war. Mittlerweile wusste ich zumindest, welche Miethöhe angemessen war (Selbsthilfe). Ich bemühte mich um die Wohnung und bekam sie auch. Damals hoffte ich noch mein altes Auto halten zu können mit Entgegenkommen der Versicherung und individuellen Zahlungsmodalitäten. Doch das sollte nicht klappen. Ich zog dort hin, mit Beantragung von Umzugshilfe. Die Hilfe wurde mir genehmigt in Form eines Autos für einen Tag. Keine Hilfe für Möbeltransport, keine Hilfe für Renovierung der alten Wohnung. Und ich wurde nicht aufgeklärt darüber, dass das Sozialamt notfalls auch die Kosten für eine Möbellagerung übernehmen kann. So habe ich die überzähligen Möbel und die, die ich in der neuen (teilmöblierten) Wohnung nicht stellen kann per 2x Sperrmüllabfuhr entsorgt.

Meinen kompletten Umzug, die Renovierung der alten Wohnung usw. habe ich über Wochen alleine gemanagt, ich hatte ja niemanden mehr, außer meiner Schwester, und die konnte mir aus gesundheitlichen Gründen nur bedingt helfen. Lediglich für den Transport habe ich ein paar gute Seelen gefunden und beim Ausräumen für die Sperrmüllabfuhr hat mir meine Schwester geholfen, soweit sie dies konnte. Dies hat dann wiederum zu weiteren Mietschulden geführt, die mir dann meine Schwester am Ende zahlte, denn auch diese erhielt ich nicht von der Sozialhilfe erstattet. Nun war ich am Ende mit der alten Wohnung und meinen Kräften. Die neue Wohnung war noch einzuräumen. Auch das schaffte ich irgendwie, ich weiß aber nicht wie. Nun war ich in einem Ort, an dem es keinen Arzt, kein Lebensmittelgeschäft, keine gute Busverbindung noch sonst was gab. Anfangs hatte ich noch mein Auto, aber nicht mehr lange. So, nun saß ich dort mit schlechterem Allgemeinzustand als vorher, keine Einkaufsmöglichkeiten in erreichbarer Nähe und musste irgendwie raus aus dem Ganzen. Denn Hilfe konnte ich dort nicht erwarten. Ich hatte, bevor ich mich zum Umzug entschloss, eine komplette Woche in meiner Wohnung gelegen, mit beiderseitiger Fußgelenksentzündung, keinen Medikamenten mehr im Haus, kein Telefon, kein aufgeladenes Handy mehr und kaum mehr was zu essen. Nachbarn konnte ich nicht erreichen, denn meine Wohnung lag nicht zum Haupthaus hin, sondern auf der Rückseite. Da hörte mich niemand und kümmerte sich auch keiner um mich. Mit einem bestimmten Medikament hätte ich die Entzündung innerhalb von zwei Tagen wieder im Griff gehabt, aber so..? Am 7. Tag nach Beginn der Beschwerden (konnte nur auf der Ferse laufen, massivste Schmerzen in den Füßen, kam grade so auf die Toilette mit Quälerei), rief zufällig ein Freund auf meinem Handy an. Dieser besorgte mir dann die Medikamente, kam zu mir und ich schleppte mich an die Tür um zu öffnen.

