Kein Bürgergeld wenn man erwerbsgemindert ist

Lesedauer 5 Minuten

Viele Menschen, die Bürgergeld beziehen, kämpfen mit ernsthaften Problemen. Wer krank ist, muss dennoch grundsätzlich dem Arbeitsmarkt zur Verfügung stehen.

Doch was bedeutet das konkret, wenn die eigene Leistungsfähigkeit nachlässt oder dauerhaft eingeschränkt ist? Der Sozialrechtsexperte Dr. Utz Anhalt ordnet die Begriffe ein, erklärt die Abläufe beim Jobcenter und beleuchtet die Schnittstelle zur Erwerbsminderungsrente – einschließlich der oft unterschätzten Arbeitsmarktrente. Ziel ist, Betroffenen eine klare Orientierung zu geben.

Dr. Utz Anhalt: Kein Bürgergeld bei voller Erwerbsminderung

Was „Erwerbsfähigkeit“ im System des Bürgergeldes bedeutet

Im Recht des Bürgergeldes gilt eine Person als erwerbsfähig, wenn sie mindestens drei Stunden täglich unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarkts arbeiten kann.

Diese Schwelle ist entscheidend, denn sie trennt den Zugang zum Bürgergeld von der Zuständigkeit der Sozialhilfe. Wer weniger als drei Stunden täglich arbeitsfähig ist, gilt als voll erwerbsgemindert und fällt damit grundsätzlich aus dem Bürgergeld heraus.

Die Realität vieler Leistungsberechtigter ist brüchig: wiederkehrende Krankschreibungen, abgesagte Termine im Jobcenter, abgebrochene Maßnahmen und Stellenangebote, die gesundheitlich nicht zumutbar sind. Dieses Spannungsfeld erzeugt nicht nur sozialen Druck, sondern macht die präzise Klärung der Erwerbsfähigkeit zur Schlüsselfrage des Leistungsbezugs.

Volle und teilweise Erwerbsminderung: Die juristische Brücke zwischen Jobcenter und Rente

Die Rentenversicherung unterscheidet zwischen voller und teilweiser Erwerbsminderung. Voll erwerbsgemindert ist, wer auf absehbare Zeit weniger als drei Stunden täglich arbeiten kann. Teilweise erwerbsgemindert ist, wer zwar drei Stunden und mehr, aber weniger als sechs Stunden täglich arbeitsfähig ist.

Für das Bürgergeld ist dieser Unterschied wesentlich: Bei voller Erwerbsminderung besteht kein Bürgergeldanspruch; bei teilweiser Erwerbsminderung bleibt die Person erwerbsfähig im Sinne des Jobcenters, allerdings mit dem klaren Rahmen, dass nur Tätigkeiten bis unter sechs Stunden täglich in Betracht kommen.

Diese Feststellung ist nicht nur eine medizinische, sondern hat unmittelbare sozialrechtliche Folgen. Wer teilweise erwerbsgemindert ist, behält grundsätzlich Zugang zum Bürgergeld, muss sich aber wie andere Leistungsberechtigte bewerben und zumutbare Teilzeitstellen annehmen.

Wer voll erwerbsgemindert ist, wechselt in der Regel in die Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung nach dem Zwölften Buch Sozialgesetzbuch, sofern nicht eine ausreichend hohe Rente den Lebensunterhalt trägt.

Voraussetzungen: Wann die Erwerbsminderungsrente überhaupt in Reichweite ist

Medizinische Einschränkungen allein genügen nicht, um eine Rente wegen Erwerbsminderung zu erhalten. Erforderlich ist grundsätzlich, dass über einen bestimmten Zeitraum Beiträge in die gesetzliche Rentenversicherung eingezahlt wurden.

Als Daumenregel gilt eine Wartezeit von fünf Jahren, die erfüllt sein muss, damit eine Rente überhaupt gezahlt werden kann. Ausnahmen betreffen Konstellationen, in denen die Erwerbsminderung auf eine anerkannt berufsbedingte Erkrankung oder einen Arbeitsunfall zurückzuführen ist.

In solchen Fällen können geringere versicherungsrechtliche Voraussetzungen genügen. Diese Hürde ist vielen nicht präsent und erklärt, warum Menschen trotz belegbarer gesundheitlicher Einschränkungen keine Rentenleistungen erhalten.

