Wenn Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber kündigen, ohne sich ihrer rechtlichen Risiken voll bewusst zu sein, kann es im Rahmen eines Kündigungsschutzprozesses teuer werden. Denn verliert der oder die Arbeitgeberin vor Gericht, muss sie oder er den Lohn rückwirkend für die Zeit zahlen, in der die gekündigte Person nicht gearbeitet hat.
Diese Nachzahlung nennt man „Annahmeverzugslohn“. Sie resultiert aus der Tatsache, dass das Arbeitsverhältnis laut Gerichtsurteil nie wirksam endete. All dies war bereits bekannt. Dennoch sorgte eine Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts (AZ: 5 AZR 177/23) für Wirbel, weil einige Arbeitgeber hofften, sie könnten künftig das Risiko hoher Nachzahlungen reduzieren. Doch wie sieht der Fall tatsächlich aus und was genau hat das Bundesarbeitsgericht entschieden? Darüber berichtet der Fachanwalt für Arbeitsrecht, Christian Lange aus Hannover.
Weshalb ist das Risiko für Arbeitgeber üblicherweise so hoch?
Der Kern des Problems liegt in der zeitlichen Dauer von Kündigungsschutzprozessen. Stellt das Gericht erst nach vielen Monaten oder sogar Jahren fest, dass die Kündigung unwirksam war, kann die oder der Arbeitgeber verpflichtet sein, den Lohn für den gesamten Zeitraum nachzuzahlen – obwohl die gekündigte Person in dieser Zeit gar nicht gearbeitet hat.
In der Praxis führt das häufig dazu, dass Arbeitgeber sehr früh in einen Vergleich eintreten und eine Abfindung anbieten. Denn das Kostenrisiko einer langen juristischen Auseinandersetzung – vor allem im Annahmeverzug – ist beträchtlich: Beträge im fünfstelligen, manchmal sogar im sechsstelligen Bereich sind schnell erreicht.
Gerade wenn Unternehmen nicht sicher sind, ob die Kündigung bei einer gerichtlichen Prüfung Bestand haben wird, neigen sie dazu, sich zeitnah zu einigen. Auf Arbeitnehmerseite wird das oft genutzt, um eine möglichst hohe Abfindung herauszuholen, weil der Arbeitgeber in der Schwebe eines unklaren Verfahrens steckenbleibt. So erklärt sich, warum auch bei relativ kurzer Beschäftigungsdauer mitunter hohe Zahlungen fließen.
Was hat das Bundesarbeitsgericht tatsächlich entschieden?
Das besagte Urteil dreht sich im Kern um die Frage, wann Arbeitgeber unter Umständen nicht den vollen Annahmeverzugslohn schulden. Konkret ging es um einen Arbeitnehmer, der nach seiner Kündigung keine ernsthaften Bemühungen unternahm, einen neuen Job zu finden.
Er hatte sogar gegenüber der Agentur für Arbeit signalisiert, keine weiterführenden Stellenangebote zu wünschen und sei ohnehin fest entschlossen, zum alten Arbeitgeber zurückzukehren, falls er den Prozess gewinnen würde. Weil diese Haltung so offen kommuniziert wurde, lag es auf der Hand, dass er jede neue Stelle „böswillig“ ablehnte.
Paragraph 11 KSchG regelt, dass sich Arbeitnehmer Einkommen, das sie anderweitig hätten erzielen können, auf den nachzuzahlenden Lohn anrechnen lassen müssen – sofern sie es „böswillig“ unterlassen haben, eine zumutbare Stelle anzunehmen.
Das Bundesarbeitsgericht bestätigte nun, dass eine konsequente Weigerung, sich um eine neue Arbeit zu bemühen, gerade dann zum Wegfall oder zur Reduzierung von Annahmeverzugslohn führen kann, wenn die Person bewusst und erkennbar ihre Mitwirkungspflichten verletzt.
Welche Rolle spielen Böswilligkeit und zumutbare Arbeit?
Das Gericht stellte klar, dass es immer auf eine Gesamtabwägung ankommt. „Böswillig“ bedeutet nicht, dass man sich schlicht passiv verhält oder wenig Bewerbungen schreibt, sondern dass man aktiv oder sehr offensichtlich eine zumutbare Beschäftigung ablehnt. Entscheidend ist somit:
Zumutbarkeit der Stelle: Eine Tätigkeit ist nicht schon deswegen zumutbar, weil es sie irgendwo gibt. Sie darf weder persönlich unzumutbar sein noch die berufliche Zukunft völlig entwerten. Auch eine deutliche Verschlechterung der Arbeitsbedingungen kann die Zumutbarkeit infrage stellen. Umgekehrt muss ein einfacher Wechsel in einen Job mit etwas geringerem Gehalt nicht zwingend unzumutbar sein.
Böswilligkeit: Wer von Anfang an klarmacht, dass jede neue Arbeit abgelehnt wird und zudem deutlich signalisiert, er wolle sich möglichst unkooperativ verhalten, riskiert die Kürzung seines Anspruchs auf Annahmeverzugslohn. Das Bundesarbeitsgericht beurteilte die offene Ablehnung neuer Angebote und den fehlenden Bewerbungswillen als „böswillig“.
Damit präzisiert das Urteil vor allem die Nachweis- und Darlegungspflichten für beide Seiten. Arbeitgeber müssen beweisen, dass eine zumutbare Stelle vorhanden war, die Arbeitnehmerin oder der Arbeitnehmer dies wusste und dennoch bewusst nicht darauf reagierte. Wo dieser Nachweis kaum zu führen ist, bleibt das finanzielle Risiko für Arbeitgeber hoch.
