Das Auslaufen des Krankengeldes gehört zu den kompliziertesten Situationen im deutschen Sozialrecht. Wer nach langer Krankheit an den Rand der sogenannten Aussteuerung gerät, steht vor einem Bündel aus Fristen, Anträgen und Zuständigkeiten.
Wir zeigen die 5 wichtigsten Punkte, erklären typische Probleme mit den Krankenkassen, der Agentur für Arbeit und Rentenversicherung und zeigen, wo typische Fallstricke liegen .
Der rechtliche Rahmen: 78 Wochen, Blockfrist und Lohnfortzahlung
Der Anspruch auf Krankengeld ist gesetzlich gedeckelt. Für dieselbe Erkrankung besteht er grundsätzlich für höchstens 78 Wochen innerhalb einer Blockfrist von drei Jahren. In der Praxis sind davon in der Regel sechs Wochen abzuziehen, denn zu Beginn einer Arbeitsunfähigkeit zahlt der Arbeitgeber in diesem Zeitraum die Lohnfortzahlung. Übrig bleiben damit typischerweise 72 Wochen Krankengeld.
Die dreijährige Blockfrist beginnt mit dem ersten Tag der festgestellten Arbeitsunfähigkeit wegen der maßgeblichen Erkrankung. Innerhalb dieser Frist werden alle Krankengeldzeiten zusammengerechnet.
Kommt eine völlig neue, unabhängige Erkrankung hinzu, kann ein neuer Anspruch entstehen. Selbst für dieselbe Grunderkrankung ist eine erneute Bewilligung unter engen Voraussetzungen denkbar.
Diese Konstellationen sind selten und juristisch anspruchsvoll, sie erfordern eine genaue Prüfung.
Das Ankündigungsschreiben: Signal und Startpunkt
Mehrere Wochen bis wenige Monate vor dem Ende des Krankengeldes erhalten Betroffene in der Regel Post von ihrer Krankenkasse. Darin steht, dass die Aussteuerung bevorsteht, verbunden mit der Aufforderung, sich bei der Agentur für Arbeit zu melden.
Dieses Schreiben ist nicht nur Information, sondern Weckruf: Es markiert den Zeitpunkt, an dem die nächsten Schritte vorbereitet werden müssen. Wer jetzt untätig bleibt, riskiert vermeidbare Lücken in der Existenzsicherung.
Der Weg zur Agentur für Arbeit: Arbeitslosengeld trotz bestehendem Arbeitsverhältnis
Auch wenn noch ein Arbeitsvertrag besteht und eine Rückkehr in den Job perspektivisch denkbar wäre: Nach Auslaufen des Krankengeldes führt der erste Weg regelmäßig zur Agentur für Arbeit.
Dort kann Arbeitslosengeld I in Betracht kommen. Zentral ist die Einschätzung des Ärztlichen Dienstes der Agentur für Arbeit. Diese erfolgt häufig „nach Aktenlage“, also auf Basis vorhandener Befunde, Reha-Berichte und ärztlicher Unterlagen.
Entscheidend ist die Prognose für die nächsten sechs Monate. Ergibt die Prüfung, dass die Leistungsfähigkeit voraussichtlich mindestens ein halbes Jahr lang erheblich eingeschränkt bleibt, greift die sogenannte Nahtlosigkeitsregelung nach § 145 SGB III.
Dann wird Arbeitslosengeld gezahlt, obwohl die regulären Voraussetzungen (insbesondere die Verfügbarkeit für den Arbeitsmarkt) eigentlich nicht vorliegen. In dieser Konstellation fordert die Agentur für Arbeit regelmäßig dazu auf, eine medizinische Rehabilitationsmaßnahme bei der Deutschen Rentenversicherung zu beantragen, um die Erwerbsfähigkeit einschätzen zu lassen.
Fällt die Prognose des Ärztlichen Dienstes hingegen so aus, dass innerhalb der nächsten sechs Monate eine wesentliche Besserung zu erwarten ist, bleibt es beim „normalen“ Arbeitslosengeld.
Das kann irritierend sein, weil man sich trotz fortbestehender Erkrankung theoretisch für Vermittlungsbemühungen bereithalten muss. Wichtig ist in beiden Fällen: Wer aus dem Krankengeld kommt, hat grundsätzlich Anspruch auf eine Prüfung und darf nicht vorschnell an das Jobcenter verwiesen werden.
Reha zur Weichenstellung: Medizinisch oder beruflich – und mit Wirkung
Rehabilitationsmaßnahmen haben in diesem Prozess doppeltes Gewicht. Zum einen können sie die gesundheitliche Stabilisierung fördern. Zum anderen enthalten Entlassungsberichte medizinisch fundierte Leistungsbeurteilungen, die für Agentur für Arbeit und Rentenversicherung richtungsweisend sind.
Es gibt zwei Schienen: medizinische Reha zur Wiederherstellung bzw. Stabilisierung der Gesundheit und Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben (berufliche Reha), wenn zwar nicht mehr der alte Beruf, aber andere Tätigkeiten realistisch erscheinen.
Häufig drängt bereits die Krankenkasse während des Krankengeldbezugs zu einem Reha-Antrag – auch mit Blick auf die sogenannte Umdeutung in einen Rentenantrag, wenn sich die Erwerbsfähigkeit als dauerhaft erheblich eingeschränkt erweist.