Wenn das Jobcenter die Erwerbsfähigkeit prüft

Wer wiederholt krankgeschrieben ist, Termine absagen oder Maßnahmen abbrechen muss, löst regelmäßig eine Klärung der Erwerbsfähigkeit aus. Das Jobcenter kann hierfür den ärztlichen Dienst einschalten. In diesem Rahmen findet eine amtsärztliche Begutachtung statt, die die gesundheitliche Leistungsfähigkeit beurteilt und regelmäßig eine Einschätzung trifft, ob und in welchem Umfang eine tägliche Erwerbstätigkeit möglich ist.

Rechtlich ist das Jobcenter befugt, eine solche Prüfung zu veranlassen. Ein gesondertes Einverständnis der betroffenen Person ist nicht Voraussetzung, und selbst ohne persönliche Untersuchung kann eine Entscheidung nach Aktenlage getroffen werden.

Gerade Letzteres birgt Risiken, weil der schriftliche Befund nicht immer den aktuellen Gesundheitszustand vollständig abbildet. Wird eine persönliche Begutachtung angeboten, kann sie deshalb helfen, ein realitätsnäheres Bild zu zeichnen.

Chancen und Risiken einer Feststellung: Entlastung oder Einschränkung

Die Klärung der Erwerbsfähigkeit ist kein Automatismus zum Nachteil. Für Menschen, deren Leistungsvermögen spürbar sinkt und die sich fortwährend gegenüber dem Jobcenter rechtfertigen müssen, kann eine klare medizinische Feststellung entlastend sein. Sie schützt vor unzumutbaren Vermittlungen und schafft einen verbindlichen Rahmen für Art und Umfang der zumutbaren Tätigkeiten.

Umgekehrt kann eine Feststellung der vollen Erwerbsminderung Nachteile mit sich bringen, wenn kein Rentenanspruch besteht. In diesem Fall endet der Bürgergeldanspruch, und es bleibt die Grundsicherung beim Sozialamt.

Ist Ihr Bürgergeld-Bescheid korrekt?

Lassen Sie Ihren Bescheid kostenlos von Experten prüfen.

Bescheid prüfen

Mit diesem Zuständigkeitswechsel ändern sich Rahmenbedingungen, die für Betroffene spürbar sind – vom Schonvermögen bis zu möglichen Anrechnungen kleiner Einkünfte.

Bürgergeld oder Sozialhilfe: Praktische Konsequenzen

Der Wechsel von Bürgergeld zur Sozialhilfe hat praktische Auswirkungen. Beim Bürgergeld gilt ein höheres Schonvermögen, während in der Sozialhilfe geringere Freibeträge Anwendung finden. Auch kleinere Einkünfte aus einem Ehrenamt oder aus Minijobs werden in der Sozialhilfe tendenziell strenger angerechnet.

Sachgeschenke, die im Bürgergeld in der Regel nicht als Einkommen gewertet werden und daher keine unmittelbaren Leistungskürzungen auslösen, können in der Sozialhilfe leistungsrelevant sein. Zudem entfallen bei der Sozialhilfe Maßnahmen der Arbeitsförderung, was durchaus ambivalent bewertet wird.

Für manche ist der Wegfall von Termindruck und Sanktionsrisiken eine Erleichterung, für andere entfallen damit Chancen auf Qualifizierung und Wiedereinstieg.

Teilrente plus Bürgergeld: Was das für Vermittlung und Alltag bedeutet

Wer eine teilweise Erwerbsminderungsrente bezieht und ergänzend Bürgergeld erhält, bewegt sich in einem klar abgesteckten Korridor. Das Jobcenter darf nur in Tätigkeiten vermitteln, die die gesundheitlich vertretbare Arbeitszeit berücksichtigen, also in der Regel unter sechs Stunden pro Tag.

Diese Klarheit kann helfen, Konflikte um unpassende Stellenangebote zu vermeiden und Bewerbungsbemühungen auf realistische Perspektiven zu fokussieren. Zugleich bleibt die Mitwirkungspflicht bestehen: Auch mit Teilrente sind Bewerbungen, Gespräche und die Bereitschaft, geeignete Teilzeitstellen anzunehmen, Teil des Leistungsbezugs.