Was bedeutet das Urteil konkret für gekündigte Arbeitnehmer?
In der Praxis ändert sich durch diese Gerichtsentscheidung wenig. Zwar kann das Urteil im Einzelfall dazu führen, dass ein Arbeitnehmer sich auf seinen lohnfreien Status nicht einfach ausruhen darf.
Wer ernsthaft und glaubhaft einen neuen Job sucht, erfüllt in der Regel seine Pflichten. Vor allem offene, nachweisbare Ablehnung von zumutbaren Angeboten birgt die Gefahr, dass am Ende der rückwirkend zu zahlende Lohn gekürzt wird. Da allerdings zahlreiche Faktoren in die Bewertung einfließen, sind die Hürden für Arbeitgeber hoch, wirklich eine „böswillige“ Ablehnung nachzuweisen.
Arbeitgeber, die in einem Kündigungsschutzprozess dennoch versuchen wollen, den Annahmeverzug zu verringern oder zu umgehen, können nach diesem Urteil gezielt Stellenangebote an die gekündigten Personen senden und dokumentieren, dass sie realistische Beschäftigungen in Aussicht gestellt haben. Daraus allein erwächst aber noch keine Garantie, dass der Kündigungsschutzprozess damit „günstig“ für sie endet. In jedem Fall bleibt das finanzielle Risiko bestehen, wenn die Kündigung insgesamt vor Gericht nicht standhält.
Wie sollten sich die Beteiligten nun verhalten?
Wer gekündigt wurde und um seinen Arbeitsplatz kämpft, kann grundsätzlich darauf setzen, dass bei erfolgreicher Klage das Arbeitsverhältnis fortbesteht und der Lohn für die Zwischenzeit nachgezahlt wird. Mit Blick auf das Bundesarbeitsgericht ist jedoch Vorsicht geboten, offen jede Beschäftigung zu verweigern oder dies der Agentur für Arbeit zu bekunden.
Sinnvoll ist vielmehr eine ernsthafte Arbeitssuche. Tatsächlich tun das viele Betroffene ohnehin – sei es, weil sie nahtlos weitermachen wollen oder während des Prozesses nicht untätig bleiben können und wollen.
Arbeitgeber, die unsicher sind, ob ihre Kündigung wirksam ist, sollten sorgfältig abwägen. Das Urteil hat nicht die radikale Folge, dass der Annahmeverzugslohn plötzlich wegfiele, sobald man den Klägerinnen und Klägern eine beliebige Stelle präsentiert. Weiterhin sind gerichtliche und außergerichtliche Vergleiche in Form von Abfindungszahlungen üblich. Denn ein langwieriges Verfahren, das am Ende zur Rückkehr der gekündigten Person und hohen Lohnnachzahlungen führt, ist für die meisten Unternehmen nicht kalkulierbar und nur schwer tragbar.
Warum bleibt das Abfindungsrisiko trotz allem bestehen?
Die Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts wird manchmal irrtümlich so verstanden, als ob sie das Risiko der Nachzahlung von Lohn grundlegend mindere. In Wirklichkeit zeigt sie nur auf, dass Arbeitnehmer bei fortbestehendem Arbeitsverhältnis grundsätzlich verpflichtet sind, einerseits Arbeitslosengeldvorschriften zu beachten und andererseits ihr Möglichstes zu tun, eine neue Stelle anzutreten, falls dies zumutbar ist. Wer sich jedoch geschickt und gemäß den sozialen Pflichten verhält, muss kaum fürchten, dass ein Gericht die Böswilligkeit sanktioniert. Genau deshalb bleibt das finanzielle Risiko eines verlorenen Kündigungsschutzprozesses für Arbeitgeber hoch.
Auch in der betrieblichen Praxis hat sich kaum etwas verändert. Viele Arbeitgeber fürchten weiterhin den langen Atem mancher Arbeitnehmerseite, die einen Prozess bis in höhere Instanzen zieht und dadurch das Delta an rückwirkendem Lohnbezug vergrößert. Um dem zu entgehen, wird meist frühzeitig über Abfindungen verhandelt. Damit ist das Bundesarbeitsgericht nicht auf einmal zur „Rettung“ für diejenigen geworden, die glauben, sie könnten Kündigungen leichter durchsetzen, ohne hohe Zahlungen zu riskieren.
Fazit
Das Bundesarbeitsgericht hat klargestellt, dass Arbeitnehmer nicht einfach passiv auf das Ergebnis des Kündigungsschutzprozesses warten dürfen, wenn sie später rückwirkend ihren Lohn erstattet haben wollen. Doch dieser Leitsatz ist im Arbeitsrecht keineswegs neu: Die Pflicht, sich angemessen und ehrlich um eine neue Beschäftigung zu bemühen, war schon immer vorgesehen. Wer wirklich aktiv verhindert, dass er oder sie eine neue Stelle erhält, kann den Annahmeverzugslohn gekürzt bekommen. Allerdings wirken sich die meisten Szenarien in der Praxis kaum aus, da die Grenzen zur „Böswilligkeit“ hoch liegen und Arbeitgeber dies erst einmal schlüssig darlegen und beweisen müssen.
Arbeitnehmer, die die vorgeschriebenen Pflichten erfüllen und sich nicht aktiv gegen die Arbeitsaufnahme stemmen, haben nach wie vor eine sehr gute Verhandlungsposition. Die Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts sorgt letztlich nur für Klarheit bei einem Sonderfall, in dem sich jemand ganz offensichtlich gegen jede ernsthafte Jobsuche sperrt. Dieses Szenario ist selten – und bereits nach der bisherigen Rechtsprechung war klar, dass man sich hier nicht gänzlich folgenlos verweigern darf.