Wenn die Krankenkasse bei derselben Erkrankung nach lรคngstens 78 Wochen innerhalb von drei Jahren nicht mehr zahlt, spricht man umgangssprachlich von der โAussteuerungโ.
In diese 78 Wochen eingerechnet sind bereits die ersten sechs Wochen der Entgeltfortzahlung durch den Arbeitgeber. Rechtsgrundlage ist ยง 48 SGB V; Die sechs Wochen Lohnfortzahlung werden dabei mitgezรคhlt.
Ist es eine gute Idee, sich kurz vor der Aussteuerung “gesund schreiben zu lassen”, um den Krankengeld-Countdown anzuhalten? Wir geben hierzu Antworten.
โGesundschreibungโ gibt es nicht โ wohl aber die Rรผckkehr an den Arbeitsplatz
Eine formelle โGesundschreibungโ existiert in Deutschland nicht. รrztinnen und รrzte stellen Arbeitsunfรคhigkeit fest; wird keine weitere Arbeitsunfรคhigkeit (AU) bescheinigt, gilt die Person als arbeitsfรคhig.
Wer sich vor Ablauf der AU wieder arbeitsfรคhig fรผhlt, darf grundsรคtzlich auch trotz noch laufender Krankschreibung arbeiten; eine separate Bescheinigung โgesundโ ist nicht nรถtig. Empfehlenswert ist, den Arzt zu informieren, damit die AU entsprechend angepasst wird.
Die entscheidende Weichenstellung: echte Genesung oder โtaktischesโ Gesundmelden?
Kurz vor der Aussteuerung โgesund schreiben zu lassenโ, um den Krankengeld-Countdown anzuhalten, ist in der Regel keine tragfรคhige Strategie.
Der 78-Wochen-Hรถchstzeitraum wird innerhalb einer fest definierten Blockfrist von drei Jahren gezรคhlt; Unterbrechungen oder kurze Arbeitsphasen setzen diese Frist nicht zurรผck. Selbst wenn die Arbeit kurzfristig wieder aufgenommen wird, bleiben die bereits verbrauchten Wochen innerhalb derselben Blockfrist angerechnet.
Der Sozialrechtsexperte Dr. Utz Anhalt bestรคtigt, dass sich “die Blockfristen lรผckenlos aneinanderreihen und die Anspruchsdauer am Blockfristprinzip hรคngt.”
Wiedereingliederung: der sanfte, sozialrechtlich saubere Weg zurรผck
Wer sich noch nicht voll belastbar fรผhlt, sollte statt eines abrupten โGesundmeldensโ die stufenweise Wiedereingliederung (โHamburger Modellโ) prรผfen. Wรคhrend dieser Phase bleibt die Person formal arbeitsunfรคhig und behรคlt in der Regel den Krankengeldanspruch; das Einkommen aus reduzierter Tรคtigkeit wird mit dem Krankengeld verrechnet.
So lรคsst sich unter medizinischer Begleitung testen, ob und wie eine Rรผckkehr mรถglich ist โ ohne die sozialrechtlichen Risiken einer verfrรผhten vollen Arbeitsaufnahme.
Das verbreitete Missverstรคndnis um โeinen Tag arbeitenโ
Hรคufig kursiert die Idee, man mรผsse nur kurz arbeiten, um Fristen zu โresettenโ. Das trifft fรผr Krankengeld nicht zu. Die 78-Wochen-Grenze richtet sich nach der Blockfrist, nicht nach der Lรคnge einzelner Arbeitsunterbrechungen.
Auch bei der Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall gilt: Ein neuer Sechs-Wochen-Anspruch entsteht bei derselben Krankheit in der Regel erst nach einer sechsmonatigen โGesundphaseโ oder nach zwรถlf Monaten seit Beginn der ersten AU, nicht durch einen einzelnen Arbeitstag. Diese Regeln betreffen zwar die Lohnfortzahlung, verdeutlichen aber, warum taktische Mini-Rรผckkehrversuche selten helfen.
Was passiert nach der Aussteuerung? Die Nahtlosigkeitsregelung
Wer nach Aussteuerung weiterhin krank ist und dem Arbeitsmarkt nicht mindestens drei Stunden tรคglich zur Verfรผgung steht, kann unter der sogenannten Nahtlosigkeitsregelung nach ยง 145 SGB III Arbeitslosengeld I beziehen, obwohl die รผbliche Verfรผgbarkeit fehlt.
