Bürgergeld: Jobcenter muss bei Stromsperre alleinerziehendem Vater Darlehen gewähren

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Muss das Jobcenter einem alleinerziehenden Bürgergeld-Bezieher mit Kleinkind ein Darlehen für seine Stromschulden gewähren, wenn diese durch die Nichteinhaltung einer Ratenzahlungsvereinbarung mit dem Energieversorger entstanden sind und der Stromanschluss bereits gesperrt wurde?

Existenzbedrohung wegen bereits bestehender Stromsperre

Das Jobcenter wurde im Wege der einstweiligen Anordnung dazu verpflichtet, dem Antragsteller ein Darlehen zur Übernahme seiner Stromschulden in Höhe von 843,13 Euro zu bewilligen. Diese setzen sich aus Stromschulden in Höhe von 697,30 Euro sowie den Kosten für die Abschaltung und Wiederanschaltung des Stromanschlusses zusammen. Die Auszahlung hat unmittelbar an den Energieversorger zu erfolgen.

Kurzbegründung und Sachverhalt der Entscheidung

Das Jobcenter sieht die Voraussetzungen für eine Schuldenübernahme nach § 22 Abs. 8 SGB 2 – als nicht gegeben an

Eine solche könne nur erfolgen, wenn diese objektiv geeignet sei, die derzeit bewohnte Wohnung als Unterkunft langfristig und dauerhaft zu sichern, der Leistungsberechtigte seine zumutbaren Selbsthilfemöglichkeiten ausgeschöpft habe und zudem Wohnungslosigkeit drohe.

Dies sei hier nach Auffassung des Jobcenters nicht gegeben, weil

1. der Antragsteller kann seine Wohnung nicht langfristig sichern – wegen Kündigung durch den Vermieter wegen Eigenbedarf

2. Verweis auf die Inanspruchnahme einstweiligen Rechtsschutzes beim zuständigen Zivilgericht, um die Aufhebung der Stromsperre zu erreichen

3. Es sei nicht ausgeschlossen, dass der Antragsteller beim Einzug in eine neue Wohnung einen anderen Stromanbieter wählen könne

Die 16. Kammer des Sozialgerichts Würzburg ( Privaturteil einer Rechtsanwaltskanzlei ) hat das Jobcenter im Eilverfahren im Rahmen der Folgenabwägung verpflichtet, dem Bezieher von SGB II Leistungen und seiner minderjährigen Tochter ein Darlehen zu gewähren, damit eine Versorgung mit Strom sicher gestellt ist, insbesondere auch um eine Beleuchtung in der dunklen Jahreszeit und das Zubereiten der Mahlzeiten sicherzustellen.

Wann muss das Jobcenter einen Energiekostenrückstand übernehmen

Eine Schuldenübernahme nach § 22 Abs 8 Satz 2 SGB II kann nur erfolgen, wenn diese objektiv geeignet ist, die derzeit bewohnte Wohnung als Unterkunft langfristig und dauerhaft zu sichern, der Leistungsberechtigte seine zumutbaren Selbsthilfemöglichkeiten ausgeschöpft hat und zudem Wohnungslosigkeit droht ( LSG Sachsen-Anhalt, Beschluss v. 17.02.2016 – L 4 AS 345/15 B ER ).

Stromsperre nicht nur angekündigt, sondern bereits durchgeführt

Hier ist die Sperrung nicht nur angekündigt, sondern bereits durchgeführt. Dies entspricht jedenfalls in der Situation der Bedarfsgemeinschaft des Antragstellers/ Vaters mit einem minderjährigen Kind einer Wohnungslosigkeit i. S. v. § 22 Abs. 8 Satz 2 SGB II ( vgl. hierzu Beschluss des LSG NRW, v. 25.05.2016 – L 7 AS 580/16 B ER – ).

Kündigung des Vermieters wegen Eigenbedarf steht einer Schuldenübernahme nicht entgegen

Die ausgesprochene Eigenbedarfskündigung des Vermieters des Antragstellers steht der Gewährung eines Darlehens nicht entgegen, denn der Ast. und seine Tochter können nicht darauf verwiesen werden, auf Strom verzichten zu müssen.

Anbieterwechsel des Energieversorgers nicht aussichtsreich

Da bereits eine Stromsperre besteht, erscheint zum jetzigem Zeitpunkt ein Anbieterwechsel als nicht aussichtsreich ( vgl. SG Berlin, Beschluss v. 29.12.2015 – S 37 AS 26006/15 ER ).

Sicherstellung mit Strom im Rahmen der Folgenabwägung bei minderjährigen Kind im Haushalt

Da ein minderjähriges Kind im Haushalt lebt, ist im Rahmen der Folgenabwägung eine Versorung mit Strom sicherzustellen, insbesondere auch um eine Beleuchtung in der dunklen Jahreszeit und das Zubereiten der Mahlzeiten sicherzustellen.

Anordnungsgrund im Eilverfahren

Der Anordnungsgrund ergibt sich daraus, dass die Stromsperre bereits eingetreten ist.

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Anmerkung vom Sozialrechtsexperten Detlef Brock

Hier war die Stromsperre bereits vollzogen und der alleinerziehende Vater konnte die Belieferung mit Strom durch den Energieversorger nur durch eine Kostenübernahme durch das Jobcenter im Eilverfahren erreichen.

Ein Anspruch auf Übernahme von Stromschulden durch Gewährung eines entsprechenden Darlehens des Jobcenters setzt schließlich immer voraus, dass zunächst alle zumutbaren Selbsthilfemöglichkeiten ausgeschöpft worden sind.

Eine leistungsberechtigte Person hat zunächst sämtliche zur Verfügung stehenden anderen Mittel und Möglichkeiten einzusetzen, bevor öffentliche Leistungen zur Schuldentilgung ein Anspruch genommen werden dürfen (vgl. LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 01.10.2015 – L 2 AS 1522/15 B ER – ).

Zu den zumutbare Selbsthilfemöglichkeiten gehört es grundsätzlich, dass sich der Leistungsberechtigte bei einer angekündigten oder schon erfolgten Stromsperre zunächst an seinen Energieversorger wendet, um zu versuchen, mit diesem eine Ratenzahlungsvereinbarung zu treffen.

Aber auch, wenn der Antragsteller die Ratenzahlungsvereinbarung mit dem Energieversorger nicht einhalten kann, wie hier in diesem Einzelfall, besteht die Möglichkeit, ein Darlehen vom Jobcenter zu bekommen, vorausgesetzt, der Energieversorger lässt sich nachweislich – nicht auf eine neue Ratenzahlungsvereinbarung ein.

Lesetipp

Gerichte messen der Sicherung der Stromversorgung – und damit der Sicherung einer zu Wohnzwecken dienenden Unterkunft – verfassungsrechtlich ein überragendes Gewicht bei.

Die Ablehnung des Antrags bei – gesundheitlichen Beeinträchtigungen – kann einen nicht rückgängig zu machenden Eingriff in die körperliche Unversehrtheit zur Folge haben.

Diese steht unter dem besonderen Schutz des Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG.

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