Unerwartete Kündigungen treffen Menschen oft mit voller Wucht. Wer Anzeichen übersieht, läuft Gefahr, unvorbereitet in Verhandlungen oder gar in einen Rechtsstreit zu geraten.
Frühzeitige Wachsamkeit schafft Handlungsspielraum sagt der Rechtsanwalt und Fachanwalt für Arbeitsrecht, Christian Lange aus Hannover: “Sie können Gespräche strukturiert führen, Beweise sichern, Verbündete einbinden und rechtliche Fristen wahren. Zugleich hilft ein nüchterner Blick auf Muster im Arbeitsalltag, zwischen normalen Reibungen und strategischer Trennungsvorbereitung zu unterscheiden.”
Erstes Anzeichen: Der Ton kippt – Distanz, Schweigen, subtile Ausgrenzung
Wenn sich Vorgesetzte oder Personalabteilung spürbar distanzieren, sich kaum noch erkundigen, grüßen oder spontan das Gespräch suchen, ist das selten bloß Zufall.
Solche Stimmungswechsel zeigen sich oft leise, sagt Lange. “Einladungen zu Besprechungen versiegen, informelle Abstimmungen versanden, Feedback bleibt aus.”
Wichtig ist, diese Veränderungen nicht wegzuwischen, mahnt der Anwalt. Dokumentieren Sie Datum, Situation und Beteiligte. Wer Entwicklungen über Wochen nachvollziehbar festhält, erkennt Muster – und kann später konkret belegen, dass die Beziehungsebene bereits vor der eigentlichen Kündigung belastet war.
Zweites Anzeichen: Vorbereitungsschritte – Abmahnungen, BEM-Einladung, Umstrukturierung
Ein klassisches Frühwarnsignal sind gehäufte oder „gebündelt“ überreichte Abmahnungen. Abmahnungen dienen rechtlich der Hinweis- und Warnfunktion: Der Arbeitgeber rügt ein konkretes Fehlverhalten und kündigt an, dass Wiederholungen den Bestand des Arbeitsverhältnisses gefährden können.
Erst wenn diese Warnfunktion erfüllt ist, ebnet die Abmahnung typischerweise den Weg zu einer verhaltensbedingten Kündigung. Inhaltlich unpräzise oder verspätete Rügen sind angreifbar; umgekehrt kann eine wirksame Abmahnung im Wiederholungsfall die Position des Arbeitgebers stärken.
Rechtlich ist die Abmahnung damit “kein Selbstzweck, sondern ein Baustein im Eskalationsschema vor einer verhaltensbedingten Kündigung”, warnt der Anwalt.
Häufig trifft es Beschäftigte mit längeren oder wiederholten Erkrankungen. In diesen Fällen muss der Arbeitgeber – unabhängig von der Betriebsgröße – ein Betriebliches Eingliederungsmanagement (BEM) anbieten, sobald innerhalb von zwölf Monaten mehr als sechs Wochen Arbeitsunfähigkeit anfallen.
Das BEM soll Wege zu leidensgerechter Beschäftigung, Anpassungen des Arbeitsplatzes oder anderen Hilfen eröffnen und eine Kündigung vermeiden. Fehlt ein ordnungsgemäßes BEM, ist eine spätere krankheitsbedingte Kündigung nicht automatisch unwirksam, der Arbeitgeber trägt dann aber eine erhöhte Darlegungslast, warum mildere Mittel nicht in Betracht kamen.
Auch betriebliche Veränderungen sind deutliche Vorboten: Wird umstrukturiert, outgesourct oder schrittweise ein Aufgabenbündel entkernt, kann das der Vorbereitung einer betriebsbedingten Kündigung dienen.
Solche Kündigungen setzen nach dem Kündigungsschutzgesetz eine soziale Rechtfertigung voraus; insbesondere bei betriebsbedingten Kündigungen ist eine korrekte Sozialauswahl unter vergleichbaren Arbeitnehmern vorgeschrieben.
Entscheidend sind Dauer der Betriebszugehörigkeit, Lebensalter, Unterhaltspflichten und eine etwaige Schwerbehinderung. Wer feststellt, dass zentrale Aufgaben entzogen werden, sollte frühzeitig prüfen lassen, ob die Auswahl und die behauptete „Entbehrlichkeit“ der Stelle tragfähig sind.
Drittes Anzeichen: „Cold Firing“ – Kaltstellen statt Klartext
Statt offen zu kündigen, entziehen manche Arbeitgeber schrittweise Verantwortung, reduzieren die Kommunikation auf das Nötigste und schließen Betroffene von Runden aus, die für Sichtbarkeit und Einfluss wichtig sind.
Dieses Kaltstellen untergräbt fachliche Relevanz, zermürbt psychisch und zielt nicht selten darauf, eine Eigenkündigung zu provozieren.
Für Beschäftigte ist das riskant: “Eine eigenmächtige Beendigung löst regelmäßig eine Sperrzeit beim Arbeitslosengeld aus, sofern kein „wichtiger Grund“ vorliegt. Wer sich drängen lässt, verzichtet zudem oft auf Verhandlungsspielräume bei Abfindung oder Zeugnis”, so Lange.
Was Betroffene jetzt konkret tun sollten
Wer Anzeichen erkennt, braucht Struktur statt Alarm. Beginnen Sie mit einer lückenlosen Chronik: Welche Aufgaben wurden wann verlagert? Welche Besprechungen fanden ohne Sie statt? Welche Absprachen, Mails, Chat-Protokolle belegen das?