In der Praxis fordert die Agentur fรผr Arbeit hรคufig, innerhalb eines Monats Reha- oder Rentenleistungen zu beantragen, damit geklรคrt wird, ob und wie Erwerbsfรคhigkeit wiederhergestellt werden kann. Diese Brรผcke soll den รbergang vom Krankengeld sichern und ist gerade dann wichtig, wenn eine schnelle Rรผckkehr in den Beruf nicht realistisch ist.
Kontinuitรคt der Krankschreibung: Lรผcken vermeiden
Fรผr durchgehende Leistungen ist eine lรผckenlose AU-Bescheinigung entscheidend. Rรผckwirkende Krankschreibungen sind grundsรคtzlich nicht mรถglich. Wer zwischendurch โgesundโ gemeldet ist und dann doch wieder krank wird, riskiert Leistungslรผcken und komplizierte Prรผfungen, ob die erneute AU noch in dieselbe Blockfrist fรคllt oder einen neuen Anspruch auslรถst. Sorgfรคltige Abstimmung mit der behandelnden Praxis hilft, formale Fehler zu vermeiden.
Strategische Abwรคgung: Wann ein vorzeitiges Ende der AU sinnvoll sein kann
Sinn machen kann eine vorzeitige Rรผckkehr, wenn die gesundheitliche Stabilisierung objektiv tragfรคhig ist und der Arbeitsplatz realistisch belastungsangemessen gestaltet werden kann. Wer dauerhaft vollschichtig arbeiten kann, braucht naturgemรคร kein Krankengeld mehr und beendet das Verfahren sauber.
Wer dagegen nur โauf dem Papierโ gesund ist, riskiert, dass das Krankengeld endet, aber die Arbeitsfรคhigkeit im Alltag nicht trรคgt โ mit der Folge erneuter Krankschreibung innerhalb derselben Blockfrist oder problematischer Auseinandersetzungen mit Arbeitgeber, Krankenkasse und Arbeitsagentur.
Auswirkungen auf Reha- und Rentenverfahren
โTaktischeโ Gesundmeldungen kurz vor einer medizinischen Begutachtung oder vor Entscheidungen รผber Reha und Erwerbsminderungsrente kรถnnen in der Gesamtwรผrdigung widersprรผchlich wirken. Sozialmedizinisch kommt es darauf an, was tatsรคchlich leistbar ist.
Wer Belastungserprobungen braucht, sollte das transparent รผber Wiedereingliederung oder Rehamaรnahmen abbilden. Ein sauber dokumentierter Verlauf ist regelmรครig รผberzeugender als abrupte Richtungswechsel ohne medizinische Grundlage.
Praktische Schritte fรผr Betroffene
Im Zentrum steht immer die medizinische Lage: Sprechen Sie frรผhzeitig mit Ihrer รrztin oder Ihrem Arzt รผber die realistische Belastbarkeit und รผber die Option einer stufenweisen Wiedereingliederung.
Stimmen Sie die sozialrechtlichen Folgen mit Krankenkasse und โ bei absehbarem Ende des Krankengeldes โ mit der Agentur fรผr Arbeit ab, insbesondere im Hinblick auf die Nahtlosigkeitsregelung. Achten Sie darauf, dass AU-Bescheinigungen ohne Lรผcken fortgefรผhrt werden, solange keine tragfรคhige Arbeitsfรคhigkeit vorliegt. Dokumentieren Sie Verรคnderungen und Vereinbarungen schriftlich.
Fazit
โKurz vor Aussteuerung gesund schreiben lassenโ ist selten eine gute Lรถsung, wenn die Leistungsfรคhigkeit nicht nachhaltig wiederhergestellt ist. Die maรgeblichen Fristen des Krankengelds folgen dem Blockfrist-Prinzip, nicht kurzfristigen Unterbrechungen.
Wer noch nicht voll belastbar ist, fรคhrt mit einer Wiedereingliederung und โ falls nรถtig โ der Nahtlosigkeitsregelung rechtssicherer. Wer tatsรคchlich stabil genesen ist, kann und sollte den Weg zurรผck in die regulรคre Arbeit offen und sauber gehen. Die richtige Entscheidung ist damit keine taktische, sondern eine medizinisch fundierte und rechtlich gut abgestimmte.
Hinweis: Dieser Beitrag ersetzt keine individuelle Rechtsberatung. In komplexen Einzelfรคllen โ insbesondere bei strittiger Zuordnung zu Blockfristen oder parallelen Reha/Renten-Verfahren โ empfiehlt sich fachkundige Beratung, etwa bei Krankenkasse, Sozialverband oder spezialisierten Beratungsstellen.