Ich ging dann für zwei Wochen ins Krankenhaus, wobei man dann die weiteren Gesundheitsstörungen feststellte. Für die Zeit des Krankenhausaufenthaltes hatte ich der ARGE eine Vorabbescheinigung geschickt, dass ich stationär aufgenommen war und eine Abschlussbescheinigung bei Entlassung. Die ARGE wollte mir meine Leistung trotzdem kürzen, weil ich einen Termin der in den Krankenhausaufenthalt fiel, nicht eingehalten habe. Wurde dann wieder korrigiert. Sie hatten aber meine Vorabbescheinigung erhalten. Nun machte ich mich auf die Suche nach der Nürnberger Wohnung und fand sie auch. Das gleiche Spiel beim Umzug: keine Kostenübernahme für Möbeltransport usw. lediglich Kautionsübernahme, da ich eine Bescheinigung meines Hausarztes vorlegte, der diesen Umzug aus medizinischer und sozialer Sicht für geboten hielt. Ich wurde nach Lauf bestellt, um mir die Kostenübernahmeerklärung der ARGE für die neue Wohnung zu holen. Hierbei legte mir die Sachbearbeiterin, Frau R., eine Abtretungserklärung vor mit den Worten "die müssen Sie erst unterschreiben, sonst kriegen sie nichts!". Ich unterschrieb die Abtretungserklärung, da ich ja unbedingt von dort weg wollte. Kaum hatte ich meinen letzten Strich gesetzt, zog sie mir die Erklärung weg. Auf meine Bitte nach einer Kopie bekam ich keine Antwort. Sie händigte mir das Übernahmeschreiben für die Wohnungskaution aus. Dann durfte ich gehen.

Zu keinem Zeitpunkt wurde ich darüber aufgeklärt, dass eine Kautionsrate von 80 Euro monatlich gesetzwidrig ist, da Kürzungen der Regelleistung durch Darlehen lediglich bis 10 v. H. zulässig sind, wenn keine Verstöße des Hilfesuchenden vorliegen. Auch wurde mir nicht erklärt, dass ich trotzdem Leistungen für den Umzug erhalten müsste, da dieser Umzug ja nicht freiwillig von mir veranlasst wurde, sondern aus medizinischer Sicht notwendig war.

Nun hatte ich zwar das Schreiben, aber niemanden der mir helfen konnte. Wiederum ein Wunder geschah, 2 Tage bevor ich ausziehen musste war ich nervlich am Boden. Ich sah mich schon auf dem Rücken die Möbel nach Nürnberg tragen, was natürlich nicht möglich war. Da rief wiederum mein Bekannter an, dem ich dies schilderte. Er war sofort bereit mir zu helfen, charterte einen LKW auf seine Kosten, ein ehemaliger Kurskollege aus der Umschulung kam zum schleppen der Kartons und Möbel. Ich half wiederum auch selbst mit, obwohl ich wusste, dass ich das eigentlich nicht mehr durfte. Aber es ging eben nicht anders.

Der Umzug dauerte, trotz kleiner Anzahl von Möbeln (lediglich 1 Couch und 1 Sideboard, 1 Kühlschrank), ganze 12 Stunden. Denn hier in Nürnberg mussten die Möbel in den ersten Stock. Unter extremsten Bedingungen schaffte ich es mit dem anderen Kollegen, denn mein Bekannter der den LKW spendierte war selbst auch schwerbehindert – Rollstuhlfahrer, er konnte nicht helfen. Nach diesem Tag und weitere 7 Tage konnte ich mich kaum mehr bewegen.