Diese Dokumentation verschafft Ihnen in Gesprächen Glaubwürdigkeit und in einem späteren Verfahren Beweisnähe. Suchen Sie danach das Gespräch – zunächst sachlich mit der direkten Führungskraft. Fragen Sie offen nach der Erwartungslage, bitten Sie um schriftliches Feedback und vereinbaren Sie Nachsteuerungstermine.
Bleibt der Eindruck der Ausgrenzung, beziehen Sie die Personalabteilung und – sofern vorhanden – den Betriebsrat ein. Der Betriebsrat hat vor jeder Kündigung ein Anhörungsrecht; eine Kündigung ohne ordnungsgemäße Anhörung ist unwirksam.
Gesundheitsfälle verdienen besondere Sorgfalt. Bei einer BEM-Einladung ist die Teilnahme freiwillig, doch taktisch oft ratsam: Wer ein ordnungsgemäßes Angebot ohne tragfähigen Grund ablehnt, nimmt dem Arbeitgeber ein wichtiges Argument gegen die Verhältnismäßigkeit nicht unbedingt aus der Hand.
Umgekehrt kann ein korrekt geführtes BEM sinnvolle Anpassungen eröffnen – oder dem Arbeitgeber zumindest abverlangen, Alternativen zur Beendigung substantiiert zu prüfen.
Der rechtliche Rahmen in Kürze – die wichtigsten Stellschrauben
Ob eine Kündigung „sozial gerechtfertigt“ ist, beurteilt das Kündigungsschutzgesetz. Es unterscheidet personen-, verhaltens- und betriebsbedingte Kündigungen.
Der allgemeine Kündigungsschutz greift, wenn das Arbeitsverhältnis länger als sechs Monate besteht und im Betrieb in der Regel mehr als zehn Arbeitnehmer beschäftigt sind. In Kleinbetrieben unterhalb dieses Schwellenwerts gelten zwar die allgemeinen zivilrechtlichen Schranken, aber nicht die volle Sozialrechtfertigung des KSchG.
Für die Praxis heißt das: “Prüfen Sie immer sowohl die Wartezeit als auch die Betriebsgröße – einschließlich der anteiligen Anrechnung von Teilzeitkräften”, rät der Fachanwalt.
Bei betriebsbedingten Kündigungen ist die Sozialauswahl Dreh- und Angelpunkt. Der Arbeitgeber muss unter vergleichbaren Beschäftigten diejenigen auswählen, die sozial am wenigsten schutzbedürftig sind; Ausnahmen gelten etwa für Beschäftigte mit besonderen Kenntnissen oder Leistungen, deren Verbleib im berechtigten Unternehmensinteresse liegt.
Fehler in der Vergleichsgruppenbildung oder in der Gewichtung der Kriterien sind häufige Angriffspunkte.
Vor jeder Kündigung muss – sofern vorhanden – der Betriebsrat ordnungsgemäß angehört werden. Fehlt die Anhörung oder ist sie inhaltlich unzureichend, ist die Kündigung unwirksam. Diese formale Hürde ist mehr als eine Förmelei; sie verschafft dem Betriebsrat Einfluss und Beschäftigten eine zusätzliche Schutzschicht.
Im Krankheitsfall ist das BEM ein gesetzlich verankerter Schutz
Es ist keine formelle Wirksamkeitsvoraussetzung einer Kündigung, konkretisiert aber den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz: Ohne BEM muss der Arbeitgeber im Prozess besonders detailliert darlegen, dass es keine zumutbaren Alternativen zur Beendigung gab.
Zentral sind schließlich Fristen und Folgekosten: Wer eine Kündigung angreifen will, muss binnen drei Wochen ab Zugang Kündigungsschutzklage erheben.
Versäumt man diese Frist, gilt die Kündigung in aller Regel als wirksam. Wer seinerseits selbst kündigt, riskiert eine Sperrzeit beim Arbeitslosengeld, sofern kein anerkannter wichtiger Grund vorliegt.
Diese beiden Dinge – Drei-Wochen-Frist und Sperrzeit – bestimmen den taktischen Korridor in nahezu jedem Fall.
Verhandlung statt Rückzug: So drehen Sie die Dynamik
Die im Video beschriebenen Situationen zeigen, wie Arbeitgeber ihre Verhandlungsposition stärken, indem sie Karten zurückhalten: Wer Aufgaben entzieht, Kommunikation verknappt und Abmahnungen streut, bringt Beschäftigte in die Defensive – mit dem Ziel, dass sie von selbst gehen oder zumindest günstig verhandeln.
Dem begegnen Sie am wirksamsten, indem Sie Ihre Ansprüche selbstbewusst geltend machen, gleichzeitig gesprächs- und lösungsfähig bleiben und den rechtlichen Rahmen kennen.
Häufig führt erst diese aktive Gegenwehr dazu, dass Arbeitgeber offenlegen, was sie tatsächlich wollen – sei es ein Aufhebungsvertrag, eine Versetzung oder eine einvernehmliche Trennung mit Abfindung und gutem Zeugnis.
Fazit: Wachsam, strukturiert, professionell
Wer Schwingungen ernst nimmt, kann Kurs halten. Beobachten Sie Veränderungen, sichern Sie Belege, holen Sie sich früh fachlichen Rat – insbesondere, wenn Aufgaben entzogen werden, mehrere Abmahnungen im Raum stehen oder ein BEM ansteht.
Kennen Sie Ihre Eckpfeiler: Geltungsbereich des Kündigungsschutzes, Sozialauswahl, Anhörung des Betriebsrats, Drei-Wochen-Frist und Sperrzeit. Mit dieser Basis verhandeln Sie auf Augenhöhe – und verhindern, dass „Cold Firing“ zur selbsterfüllenden Prophezeiung wird.