Die Arbeitsmarktrente: Wenn es an geeigneten Teilzeitstellen fehlt

Ein besonderer Mechanismus greift, wenn zwar medizinisch eine Leistungsfähigkeit zwischen drei und sechs Stunden täglich besteht, der Arbeitsmarkt jedoch faktisch verschlossen ist. In dieser Konstellation kommt die sogenannte Arbeitsmarktrente in Betracht. Sie setzt an, wenn innerhalb eines angemessenen Zeitraums – typischerweise etwa innerhalb eines Jahres nach Rentenantrag – trotz Unterstützung durch Jobcenter und Rentenversicherung keine passende Teilzeitbeschäftigung gefunden wird.

In der Folge kann eine bestehende teilweise Erwerbsminderungsrente in eine volle Erwerbsminderungsrente umgewandelt werden, um den Lebensunterhalt zu sichern.

Wichtig ist, dass der Arbeitsmarkt nicht als verschlossen gilt, wenn eine gefundene Teilzeitstelle freiwillig aufgegeben wird. Entscheidend ist die belegbare erfolglose Suche nach geeigneter Beschäftigung, nicht die subjektive Einschätzung der Passgenauigkeit.

Wer hier gut dokumentiert, Berufsbemühungen nachweist und Vermittlungsvorschläge sachlich prüft, schafft die Grundlage für eine tragfähige Entscheidung.

Der Kooperationsplan und was der ärztliche Dienst damit zutun hat

Der Kooperationsplan bildet heute den Rahmen der Zusammenarbeit zwischen Jobcenter und Leistungsberechtigten. Er soll Ziele, Schritte und Unterstützung transparent machen. In der Praxis berührt er auch gesundheitliche Fragestellungen, etwa wenn ärztliche Begutachtungen, Reha-Anträge oder stufenweise Wiedereinstiegsmodelle im Raum stehen.

Dass das Jobcenter den ärztlichen Dienst einschalten darf, ist Teil seines gesetzlichen Auftrags. Für Betroffene empfiehlt es sich, ärztliche Unterlagen geordnet bereitzuhalten, Diagnosen und funktionelle Einschränkungen klar zu dokumentieren und bei Untersuchungen konkrete Belastungsgrenzen – etwa Heben, Gehen, Sitzen, Konzentrationsdauer – nachvollziehbar zu schildern. So entsteht ein konsistentes Bild, das sowohl medizinisch als auch arbeitsmarktlich tragfähig ist.

Entlastung durch Rente – und was danach zählt

Fällt die Entscheidung auf eine volle Erwerbsminderungsrente, liegen die Leistungen der Rentenversicherung in der Regel oberhalb des bloßen Existenzminimums. Häufig kommt ergänzend Wohngeld in Betracht.

Mit dem Rentenbezug endet zugleich der Druck typischer Mitwirkungspflichten gegenüber dem Jobcenter: Bewerbungsauflagen, Maßnahmezuweisungen und Meldepflichten treten in den Hintergrund. Das schafft Raum für gesundheitliche Stabilisierung und eine sachliche Perspektivplanung.

Wird dagegen nur eine teilweise Erwerbsminderung festgestellt, bleiben Bürgergeld und Vermittlung in Teilzeit der Rahmen – verbunden mit der Chance, den Alltag an die eigene Leistungsfähigkeit angepasst zu gestalten.

Fazit: Klarheit schaffen, Rechte kennen, Wege offenhalten

Wer gesundheitlich eingeschränkt ist und Bürgergeld bezieht, steht an der Schnittstelle zwischen Sozialleistung und Arbeitsmarkt. Die zentrale Weiche stellt die Feststellung der Erwerbsfähigkeit. Sie entscheidet über Zuständigkeiten, Pflichten und Chancen – und darüber, ob eine (Teil-)Rente in Betracht kommt oder ob das Jobcenter weiter der primäre Ansprechpartner bleibt. Sinnvoll ist, die eigene gesundheitliche Situation offen zu legen, Unterlagen strukturiert vorzuhalten und Begutachtungen aktiv zu begleiten. Wo der Arbeitsmarkt faktisch keine passenden Teilzeitstellen bietet, kann die Arbeitsmarktrente eine wichtige Brücke sein.