Ich habe dann hier in Nürnberg versucht, eine Erstausstattung zu beantragen. Diese wurde abgelehnt, auch ein Widerspruch brachte keinen Erfolg. Man antwortete mir nicht einmal auf meine mehrfachen Bittschreiben um Hilfe!! Ich habe kurz nach meinem Einzug, weil mir mein Geld in der U-Bahn abhanden gekommen war, ein Darlehen beantragt. Dieses erhielt ich als Lebensmittelgutscheine. Man gab mir 150 Euro, und zog mir zugleich wieder ab dem folgenden Monat 2 x 75 Euro ab. Auch hier hat mich keiner rechtlich aufgeklärt, dass diese Beträge weit über dem gesetzlichen Höchstbetrag liegen. Mittlerweile war mein Behindertenstatus festgestellt worden, GdB 70, Merkzeichen G, aber auch dies veranlasste die ARGE keineswegs zu irgendwelchen Hilfestellungen. Meine Bittschreiben um Möbel, um Haushaltshilfe usw. wurden nicht beantwortet. Auch wurde mir kein Telefon gezahlt, nichts. Kabelfernsehkosten (mietvertraglich geschuldet) wurden anfangs ebenfalls nicht bezahlt. Es ging soweit, dass ich zeitweise nur 106 Euro, 150 Euro, 200 Euro zum Leben zur Verfügung hatte. Ich wurde von dieser ARGE Nürnberg allein gelassen. Erst, als ich diesen Internetanschluss hatte, fand ich das Erwerbslosenforum und dort die nötigen Informationen über das SGB II.
Umgehend legte ich Widerspruch gegen den gerade erhaltenen Weiterbewilligungsbescheid ein, sowie Überprüfungsanträge für sämtliche Bescheide seit Zugehörigkeit zur ARGE Nürnberg. Wiederum wurden sogar diese Anträge nicht beantwortet. Ich hatte nun endgültig die Schnauze voll von dieser ARGE. Im Januar 2006 formulierte ich selbst einen Antrag auf einstweilige Anordnung beim Sozialgericht in Nürnberg zur Absenkung oder ganzen Streichung der Kautionsrate. Die Sozialrichterin beschloss, bis zur Entscheidung in der Hauptsache, die Kautionsrate von 80 Euro auf 25 Euro abzusenken. Und hoppala, auf einmal erhielt ich Antwort auf meine Überprüfungsanträge, die natürlich abgelehnt wurden.

Mittlerweile habe ich einen Anwalt hier in Nürnberg, der mich in ARGE-Angelegenheiten vertritt im Rahmen der Beratungs- und Prozesskostenhilfe. Seitdem bekomme ich zumindest Antworten auf meine Schreiben und Anträge, sowie urplötzlich auch Eingangsbestätigungen der Widersprüche usw. Momentan sind zwei Klagen von mir anhängig beim SG Nürnberg. Die Klage zur Aufhebung des Bescheides über den Abzug der Kautionsraten, sowie die Klage zur Übernahme der Kosten für ein Bett mit spezieller Matratze bei Rückenleiden. Ich möchte einfach, dass dieser Fall, wie auch der des Herrn Müller öffentlich gemacht wird.

Ich höre immer wieder von Problemen mit der Nürnberger ARGE. Eine mir bekannte jugoslawische Familie erhält zeitweise überhaupt kein Geld von denen, die sind schon ohne Strom dagestanden. Und die Leistung, die die Mutter erhält (wenn sie sie mal bekommt) ist definitiv falsch. Auch die werden, wo es geht, über den Tisch gezogen. Meiner Ansicht nach ist mein Fall zumindest auch strafrechtlich bedeutend. Man enthält mir bis heute eine Anhebung der Regelleistung aus krankheits- und behinderungsbedingten Gründen vor. Laut Hartz IV – Rechner der Süddeutschen Zeitung müsste ich 808 Euro bekommen (Regelleistung + Kosten der Unterkunft) und bekomme lediglich 692 Euro. Ich finde es absurd, unglaublich und menschenverachtend, wie mit uns Langzeitarbeitslosen umgegangen wird. Rechte werden uns vorbehalten, wir werden durch offenen Rechtsbruch geschädigt. Man lässt Behinderte, wie mich, einfach im Regen stehen. „Soll er doch schauen wie er zurecht kommt!“. Ich konnte mir zeitweise nicht mal mehr die Zuzahlung zu den Medikamenten leisten, geschweige denn irgendetwas anderes, wie eine Zeitung, ein Rätselheft oder ähnliches. Von den Tagen in denen ich hungern musste, ganz zu schweigen. Sollte Hartz IV noch weiter "optimiert" werden zu ungunsten der Hilfeempfänger, dann möchte ich nicht mehr leben. (Hans-Jürgen Graf, Nürnberg. Erschienen am 26.12.06)

Ist das Bürgergeld besser als Hartz IV?

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