Das ist legitim und in vielen Fällen sinnvoll, weil es Klarheit über die weitere Perspektive schafft. Wer beruflich umsteuern muss, kann über die Rentenversicherung Qualifizierungen, Eignungsabklärungen oder stufenweise Wiedereingliederungen erhalten.
Erwerbsminderungsrente: Wenn Arbeit dauerhaft kaum noch möglich ist
Die gesetzliche Erwerbsminderungsrente greift, wenn gesundheitliche Einschränkungen so gravierend sind, dass auf absehbare Zeit keine reguläre Erwerbstätigkeit möglich ist.
Maßstab ist die tägliche Leistungsfähigkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt, nicht nur im bisherigen Beruf. Wer aufgrund von Krankheit oder Behinderung auf weniger als drei Stunden täglich über mindestens sechs Monate begrenzt ist, erfüllt grundsätzlich die Voraussetzungen für eine volle Erwerbsminderungsrente.
Bei einer Leistungsfähigkeit von drei bis unter sechs Stunden kommt eine teilweise Rente in Betracht. Die versicherungsrechtlichen Bedingungen – insbesondere ausreichende Beitragszeiten – müssen ebenfalls erfüllt sein.
Im Zusammenspiel mit der Agentur für Arbeit ist wichtig: Liegt bereits eine bestandskräftige Ablehnung der Erwerbsminderungsrente vor, kann das die Nahtlosigkeitsregelung ausschließen. Deshalb sollte die Rentenfrage strategisch und gut beraten angegangen werden. Bei unklarer Prognose ist die medizinische Reha häufig der sinnvollste Zwischenschritt.
Bürgergeld als letztes Netz: Wenn alle anderen Ansprüche entfallen
Sollten weder Arbeitslosengeld noch Rente greifen – etwa weil die Anwartschaften fehlen, Fristen versäumt wurden oder die gesundheitliche Lage anders bewertet wird –, bleibt als letztes sozialrechtliches Sicherungsnetz das Bürgergeld beim Jobcenter. Es sichert den Lebensunterhalt bedarfsabhängig.
Der Gang dorthin ist sinnvoll, wenn absehbar ist, dass andere Leistungen nicht oder nicht rechtzeitig fließen. Auch hier gilt: Frühzeitig informieren, Unterlagen vollständig beibringen und Bescheide prüfen.
Fristen, Form und Nachweise: Wie man Lücken vermeidet
Zeit ist in dieser Phase der zentrale Faktor. Wer das Ankündigungsschreiben der Krankenkasse erhält, sollte umgehend Kontakt mit der Agentur für Arbeit aufnehmen. Die Bearbeitung von Anträgen dauert, und nach dem Ende des Krankengeldes klaffen ohne nahtlose Anschlussleistung schnell Finanzierungslücken.
Ebenso wichtig ist der formale Nachweis: Unterlagen möglichst per Einschreiben versenden oder bei persönlicher Abgabe den Eingang schriftlich bestätigen lassen. So lassen sich Missverständnisse und Verzögerungen reduzieren, die andernfalls bares Geld kosten können.
Typische Konflikte: Zuständigkeits-Pingpong und wie man es durchbricht
In der Praxis kommt es vor, dass Leistungsträger unterschiedliche Einschätzungen treffen: Die Agentur für Arbeit hält jemanden für nicht krank genug, die Rentenversicherung sieht noch Erwerbsfähigkeit, und die Krankenkasse ist bereits ausgestiegen.
Dieses Pingpong ist zermürbend. Wer in eine solche Zwickmühle gerät, sollte konsequent auf schriftlichen Entscheidungen bestehen, Widerspruchsfristen wahren und qualifizierte Beratung in Anspruch nehmen. Sozialverbände, unabhängige Beratungsstellen und Fachanwältinnen und -anwälte für Sozialrecht können helfen, die medizinischen und rechtlichen Fäden zusammenzuführen und die richtige Rechtsposition zu sichern.
Private Absicherung: Berufsunfähigkeitsversicherung als Ergänzung
Vor allem für jüngere Erwerbstätige kann eine private Berufsunfähigkeitsversicherung eine sinnvolle Ergänzung sein. Sie zahlt unabhängig von Entscheidungen der Sozialleistungsträger, sofern die vertraglichen Bedingungen erfüllt sind.
Im höheren Alter oder bei Vorerkrankungen wird der Abschluss schwieriger und teils finanziell unattraktiv. Wer die Möglichkeit hat, sollte die private Absicherung professionell prüfen lassen – idealerweise, bevor gesundheitliche Einschränkungen auftreten.
Fazit: Strukturen nutzen, Beratung suchen, Dokumentation sichern
Das Ende des Krankengeldes ist kein Randthema, sondern eine Phase, in der sich medizinische Realität, Arbeitsmarktregeln und Rentenrecht überlagern. Wer informiert handelt, erhöht die Chance auf eine lückenlose Absicherung erheblich.
Maßgeblich sind drei Leitlinien: frühzeitig handeln und Fristen beachten, die medizinische Einschätzung durch Reha und aussagekräftige Befunde untermauern, sowie Entscheidungen stets schriftlich festhalten und bei Bedarf anfechten. Zwischen Krankenkasse, Agentur für Arbeit und Rentenversicherung gibt es klare Schnittstellen – sie zu kennen und aktiv zu nutzen, macht den Unterschied zwischen Unsicherheit und Stabilität.